Seit Chris McSorley (58) in Genf ausgebootet worden ist, sucht er ein neues Abenteuer. Nicht aus finanziellen Gründen. Die Servette-Abfindung, wenn sie denn vor Gericht standhält, wird ihn und seine Familie nähren bis an sein Lebensende.
Der charismatische Kanadier hat eine neue Herausforderung gefunden. Nachdem er dem SCB nicht geheuer war, hat er seine alte Liebe zu Sierre aufgefrischt. Und nun rockt es.
Sage und schreibe 80 Millionen sollen in eine neue Hockey-Arena investiert werden. Und Chris McSorley will dafür sorgen, dass Sierre spätestens bis im Frühjahr 2023 als 14. Team in die National League aufsteigt.
Die Geschichte ist schon deshalb interessant, weil sie zuerst von Emanuel Favre in «Le Matin Dimanche» publiziert worden ist. Emanuel Favre ist nicht nur ein hoch respektierter welscher Chronist. Er stammt aus der Region Sierre und kennt seine Pappenheimer. Es ist also was dran.
Natürlich bestätigt Chris McSorley die fantastischen Pläne. So wie er das früher bei den Stadionprojekten in Genf getan hat. Aber Servette spielt nach wie vor in der ältesten und schäbigsten Arena der Liga. Gebaut für die WM 1961 war sie damals die modernste in Europa. Das ist 60 Jahre her.
80 Millionen für ein neues Stadion in Sierre. Heirassa! Wer steckt dahinter? Eine helvetische Investorengruppe um den erfolgreichen Unternehmer Philippe Jorand. Sie ist bereit, 60 Millionen zu investieren. 15 Millionen soll die Stadt Sierre (gut 16'000 Einwohner) beisteuern, 5 Millionen der Kanton. Die Beiträge aus der öffentlichen Hand sind realistisch. 15 Millionen hat seinerzeit auch das Stimmvolk in Langnau bewilligt. Und überhaupt sind die politischen Wege im Wallis kürzer als in der «Ausserschweiz».
Doch auch im Wallis gilt die uralte Regel: Wie kann ich mit dem Sport ein kleines Vermögen machen? Indem ich mit einem grossen Vermögen beginne.
Die Welt schwimmt im billigen Geld. Auf dem Sparheft wirft es keine Zinsen ab. Also werden neuen Anlagemöglichkeiten gesucht.
Stadion-Neubauprojekte gibt es in Sierre seit Jahren. Die Kunsteisbahn Graben, 1958 gebaut und 1977 überdacht, genügt den Anforderungen des modernen Schausportes schon lange nicht mehr. Bei allen bisherigen Projekten ging es um eine neue Arena mit einem Fassungsvermögen zwischen 4000 und 5000 Plätzen. Ähnlich wie der neue Hockey-Tempel in Visp. Gebaut und finanziert von der Gemeinde.
Die Idee hinter dem Projekt Sierre: 4000 bis 5000 Plätze mögen für die zweithöchste Liga genügen. Aber in der Swiss League ist kein Profit zu erzielen. Warum also nicht eine Arena mit 7000 Plätzen für eine Mannschaft in der höchsten Liga? So müsste es möglich sein, Geld zu verdienen. Zumal ja eine Salärbegrenzung («Salary Fairplay») in Aussicht gestellt wird.
Wenn es in Langnau, einem Dorf mit rund 10'000 Einwohnerinnen und Einwohnern gelingt, durchschnittlich 5000 Fans anzulocken, dann müsste es doch machbar sein, im Wallis mit den vielen Touristen einen noch höheren Zuschauerschnitt zu erreichen.
Die Zeit drängt: Der Abstieg in der höchsten Liga ist vorerst für zwei Jahre ausgesetzt. Diese und nächste Saison steigt der Sieger der Swiss League direkt auf und es ist möglich, dass die National League 14 Teams umfassen wird.
Mit dem Bau soll schon im Sommer begonnen werden und die Eröffnung im Herbst 2024 stattfinden. Mit einem Spiel in der höchsten Liga. Bereits wird herumgeboten, bei der Liga sei vorausschauend das Gesuch eingereicht worden, die ersten Heimspiele der Saison 2024/25 auswärts bestreiten zu können. Falls das Stadion noch nicht bezugsbereit sein sollte. NL-Spielplan-General Willi Vögtlin sagt dazu: «Von einem solchen Gesuch weiss ich nichts.» Und er müsste es ja wissen.
Chris McSorley hat nicht die Absicht, Sierre als Coach zu übernehmen und in die höchste Liga zurückzuführen. Er überlässt das Coaching in Sierre seinem sportlichen Kumpel Dany Gelinas, der das Team 2019 in die Swiss League und nun bereits im zweiten Jahr in die Playoffs geführt hat.
Chris McSorley orchestriert zusammen mit den Investoren das gesamte Projekt mit ähnlichem Feuereifer, mit dem er einst aus dem zweitklassigen Servette das bestfunktionierende Sportunternehmen der Romandie gemacht hat. Coachen möchte er aber noch einmal in der höchsten Liga und endlich Meister werden. Dany Gelinas vermutet, dass er das in Lugano versuchen wird: «Wo denn sonst ...»
Und so könnte es bald zum Aufrüsten kommen. 2023 feiert Sierre sein 90-Jahre Jubiläum – und dieses Fest soll mit der Rückkehr in die höchste Liga gekrönt werden, die Sierre vor 35 Jahren, im Frühjahr 1988 als Absteiger verlassen musste. Erst 2019 ist wenigstens die Rückkehr in die Swiss League gelungen.
Aber noch ist es nicht so weit. Schon einmal hat Chris McSorley die Eigenwilligkeit kennengelernt, die den Menschen im Tal der Rhone eigen ist. Sein Versuch, Sierre zu Servettes Farmteam zu machen, funktionierte nicht. Sierre war nicht bereit, seine Eigenständigkeit aufzugeben. Und so ist es auch jetzt wieder. Die Investoren in die neue Arena wollen natürlich auch die Aktienmehrheit im Hockeyklub. Und die haben sie noch nicht. Die Klubverantwortlichen möchten eigentlich ein Team mit Spielern aus dem Wallis. Also den Spatzen in der Hand. Aber dann fliegen die Tauben mit den goldenen Schnäbeln auf dem Dach davon. Eigenständigkeit und private Investoren, die 60 Millionen «aufwerfen» – das wird nur schwerlich zu bekommen sein.
So oder so: Dany Gelinas soll die Mannschaft auch nächstes Jahr coachen und arbeitet bei den Transfers mit. Weil Sierre noch nicht entschieden hat, ob man sich Chris McSorley und seinen Investoren ausliefern will oder doch lieber seine Eigenständigkeit behalten soll, sitzt Dany Gelinas zurzeit zwischen allen Stühlen und er sagt: «Vorerst konzentrieren wir uns auf die Playoffs ...»
Der Kanadier wartet auf das Startsignal zum Geld ausgeben. Wird es denn im Falle eines Falles möglich sein, Sierre bereits für nächste Saison zum Aufsteiger hochzurüsten? Er sagt, wenn er von Chris McSorley grünes Licht erhalte, dann sei der Aufstieg schon nächste Saison das Ziel. Aber ist es denn tatsächlich möglich, die Mannschaft so zu verstärken, dass der Aufstieg ein realistisches Ziel ist? «Ja», sagt Dany Gelinas. «Spieler gibt es auf dem Transfermarkt genug.» Und das Geld wäre ja dann auch kein Problem.
Einen Spieler hat Sierres Erfolgstrainer gestern in Aktion gesehen: Langenthals Powerstürmer Stefan Rüegsegger (22.). Er hat den Siegestreffer zum 2:1 gegen Sierre gebucht. Langnaus Sportchef Marc Eichmann hat ihn leihweise den Langenthalern überlassen. Er sagt: «Wir werden den Vertrag nicht verlängern.»
Also sucht Stefan Rüegsegger einen neuen Arbeitgeber. «Eine Option in der National League habe ich nicht. Ich bin bereit, zwei weitere Jahre in meine Karriere zu investieren und über die Swiss League noch einmal zu versuchen, in die National League zu kommen.» Da wäre Sierre im Falle eines Falles die richtige Adresse.
Allerdings gibt es im Wallis ein zweites, ambitioniertes Hockey-Unternehmen mit einer noch ruhmreicheren Tradition in einer halb so grossen Ortschaft wie Sierre. Den EHC Visp. Meister des Jahres 1962. Sierre hat es 1973 nur zum Vize-Meistertitel gebracht. Nach Visp könnte Stefan Rüegsegger zum Beispiel auch wechseln.
Visp spielt seit 2019 in der neuen Lonza Arena. Ein schmuckes Stadion mit 5150 Plätzen. Der vorzüglich gemanagte Club hat sich seit dem Wiederaufstieg in die zweithöchste Liga (1999) inzwischen als Nummer 1 im Wallis etabliert. Aber diese komfortable Lage ist dahin, wenn auf einmal Sierre in die National League aufsteigen sollte.
Zwar kann der Kanton Tessin mit nahezu gleich viel Einwohnern (rund 350'000) zwei Hockeyteams und eine Fussballmannschaft in der höchsten Liga nähren. Aber es gibt berechtigte Zweifel, ob das auch im Wallis möglich wäre. Mit dem Erzrivalen in der National League droht Visp eine Herabstufung zum Farmteam von Sierre. Eine schier unerträgliche Vorstellung für alle, denen der EHC Visp am Herzen liegt.
Visp-Manager Sébastien Pico, seit 2006 im Amt und mit den Sitten und Gebräuchen im Tal bestens vertraut, sieht die ganze Sache mit staatsmännischer Gelassenheit. «In Sierre gibt es immer wieder Projekte. Da gab es beispielsweise mal die Idee, die Lizenz von Kloten nach Sierre zu verkaufen. Sehen wir also, was nun aus den neuen Plänen wird.» Und auch er kennt seine Pappenheimer, wenn er, gefragt nach den Chancen der Pläne in Sierre sagt: «Bei uns hat die Gemeinde das Stadion gebaut. Von der Idee bis zur Realisierung hat es neun Jahre gedauert.»
Und doch: Was ist, wenn Chris McSorley nicht ein Luftschloss, sondern eine feste Hockeyburg baut? Wenn Sierre tatsächlich aufsteigen sollte? Was wird dann aus Visp? «Dann wird es für uns natürlich schwierig. Aber Konkurrenz motiviert dazu, es noch besser zu machen. Wir haben einen ausgezeichneten Verwaltungsrat, der sehr gut vernetzt ist und Türen öffnen kann. Wir würden die Herausforderung annehmen.»
Rüstet Visp nun für nächste Saison auf, um in jedem Fall auf Augenhöhe mit Sierre zu bleiben? Sportchef Bruno Aegerter jammert: «Ich muss mit weniger Budget auskommen. Aber 17 Verträge laufen aus, da haben wir schon etwas Spielraum. Und ich muss halt besser transferieren als vor einem Jahr ...»
So eng sieht es Sébastien Pico nicht: «Wir kürzen unser Budget von rund 6 Millionen voraussichtlich nicht und werden nächste Saison auf dem Papier eine konkurrenzfähige Mannschaft haben. Wie es dann auf dem Eis aussieht, ist wieder eine andere Sache. Aber einige Transfers sind schon gemacht.»
Welche Transfers das sind, verrät Visps Manager nicht. Beispielsweise geht das Gerücht um, Oltens Spielmacher Ewgeni Schirjajew und Langnaus Raphael Kuonen hätten längst unterschrieben. Sébastien Pico sagt lediglich: «Wenn Gerüchte umgehen, dann muss wohl etwas dran sein ...»
Sollte Chris McSorley in Sierre von allen Seiten, auch vom Klub, der sich nicht sträubt, grünes Licht für seine grandiosen Pläne erhalten, so wird es nicht zum Nachteil der Spieler sein. Dann setzt ein Wettrüsten ein. Bereits freuen sich die Spieleragenten über «Crazy Money in the Valley.»
Es rockt im Hockey-Wallis. So oder so. Immerhin stehen erstmals seit 2011 Visp und Sierre wieder in den Playoffs bzw. Pre-Playoffs der zweithöchsten Liga.
Und wenn der Ausbleibt, gehen auch die Investoren. Beispiele gibt es genug.
Ausländische Investoren im Schweizersport funktionieren nur so semi Gut.