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Die ZSC Lions haben in einem hochstehenden, intensiven Spiel den EV Zug 5:3 besiegt und ihre Spitzenposition bestätigt. Bereits seit 2012 steht bei den Zürchern ein NHL-Coach an der Bande – und es funktioniert. Zwei Qualifikationssiege, zwei Titel, ein Final und ein Halbfinal.
Beim SC Bern, dem zweiten Titanen der Liga, funktioniert das «System NHL» hingegen nicht. Einmal Abstiegsrunde, einmal Halbfinal und jetzt Strichkampf und Krise. Wenn es so schwierig wäre, das «Ja-Wort» zu geben, würden keine Ehen mehr geschlossen. Marc Lüthi weicht einer Antwort, ob Guy Boucher auch am Dienstag in Lugano an der Bande stehen werde, immer wieder aus. Bis er sich nach dem siebten oder achten Anlauf des Fragestellers zu einem knurrigen «Ja» durchringt. Warum können die ZSC Lions mit einem NHL-Bandengeneral erfolgreich sein? Warum funktioniert es in Bern nicht?
Das SCB-Problem heisst nicht Guy Boucher. Er arbeitet gewissenhaft so, wie es in der NHL Recht und Brauch ist. Das Problem ist ein anderes: Seine Chefs verstehen ihn und das «System NHL» nicht.
Ein Blick über die Berner Stadtgrenzen hinaus zeigt uns, warum das so ist. NHL-Cheftrainer sind im besten Wortsinne Bandengeneräle. Sie sind zwar heute kommunikativer als noch vor 20 Jahren. Die Spieler einer neuen Generation und aus europäischen Kulturen lassen sich nicht einfach herumkommandieren wie einst die braven Burschen aus der kanadischen Weizenprärie. Die Dollarmillionen, die sie seit den 1990er Jahren verdienen, haben ihr Selbstvertrauen gestärkt.
Aber in den Grundzügen funktionieren die NHL-Bandengeneräle immer noch gleich wie im letzten Jahrhundert. Sie haben ihr Spielsystem und alle Macht bis zum letzten Arbeitstag. Und dieses System setzen sie durch. Wer nicht so spielen mag oder kann, wie es der Chef vorgibt, fliegt einfach raus. Ein Spieler passt sich an – oder scheitert. Ein NHL-Coach hat seine Philosophie und die NHL-Manager suchen sich die entsprechenden Coaches aus.
Darin liegt der fundamentale Unterschied zwischen unserem Hockey und der NHL: In Europa muss ein Trainer fähig sein, sein System den Spielern anzupassen. Weil er die Spieler ja nicht einfach beliebig austauschen kann. Und er muss auch fähig sein, Spieler auszubilden. Spieler weiterzubringen. Auf Spieler zu hören.
Die NHL-Generäle bilden keine Spieler aus. Weil es nicht notwendig ist. Die NHL-Unternehmen haben keine Juniorenabteilung. Die NHL ist eine «parasitäre» Liga und lässt die Spieler in den kanadischen Juniorenligen, in Europa und an den US-Hochschulen ohne angemessene finanzielle Entschädigung ausbilden. Roman Josi ist beispielsweise ein «Produkt» unserer Hockeykultur und nicht der NHL. Der SCB hat für ihn von Nashville nicht einen Rappen Ausbildungsentschädigung erhalten.
Wir können diese nordamerikanische Leistungskultur nicht übernehmen. Würden wir das tun, dann würden wir unser Hockey zerstören. Die NHL hat einen ungeheuren Spielerverschleiss. Sie holt Spieler und wer nicht taugt, fliegt raus. Unzählige begabte Spieler bleiben auf der Strecke – und niemanden kümmert es. Es ist ein gnadenloses, rücksichtsloses Auswahlprinzip.
Wir aber müssen zu jedem Spieler Sorge tragen. Ihm eine zweite, dritte und vierte Chance geben. Die NLA muss immer auch eine Ausbildungsliga sein – schliesslich hat jedes NLA-Unternehmen ja auch seine eigene Junioren-Abteilung. Würden wir das NHL-Leistungsprinzip bei uns anwenden, dann würden wir 70 Prozent der Spieler verlieren – und wir würden von der Hockey-Landkarte verschwinden.
Gerade diese unterschiedliche Ausbildungs- bzw. Leistungskultur macht den blinden NHL-Glauben gefährlich. Wer die NHL nicht aus eigenem Erleben, aus Gesprächen und Beobachtungen vor Ort kennt, wird leicht vom Glanz und Spektakel so geblendet und vom Milliarden-Business so beeindruckt, dass der kritische Verstand aussetzt. Dafür ist der SCB mit einem stark aufs Business fixierten Management ein typisches Beispiel.
Guy Boucher ignoriert die jungen Spieler. Wie jeder NHL-Coach zieht er im Zweifelsfalle den Routinier immer dem jungen Spieler vor. Er setzt talentierte junge Spieler jetzt nur ein, weil er nach vielen verletzungsbedingten Ausfällen keine anderen hat. Er lässt ein System spielen, für das er die Spieler gar nicht hat. Aber so hat er schon immer spielen lassen. Deshalb steht die SCB-Geldmaschine (50 Millionen Umsatz) seit seiner Amtsübernahme im Januar 2014 sportlich, spielerisch und taktisch still.
Aber warum funktioniert das NHL-Experiment in Zürich? Erstens sind Bob Hartley (Meister 2012) und Marc Crawford (Meister 2014, Finalist 2015) mehr als eine Nummer grösser als Guy Boucher. Beide haben einen Stanley Cup geholt, beide haben jahrelange Erfahrung in verschiedenen NHL-Organisationen, beide waren NHL-Coaches des Jahres. Guy Boucher ist hingegen ein gescheiterter NHL-Nobody. Bob Hartley und Marc Crawford entsprechen von der Kragenweite her in der NLA ungefähr Sean Simpson, Larry Huras, Harold Kreis oder Chris McSorley. Guy Boucher etwa Morgan Samuelsson.
Der entscheidende Unterschied ist indes der Arbeitgeber. ZSC-Manager Peter Zahner und Sportchef Edgar Salis haben Bob Hartley und Marc Crawford bereits vor der Anstellung erklärt, wie sie zu arbeiten haben. Dass die jungen Spieler eingesetzt und gefördert werden müssen. Dass sie sich unserer Hockeykultur anzupassen haben. Beide sind kluge Trainer und sind bzw. waren dazu in der Lage, diese Vorgaben mehr oder weniger umzusetzen.
In Bern haben es Marc Lüthi und Sven Leuenberger hingegen verpasst, Guy Boucher klare Vorgaben zu machen. Schlimmer noch: Sie passen sich dem Trainer an. Sie haben gar noch bei allen Spielertransfers und beim Engagement der Ausländer Guy Boucher blind vertraut – und der hat halt Spieler nach seinen Vorstellungen gefordert. Drei der aktuellen, vom SCB-Trainer geholten Ausländer, taugen nicht für die NLA.
Wir tun Guy Boucher also unrecht, wenn wir ihn für die Krise beim SCB verantwortlich machen. Der blinde NHL-Glaube von Marc Lüthi und Sven Leuenberger ist die tiefere, die wahre Ursache. Aber der SCB ist keine billige NHL-Kopie. Das SCB-Management muss wieder lernen, seine eigene, starke Kultur zu respektieren und zu pflegen und dafür zu sorgen, dass sich der Trainer dieser Kultur anpasst – und nicht umgekehrt. Der SCB muss sich wieder intensiver mit seiner sportlichen Kultur befassen. Wer sind wir? Was wollen wir? Welche Spieler und welche Trainer passen in unsere Kultur?
Die ZSC Lions haben klare sportliche Vorstellungen. Eine sportliche Unternehmens-Philosophie. Der SCB hat die nicht mehr. Das ist der Unterschied. ZSC-Manager Peter Zahner ist ein ehemaliger Spieler und Trainer und er war auch jahrelang ein erfolgreicher Sportdirektor beim Verband. SCB-Manager Marc Lüthi, ein exzellenter Kommunikator, Organisator und Verkäufer («Chole Marc») hat keine entsprechenden Erfahrungen und Sensibilitäten im sportlichen Bereich.
Die NLA tickt anders als die NHL. Das Schweizer Hockeygeschäft läuft anders als in Nordamerika. Der fehlende Respekt für unsere Hockeykultur wirkt sich in dieser Saison ja auch noch bei einem anderen Hockey-Unternehmen verheerend aus. Die Kloten Flyers bezahlen die von den neuen nordamerikanischen Besitzern diktierte Preispolitik mit den tiefsten Zuschauerzahlen der ganzen NLA.
Ergänzen könnte man aus meiner Sicht noch, dass die Vereinsstruktur bei den Lions viel ähnlicher derjenigen der NHL ist.
Klar hat das Farmteam eine andere Funktion als in der NHL.
Ein Grossteil der Ausbildung der jungen Spieler erfolgt aber im Farmteam. Und wenn ein junger Spieler sich in der NLA nicht durchsetzt fällt er nicht zwischen Stuhl und Bank. Dann hat er auch bei GCK Spielzeit und kann sich eine neue Chance erarbeiten.