Die Ordnung bricht am späten Abend des 26. April 2019 vorübergehend zusammen und zusätzliche Ordnungsleute müssen mobilisiert werden. So gross ist das Gedränge vor der Kabine der Schweizer in der alten Hockeyarea zu Sierre. Alle Chronistinnen und Chronisten wollen nach dem WM-Vorbereitungsspiel gegen Frankreich (6:0) unbedingt und möglichst schnell – es pressiert wegen dem Redaktions- und Sendeschluss – ein paar Worte von einem einzigen Spieler erhaschen: Von Nico Hischier (20).
Er hat in New Jersey soeben seine zweite NHL-Saison beendet. Nach mehr als 50 Junioren-Länderspielen und fünf Nachwuchs-Weltmeisterschaften spielte er in Sierre nun zum ersten Mal für die richtige Nationalmannschaft. Er steuert zum 6:0 gegen Frankreich drei Tore und ein Assist bei. So viel Aufregung um einen Neuling war noch selten.
Gut sechs Monate später. 10. November 2019. Deutschland Cup. Die Schweizer haben zum Abschluss des Turniers gegen Russland verloren (3:4 n.P.). Später werden sie wegen der Verlängerungs-Niederlage der Deutschen gegen die Slowakei trotzdem als Turniersieger feststehen.
Kein Gedränge vor der helvetischen Kabine in der Arena zu Krefeld. Dabei gäbe es erneut über einen interessanten Neuling zu berichten. Er trägt sogar den gleichen Namen: Luca Hischier hat beim Turnier seine zwei ersten Länderspiele bestritten und immerhin schon einen Assistpunkt gebucht. Beinahe sind wir versucht, mit Bertold Brecht zu sagen: stell Dir vor, ein Hischier spielte und niemanden interessierts.
Luca Hischier ist ganz einfach nicht so talentiert wie sein Bruder. Ganz nebenbei gesagt: Das gilt für alle anderen Spieler unserer höchsten Liga auch. Er hat den SCB im Sommer 2018 verlassen. «Weil ich in Bern nicht mehr weiterkam und es Zeit für eine Luftveränderung war.» Und ergänzt mit Sinn für Ironie: «Ich wählte den HCD unter anderem, weil ich sicher war, dass es dort mit Arno Del Curto Kontinuität und ganz sicher keinen Trainerwechsel geben würde…»
Der Herbst 2019 war nicht einfach: In einem Saison-Vorbereitungsspiel hatte er sich eine Gehirnerschütterung zugezogen. Deshalb konnte Luca Hischier erst drei Qualifikationspartien bestreiten – und er hat gleich drei Punkte produziert. Einen Punkt pro Spiel haben diese Saison erst elf Spieler in der Statistik und nur zwei sind Schweizer: Luca Hischier und Grégory Hofmann. Das Aufgebot für den Deutschland Cup ist also wohlverdient.
Im zweiten Jahr in Davos ist Luca Hischier im zweiten Sturm angelangt. Er ist in der NL noch nicht ganz so weit wie Nico Hischier in der NHL. Aber er ist ein smarter, vielseitig einsetzbarer Stürmer und sowieso ein Musterprofi mit allen Voraussetzungen für eine schöne Karriere in unserer National League. Und vielleicht reicht es eines Tages sogar für eine WM zusammen mit seinem Bruder.
Im gleichen Team haben die beiden ja schon einmal gespielt: Während der Saison 2015/16 kam Nico Hischier in 15 Spielen für den SCB (1 Tore) zum Zug und sein älterer Bruder war bereits Stammspieler (42 Spiele/7 Punkte). Dann trennten sich ihre Wege: Nico Hischier wechselte ins nordamerikanische Juniorenhockey und von dort nach nur einer Saison 2017 direkt in die NHL.
Nico Hischier hat in New Jersey inzwischen einen neuen Vertrag, der ihm in sieben Jahren 50,75 Millionen Dollar einbringen wird. Er verdient im Monat in Amerika also mehr als Luca in Davos oben in einem Jahr.
So unterschiedlich inzwischen die Hockeywelten der beiden Brüder auch sein mögen: im Auftreten unterscheiden sie sich nur unwesentlich. Beide haben die gleiche zurückhaltende, freundliche, sympathische Art an der auch Geld und Ruhm nichts zu verändern vermögen.
Nico Hischier bezeichnet seinen vier Jahre älteren Bruder noch immer als sein grosses Vorbild. «Es ist schön, dass er das sagt» erzählt Luca Hischier. «Er hat mir auch sofort zu meinem Nationalmannschafts-Aufgebot gratuliert und sich darüber gefreut.» Eine starke Hockey-Familie.
Einer aus der Familie wird ein NHL-Star und Millionär, der Bruder hingegen nicht: Im Hockey gar nicht so ungewöhnlich.
Alain Lemieux, der vier Jahre ältere Bruder des grossen Mario Lemieux – einer der Besten aller Zeiten – stürmte einst sogar drei Partien für den EHC Olten. Und Keith Gretzky, der sechs Jahre jüngere Bruder von Wayne Gretzky, dem grössten aller Zeiten, kam nicht über die Farmteamligen hinaus. Der elf Jahre jüngere Brent Gretzky verbrachte gar eine ganze Saison bei Graz in der österreichischen Liga.
Die Lemieux- und Gretzky-Brothers sozusagen wie die Gebrüder Hischier.