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Eismeister Zaugg

Die mit den Titanen tanzen – gelingt die Vollendung des offensiven Kunstwerkes?

Switzerland's forward Nino Niederreiter looks his teammates, during the IIHF 2018 World Championship preliminary round game between Switzerland and Austria, at the Royal Arena, in Copenhagen, Den ...
Momentaner Star im Schweizer Team: Nino Niederreiter.Bild: KEYSTONE
Eismeister Zaugg

Die mit den Titanen tanzen – gelingt die Vollendung des offensiven Kunstwerkes?

So respektlos sind die Schweizer noch selten mit einem der Titanen des Welteishockeys umgesprungen. Nicht nur der Punktgewinn (4:5 nach Penalty) gegen Tschechien ist erstaunlich – sondern auch die Art und Weise wie sie gespielt haben.
09.05.2018, 04:5809.05.2018, 06:39
Klaus Zaugg, Kopenhagen

Einst galten bei der WM die Partien der Schweizer als die langweiligsten. Als Strafaufgaben für die NHL-Scouts. Zu viel Taktik. Zu enge Räume. Zu viel Disziplin. Zu viel Berechnung. Zu gute Defensivorganisation. Zu kluges Coaching und zu wenig Tore.

Aber wir konnten nicht anders. Wir hatten nicht die Spieler, um mit den Titanen zu tanzen. Wir mussten den Titanen auf den Füssen stehen. Langweiliger als den Schweizern zuzusehen, war nur noch, jemandem zuzuschauen, der den Schweizern zuschaute.

Die Highlights der 4:5-Niederlage nach Penaltys.Video: YouTube/IIHF Worlds 2018

Das begann sich erst ab 2010 nach und nach zu ändern. Mit der Amtsübernahme von Patrick Fischer hat im Herbst 2015 das Zeitalter des Spektakels begonnen und gegen Tschechien soeben einen ersten Höhepunkt erreicht. Weitere sind zu erwarten.

Die Partie Schweiz gegen Tschechien war ein Spektakel. Ein Drama. Allerbeste Unterhaltung auf jeden Fall und wurde, wie es sich bei so einer grossen Partie gehört, erst im 10. Penalty entschieden. Als ob sich die Hockeygötter nicht hätten entscheiden können, wem sie nun den Sieg geben sollten.

Die Schweizer sind hier in Kopenhagen tatsächlich offensiv so spektakulär wie seit der WM 1951 in Paris (Bronze) nicht mehr. Was früher Taktik, Defensivorganisation und Torhüterleistung, das sind jetzt Tempo, Wucht und Kreativität.

Patrick Fischer, head coach of Switzerland national ice hockey team, speaks to the media, after a training session of the IIHF 2018 World Championship at the practice arena of the Royal Arena, in Cope ...
Patrick Fischer lässt Spektakel-Hockey spielen, oder ist es Pausenplatz-Hockey?.Bild: KEYSTONE

NHL-Star setzt Forderungen in Taten um

Vier Tore, zwingend herausgespielt gegen Tschechien, einen der Grossen des Welteishockeys und gegen Pavel Francouz, diese Saison einer der besten KHL-Torhüter, der in die NHL zu Colorado wechseln wird, sind Zeichen für den Stilwandel. Eines Stilwandels, den Nationaltrainer Patrick Fischer seit seinem Amtsantritt fordert und jetzt unter der Führung von NHL-Star Nino Niederreiter in die Tat umgesetzt wird.

Das wilde, bisweilen chaotische «Pausenplatzhockey» der WM 2016 beginnt langsam aber sicher zu funktionieren. Die Frage ist, ob es gelingt, dieses offensive Kunstwerk zu vollenden. Will heissen: die Balance zwischen Offensive und Defensive während eines ganzen Spiels zu wahren. Dann sind die Halbfinals möglich.

epa06720411 Switzerland's forward Nino Niederreiter, left, vies for the puck with Czech Republic's forward Radek Faksa, right, during the IIHF 2018 World Championship preliminary round game  ...
Nino Niederreiter (l.) klaut dem Tschechen Radek Faksa den Puck.Bild: EPA/KEYSTONE

Die Art und Weise, wie respektlos und selbstsicher die Schweizer mit den Tschechen vor allem in den ersten 30 Minuten umgesprungen sind, war beeindruckend. In dieser Phase ist der Sieg verpasst worden. Es gelingt zweimal das Spiel nach einem Zweitore-Vorsprung (3:1, 4:2) nicht zu stabilisieren. Patrick Fischer wird hinterher sagen: «Klar, das tut weh, aber das kann im Eishockey passieren. Es ist uns passiert und ist auch schon anderen passiert. Wir hätten den 3:1 und 4:2-Vorsprung länger halten sollen. Diesmal war unsere Defensive ein wenig durchlässig …»

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Der beste Stürmer

Tatsächlich erzielten die Tschechen nur 22 Sekunden nach dem 2:4 den Anschlusstreffer zum 3:4. Nun, Kritik ist nicht angebracht. Die Schweizer hatten ja auch nur 192 Sekunden gebraucht, um aus dem 1:1 ein 3:1 zu machen. Das miserable Eis «verfälscht» immer wieder die Rutschbahn des Pucks und hat zum Spektakel beigetragen.

Die Rolle, die Nino Niederreiter in diesem WM-Team spielt, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er ist noch mehr als bei der Silber-WM von 2013 der offensive Leitwolf, der mit seinem rauen, direkten, mutigen Spiel den offensiven Takt vorgibt und seine Mitspieler mitreisst. Er war in den bisherigen drei Partien gegen Österreich (3:2 n.V.), die Slowakei (2:0) und nun gegen Tschechien vielleicht der beste Stürmer, den wir seit dem Wiederaufstieg von 1998 in einem WM-Team hatten. Er stürmte neben Enzo Corvi und Sven Andrighetto und erzielte zwei Treffer.

Switzerland's forward Nino Niederreiter, right, celebrates his goal with teammates forward Gaetan Haas, left, and forward Simon Moser, center, after scoring the 2:4, during the IIHF 2018 World Ch ...
Nino Niederreiter traf zweimal.Bild: KEYSTONE

So unkonventionell und modern die Schweizer auch gespielt haben mögen – entschieden hat die Partie letztlich doch eine uralte Hockey-Weisheit: der (noch) bessere Torhüter nämlich. Leonardo Genoni hatte eine kritische Phase im mittleren Abschnitt, als er aus vier Schüssen drei Treffer (das 2:3, 3:4 und 4:4) kassierte. Aber ihn dafür zu kritisieren, wäre billig – und entbehrt jeder fachlichen Grundlage. Im letzten Drittel und in der Verlängerung hielt er die Schweizer mit mehreren grossen Paraden im Spiel und ermöglichte den Punktgewinn. Im Penaltyschiesssen wurde er erst im 5. allerletzten Versuch zum Siegestreffer bezwungen. Noah Rod, Sven Andrighetto, Nino Niederreiter, Envzo Corvi und Grégory Hofmann waren bei ihren Versuchen gescheitert.

Die Schweizer hatten vor diesem Penalty-Drama, zwei Gelegenheiten zur Entscheidung und drei Punkten. In der 52. Minute vermochten sie eine Vierminutenstrafe nicht zum 5:4 zu nützen und in der 56. Minute brachte Joël Vermin (er war in Unterzahl entwischt und wurde gefoult) einen Penalty nicht am tschechischen Goalie. «Der Puck ist mir von der Stockschaufel gerutscht und so war es nicht mehr möglich, hoch ins Netz zu schiessen.»

Woraus wir ersehen, dass der Sieg durchaus möglich und verdient gewesen wäre.

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42 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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TheNormalGuy
09.05.2018 08:03registriert September 2017
Also so wie die Schweiz die ersten beiden Drittel gespielt hat... sowas habe ich schon lange nicht mehr gesehen! Da kamen mir ja fast die Freudentränen. Die Pässe waren genau und knackig. Es wurde nicht lange gefackelt und im richtigen Moment abgezogen. Hut ab! War ein richtig geiler Match!
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MyPersonalSenf
09.05.2018 07:54registriert Mai 2018
Bissher mit Abstand das beste Nati-Spiel welches ich je gesehen habe seit ich denken kann.. klar hötte man gewinnen können aber es hätte auch ganz anders ausgehen können ( siehe big-save von Genoni 1 Sekunde vor Ende de 2. Drittels).

Phasenweise musste man sich echt fragen ob diese Power Mannschaft auf dem Eis wirklich die Schweiz war und das allein war es schon Wert.

Wieviel davon wegen Pateick Fischer ist weiss ich nicht, jedoch würde ich ihn weder in den Himmel loben noch komplett „Bashen“.. ich bin jedoch eher der Meinung, die Spieler haben entschieden einfach geil zu spielen ;-)
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govolbeat
09.05.2018 08:05registriert Dezember 2016
Habe mir seit langem wieder ein Spiel der Hockey-Nati in voller Länge angeschaut...und wurde nicht enttäuscht. Geiles Rumpelhockey gepaart mit Mut und einem überragenden El Nino....schade dass es nicht bis zum Schluss durchgezogen werden konnte.

Aber keine Zeit zum überlegen, heute geht es weiter und ich werde mit Sicherheit wieder dabei sein. Hopp Schwiiz, der Viertelfinal ist in Reichweite.
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