Drei Buchstaben lähmen das gesunde Urteilsvermögen jedes Kanadiers. NHL. In die NHL will jeder, von der NHL träumt jeder und alles, was aus der NHL kommt ist besser.
Das ist der Grund, weshalb die WM-Nomination von Damien Brunner (ex-NHL) nie in Frage stand und warum Lino Martschini und Inti Pestoni (nur NLA) nie eine WM-Chance hatten. Obwohl sie vor der WM besser in Form waren als Brunner. Das ist auch der Grund, warum in der Schlussminute gegen Österreich, als es darum ging, das 3:2 über die Zeit zu bringen, zum einzigen Mal bei dieser WM auf einmal die beiden NHL-Verteidiger Roman Josi und Mark Streit gemeinsam auf dem Eis standen – und prompt schaffte der Aussenseiter den Ausgleich.
Nationaltrainer Glen Hanlons blinder NHL-Glaube liess ihn auch noch während der WM von einem Einsatz von Nino Niederreiter träumen und er mochte auf entsprechende Fragen nicht sagen, dass der NHL- Stürmer nicht nachnominiert wird. Dabei hatte ihm Nino Niederreiters Agent schon vor der WM unmissverständlich gesagt, dass sein Klient nicht zur WM kommen wird, wenn dieser mit Minnesota die erste Runde übersteht.
2013 hat uns dieser blinde NHL-Glaube der Kanadier wahrscheinlich den WM-Titel gekostet. Im WM-Finale setzte Nationaltrainer Sean Simpson wider besseres Wissen Martin Gerber statt Reto Berra ein. Berra hatte uns beim 3:0 gegen die USA ins Finale gehext und war in der Form seines Lebens.
Er erreichte bei der WM 2013 bei vier Einsätzen eine Fangquote von grandiosen 96,70 Prozent. Aber er hatte bis dahin nur bei den ZSC Lions, Davos und Biel gespielt. Martin Gerber hingegen bei Anaheim, Carolina, Ottawa und Toronto. Also in der NHL. Einer der Gründe für die 1:5-Finalniederlage gegen Schweden bei einem Torschuss-Verhältnis von 27:27: Martin Gerber spielte eines seiner schwächsten Spiele im Nationalteam.
Vor der WM 2015 hat Glen Hanlon wider besseres Wissen Reto Berra voreilig zur Nummer 1 erklärt. Dabei spielte Leonardo Genoni schon in den Playoffs in der Form seines Lebens. Aber Reto Berra hat diese Saison bei Colorado in der NHL gespielt. Leonardo Genoni hingegen nur beim HC Davos. NHL ist halt bei einem Kanadier immer besser.
Die Bilanz bei dieser WM: Leonardo Genonis Fangquote aus drei Spielen steht bei 95,52 Prozent. Er ist die Nummer 2 aller WM-Goalies. Reto Berra hat 86,96 Prozent aller Schüsse gehalten. Er ist die Nummer 17 aller WM-Torhüter. Trotzdem hat sich Glen Hanlon wider besseres Wissen noch nicht dazu durchgerungen, Leonardo Genoni fürs Viertelfinale zu setzen.
Wir können allerdings davon ausgehen, dass er über seinen Schatten springen und es doch tun wird. Dass er entgegen seiner innersten Überzeugung einen NLA-Goalie und nicht einen NHL-Torhüter für sein bisher wichtigstes Spiel im Viertelfinale ins Tor stellt. Wenn nicht, müsste seine Entlassung thematisiert werden.
Reto Berra ist so oder so der tragische Held von Prag. Er hat die hohen Erwartungen nicht erfüllen können. Dabei hatte er das Pech, in den falschen Spielen den Kopf hinhalten zu müssen. Er büsste für die miserable Einstellung seiner Vorderleute im Startspiel gegen Österreich (3:4 n.P) und im dritten Einsatz musste er beim 2:7 gegen Kanada die Rechnung für die Auflösungserscheinungen der Mannschaft bezahlen.
Aber Reto Berra wird in den nächsten zwei Jahren einer der meistbeachteten Schweizer Spieler sein. Sein Dreijahresvertrag, durchschnittlich dotiert mit 1,45 Millionen Dollar, läuft noch bis 2017. Er ist 28 und hat noch mindestens sieben bis zehn gute Goalie-Jahre vor sich.
In den nächsten zwei Jahren braucht der SC Bern einen neuen Torhüter. Der Vertrag mit Marco Bührer läuft 2016 aus. Die Frage, die SCB-Sportchef Sven Leuenberger umtreibt: Wäre Reto Berra bereit, seinen NHL-Vertrag in einem Jahr fahren zu lassen um nach Bern zu wechseln? 1,45 Millionen Dollar brutto entsprechen etwa einem Nettosalär von 700'000 Dollar. Bei einer SCB-Offerte über sechs Jahre und 3,5 Millionen würde sich Reto Berra wohl die vorzeitige Rückkehr in die NLA überlegen und die Torhüterprobleme beim SCB lösen.
Oder doch nicht? Eine Kapitulation in der NHL weist Reto Berra jetzt jedenfalls weit von sich. Er denkt nicht einmal daran, sein NHL-Abenteuer vorzeitig abzubrechen. «Ich habe hart gearbeitet um in die NHL zu kommen. Aufgeben kommt für mich ganz sicher nicht in Frage.» Er hat es in Colorado unter Trainer Patrick Roy nicht einfach. «Aber es war eben auch eine schwierige Situation. Vor einem Jahr lief alles gut. Doch diese Saison geriet selbst er in die Kritik.»
Patrick Roy gilt als einer der besten NHL-Goalies aller Zeiten. Es dürfte gerade für einen Torhüter unter diesem Trainer nicht einfach sein. Patrick Roy kritisierte den Schweizer öffentlich wegen mangelnder Arbeitseinstellung und schickte ihn zwischendurch ins Farmteam. Reto Berra beklagt sich nicht. «Die Kritik hat schon ihren Grund. Ich war über eine so lange Zeit die Nummer zwei und in dieser Situation bist du immer der erste im Training und der letzte, der vom Eis geht. Dabei geht viel Energie verloren. Ich habe wohl ab und zu im Training nicht einen energiegeladenen Eindruck gemacht.»
Reto Berra wird im nächsten Herbst im Trainingscamp den Kampf um die Torhüterpositionen bei Colorado wieder aufnehmen. In den letzten Partien der NHL-Saison, als die Playoffs nicht mehr möglich waren, hatte er wieder eine Chance bekommen – und spielte gut, bekam exzellente Kritiken und viel Anerkennung. In insgesamt 19 NHL-Einsätzen kam er auf eine gute Fangquote von 91,80 Prozent und gewann drei seiner letzten fünf NHL-Spiele. Darauf lässt sich aufbauen.
2013 in Stockholm war er ein Silberheld. 2015 haben die Hockeygötter für ihn bei der WM keine Heldenrolle vorgesehen. In einem Jahr kann schon alles wieder anders sein.