Nur selten ist schon nach ein paar Minuten so klar, wer gewinnen wird, wie bei diesem Auftakt der Pre-Playoffs in Bern. Klotens Trainer Jeff Tomlinson sagt: «Wir sind eingeschüchtert worden.» Eingeschüchtert. Vom SC Bern. Das ist in einem Satz die ganze Wahrheit. Nicht nur für diesen Auftakt gegen Kloten. Das ist die ganze Wahrheit für die letzten vier Jahre.
Eingeschüchtert: Das war einst, bis vor vier Jahren, so selbstverständlich wie der Berner Marsch vor dem Spiel. Inzwischen ist diese «Rumpelkultur» beinahe in Vergessenheit geraten und lebte nur noch in den wehmütigen Erinnerungen fort, die nach dem Spiel in der Stadionbeiz ausgetauscht worden sind. «Weisch no …»
Wenn der wahre SCB ein wenig zu rumpeln geruht, dann braucht es nicht mehr Chris DiDomenico vorne und hinten, unten und oben, in allen drei Zonen und überall. Dann bekommen auch seine Spielkameraden Auslauf. «DiDo» hatte bloss am drittmeisten Eiszeit der Stürmer und war nur mit einem einzigen Assist an den fünf Toren beteiligt. Am schon fast bedeutungslosen 4:1. Und Jesper Peltonen, Mischa Ramel, Michael Loosli oder Keanu Derungs ein wenig einzuschüchtern, ist für Simon Moser oder Tristan Scherwey eigentlich keine Heldentat.
Das Hockey hat sich zwar durch die strengere Regelauslegung seit den Zeiten der «Big Bad Bears» (Meister 1989, 1991, 1992 und 1997) erheblich verändert. So rumpeln wie im letzten Jahrhundert ist nicht mehr möglich. Tempo, Taktik und Technik sind wichtiger geworden. Die letzten SCB-Titel (2016, 2017 und 2019) sind auch der Taktik («Schablonen-Hockey») und technischen und läuferischen Feinheiten geschuldet. Aber erst die physische Überlegenheit, die Einschüchterung der Gegenspieler machten Tempo, Taktik und Technik meisterlich und waren bis vor vier Jahren ein Kernelement der Stadtberner Hockeykultur. Die ins vierte Jahr gehende tiefste sportliche Depression seit dem Wiederaufstieg von 1986 hat eine ihrer zentralen Ursachen im Fehlen dieses rauen Elementes.
Ist der wahre SCB nach den heftigen internen Turbulenzen nun gegen Kloten nach vier Jahren Winter-, Sommer-, Herbst- und Frühlingsschlaf aufgewacht? Hat sich der Zorn von Marc Lüthi endlich in die Kabine, auf die Spielerbank und aufs Eis verlagert? Der neutrale Beobachter mag einwenden, Kloten habe immerhin bis zur 17. Minute 1:0 geführt. Mit Chancen zum 2:0. Was, wenn Kloten das 2:0 gelungen wäre? Klotens Trainer Jeff Tomlinson ist Realist. Er sagt: «Unsere 1:0-Führung war bloss Kosmetik.»
Nach 52 Runden zwischen September und Anfang März trennte den SCB bloss ein einziger Punkt von Kloten. Und jetzt scheinen beim Pre-Playoff-Auftakt Welten zwischen diesen beiden Teams zu liegen. Was für den SCB eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste – ein Weiterkommen gegen einen «schmalbrüstigen» Aufsteiger –, wird nach den Irrungen und Wirrungen dieser Saison ein Schlüsselerlebnis wie früher eine Finalqualifikation.
Der EHC Kloten ist als Aufsteiger mit dem Erreichen der Pre-Playoffs einer der grossen Sieger dieser Saison. Mit dem Stranden in den Pre-Playoffs ist der SCB hingegen einer der Verlierer. Oder etwas polemischer: Mit den «Spurt-Playoffs» geht in Kloten die Saison gefühlt zu Ende. In Bern aber hat die Saison mit den Pre-Playoffs noch einmal begonnen. Mit der Chance zur Korrektur und zur Rettung von ein paar Jobs.
Die Klotener werfen das Handtuch nach der ersten Niederlage natürlich noch nicht. Obwohl die Statistik gegen eine Wende spricht: Von den bisher vier ausgetragenen Pre-Playoff-Serien ist es nur Lausanne (gegen Ambri) im letzten Frühjahr gelungen, eine Startniederlage zu korrigieren.
Eine Wende gelingt Kloten nicht mit taktischen Korrekturen. Jeff Tomlinson kramt die Filzstifte aus der Hosentasche, die er zu Aufzeichnungen auf der Taktik-Tafel während eines Time-Outs verwendet hätte. Er sagt: «Die kann ich jetzt eigentlich wegschmeissen.» Es sei alles eine Frage der Energie und der Psychologie.
Die Energie brauchen die Klotener, um ihre läuferischen und spielerischen Qualitäten zu entfalten und den Bernern vielleicht doch noch davonzulaufen. Ob sie sich erneut einschüchtern lassen oder dem Gegner entschlossen und mutig und ohne Furcht entgegentreten, ist eine Frage der Psychologie. Eine Frage der Psychologie ist allerdings auch, ob die Berner nach dem Auftakt demütig bleiben oder hoffärtig werden.
Wenn der SCB die Pflicht gegen Kloten erfüllt (wird diese Pflicht nicht erfüllt, dann ist es die grösste Schmach seit dem Wiederaufstieg), dann folgt schon die nächste Frage.
Eine Frage, die womöglich die Meisterschaft entscheidet: Lassen sich im Viertelfinal auch Servette oder Biel vom SCB einschüchtern?
Mit Wucht sind sie zurückgekehrt.
Die Frage ist, bleiben sie wach oder war das schon das ganze Feuerwerk?
Auflösung folgt demnächst.