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Nein, nach der Niederlage in Biel (1:3) sind keine Anzeichen von Panik feststellbar. ZSC-Sportchef Edgar Salis lehnt im alten Bieler Eisstadion im Kabinengang an der Wand und sagt nachdenklich: «Ich bin jetzt das allerletzte Mal hier. Ja, ich habe viele Erinnerungen. Als Spieler habe ich hier oft verloren …» Ein Zaungast kommt vorbei und sagt, nun drohe dem ZSC am Samstag das gleiche Schicksal wie vor einem Jahr: Die Saison am gleichen Tag beenden wie die Kloten Flyers. Sagt Salis: «Nur das nicht …»
Der ZSC Sportchef weiss aus Erfahrung, dass Panik falsch wäre. «Ich werde ganz sicher nicht in die Kabine gehen und eine Rede halten. Das mache ich sowieso nie. Auch unser Präsident wird es nicht tun.» Und Trainer Marc Crawford will nichts von Toben wissen. «Darum geht es nicht. Das ist nicht notwendig. Wir haben eine Gruppe von erfahrenen Spielern.» Ob Leitwolf Mathias Seger ins Team zurückkehren wird, verrät er nicht. «Wir werden sehen. Jeder Spieler ist für uns wichtig, nicht nur die Routiniers. Auch ein Junior kann viel helfen …»
Topskorer Roman Wick trauert ein wenig den vergebenen grossen Chancen nach. «Biel hat gut gespielt, das müssen wir anerkennen. Aber wir hatten unsere Chance.» Er weiss aus Erfahrung, was in diesem 7. Spiel auf die Mannschaft zukommt. Die ZSC Lions mussten letzte Saison gegen Lausanne auch in der ersten Runde ins 7. Spiel. «Wir sind in dieser Situation als Mannschaft noch enger zusammengerückt.» Das könne wieder passieren.
Die Zuversicht und Besonnenheit eines Champions, der um seine Stärken weiss. Und tatsächlich haben ja die Zürcher in den letzten Jahren die 7. Spiele alle gewonnen. 2012 Spiel 7 im Final in Bern (2:1), 2013 im Viertelfinale zu Hause gegen Davos (2:0), im letzten Frühjahr im Viertelfinale (1:0 gegen Lausanne) und im Halbfinale (4:0 gegen Servette) – am Ende stand letzte Saison der Titel nach einem Finale von nur vier Partien gegen die Kloten Flyers.
Die ZSC Lions haben in vier 7. Playoffpartien bloss ein einziges Tor kassiert. Die Statistik scheint klar. Aber es gibt eben zwei Interpretationen. Die eine sagt: die ZSC Lions sind im 7. Spiel unschlagbar. Die andere: je länger eine Serie dauert, desto näher ist das Ende dieser Serie.
Auch die Bieler haben sich in 7. Spielen mit Kevin Schläpfer schon zweimal unter maximalem Druck bewährt. Sie gewannen 2009 (5:1) und 2010 (3:2) gegen Lausanne das 7. Spiel der Liga-Qualifikation.
So oder so war diese 6. Partie in Biel ein grosses Spiel, ja eine Partie, die unter die Haut ging. Hätten die Bieler verloren, wäre es der letzte Auftritt im alten Stadion gewesen. Vor dem Spiel wird Georg Schwabs schwermütiger Seeland-Blues («Hie bini deheim») gespielt und so mancher Zuschauer dürfte feuchte Augen gehabt haben.
Es war, als sei die Zeit stehen geblieben. 57 Jahre lang. Wahrscheinlich hat es so angefangen wie es gestern vorerst zu Ende gegangen ist. Die Kunsteisbahn Biel (auf deren Areal dann 1972 das Eisstadion gebaut wurde) ist am 21. November 1958 offiziell eröffnet worden. Biel, damals in der 1. Liga, siegte in einem Testspiel gegen Meister Arosa 4:2.
Der Chronist des «Bieler Tagblattes» schrieb über diesen historischen Moment:
«Wohl keiner der über 5'000 Zuschauer dürfte nach dieser denkwürdigen Partie enttäuscht nach Hause gekehrt sein. Fast noch mehr als der unerwartete Erfolg vermochte die Art und Weise zu begeistern, wie dieser Sieg erfochten wurde. Man traute kaum seinen Augen, wie respektlos die Bieler mit diesem Gegner umsprangen, kaum je einen Klassenunterschied erkennen liessen, konditionell das vorgelegte Tempo prächtig mithielten und schliesslich für ihren Kampfgeist mit dem verdienten Erfolg belohnt wurden. Gesamthaft betrachtet war es eines der besten Spiele, die der EHC Biel je geliefert hat und wir möchten ihm die volle Anerkennung dafür nicht versagen.»
Diesen Worten ist nichts beizufügen. Genau so war es jetzt am Donnerstagabend beim 3:1 gegen die ZSC Lions. Die Bieler besiegten im besten Spiel der Saison wieder einen Meister. So wie damals, als vor 57 Jahren alles angefangen hat. Bloss war es nicht Arosa. Sondern die ZSC Lions.
Ein verdienter Sieg. Nach dem klassischen Muster. Der Torhüter ein Held (Simon Rytz), die Ausländer da, um entscheidende Tore zu schiessen (Ärlbrandt zum 1:0 und zum 3:1). Die Schweizer um mit ihrer Leidenschaft das Team zu tragen, allen voran Philipp Wetzel, der seine beste Saison, seine grandiose Leistung im gestrigen Spiel mit dem 2:1 krönte.
So schön, so dramatisch, so einfach kann es im Eishockey sein. Diese Mischung aus Siegesfeier, Melancholie und Bewusstsein, einen historischen Moment erlebt zu haben hat es in dieser altehrwürdigen Arena wohl nur ganz, ganz selten gegeben.
Die Entscheidung fällt nun im 7. Spiel am Samstag. Gewinnt Biel, dann war es noch nicht das letzte Spiel im alten Stadion. Dann stehen die Seeländer nach 1990 zum zweiten Mal in seiner Geschichte im NLA-Halbfinale und tragen mindestens zwei weitere Heimspiele aus. Am 7. Spieltag der Viertelfinals ist noch immer beides möglich: Ein Final zwischen den ZSC Lions (1.) und dem SC Bern (2.) aber auch zwischen Lausanne (7.) und Biel (8.).
Wenn die ZSC Lions dieses 7. Spiel gewinnen, dann werden wir im Rückblick, im Wissen ums Resultat, die Besonnenheit des Titelverteidigers rühmen. Wir werden vom Selbstvertrauen, von der Klasse und der Professionalität eines grossen Champions fabulieren, das alles habe man schon nach dem 6. Spiel im Kabinengang des Bieler Eisstadions gespürt. Und wir werden den Trainer und den Sportchef rühmen, die beide in dieser heiklen Situation wie schon im Vorjahr die Nerven nicht verloren haben. Und wir werden sagen, nun seien die Zürcher Titelfavorit Nummer 1.
Sollten die ZSC Lions dieses 7. Spiel verlieren, dann werden wir im Rückblick, im Wissen ums Resultat, die Überheblichkeit, ja Arroganz des Titelverteidigers kritisieren. Man habe schon nach dem 6. Spiel in Biel im Kabinengang gespürt, dass die Zürcher ihrer Sache zu sicher seien und Coach Marc Crawford habe die Situation ebenso unterschätzt wie Sportchef Edgar Salis.
Ja, so ungerecht kann Eishockey sein und so einfach hat es der Chronist. Nach dem Kriege ist jeder Soldat ein General und nach einem 7. Spiel jeder Chronist ein Experte.