Transfers von Schweizer Spielern zur Unzeit haben bisher eigentlich noch nie spektakuläre Folgen gezeigt. Aber nun könnte ein Klubwechsel während einer laufenden Qualifikation dramatische Auswirkungen haben und den Meister die Playoffs (und die Titelverteidigung) kosten.
Eigentlich war Niklas Schlegel ja ausersehen, der Nachfolger von Leonardo Genoni zu werden. Er hat bei weitem genug Talent, um in diesen grossen Schuhen zu stehen. Aber Anfang Dezember ist dieses Experiment vorzeitig abgebrochen worden. Der SCB hat Tomi Karhunen als neue Nummer 1 verpflichtet. Hätte sich der Meister damit begnügt, dann würde er jetzt einer mehr oder weniger sicheren Playoff-Qualifikation in ruhigen Gewässern entgegensegeln.
Mit einer Fangquote von 93,51 Prozent und 1,90 Gegentoren pro Partie ist der finnische SCB-Schlussmann die Nummer 1 der Liga und gibt der Mannschaft in jedem Spiel die Chance auf einen Punktgewinn. Mit ihm haben die Berner nur in 3 von 15 Partien nicht gepunktet.
Weil die Berner aufs Geld achten – was überaus rühmenswert ist – lohnen sie nicht drei Torhütern. Zwei genügen. Mit Pascal Caminada haben sie ja eine Nummer 2. Also ist der Vertrag mit Niklas Schlegel inzwischen aufgelöst worden und der Zürcher spielt nun für Lugano. Mit fatalen Folgen für den SCB.
Niklas Schlegel hat zwar, wie wir wissen, viel Talent. Aber er ist mental nicht robust genug, um die Nummer 1 zu sein. In Lugano muss er nicht mehr die Nummer 1 sein und zeigt wieder sein bestes Hockey. Aber da ist noch etwas anderes: Lugano hat mit Sandro Zurkirchen noch einen zweiten talentierten Torhüter, der nicht zur alleinigen Nummer 1 taugt und einen grossen Vorgänger (Elvis Merzlikins) nicht ganz zu ersetzen vermag. Der ehemalige Zuger hext nur dann, wenn er starke interne Konkurrenz hat. Erst zweimal während seiner Karriere war er ein grosser Torhüter: in Ambri, als er sich die Arbeit mit Nolan Schaefer teilen musste (2013/14), und letzte Saison in Lausanne, als Luca Boltshauser ein ebenbürtiger Konkurrent war. Nur in diesen beiden Jahren kam er auf eine Fangquote von über 92 Prozent.
Diese These ist keine haltlose Polemik. Lassen wir einfach die Statistiken dieser Saison sprechen. Es sind erstaunliche Zahlen. Die etwas trockene, langweilige Aufzählung ist notwendig. Wer will, kann den nächsten Abschnitt überspringen und dann weiterlesen. Wir führen einfach den Beweis, dass Sandro Zurkirchen ohne starke interne Konkurrenz kein grosser Goalie ist. Falls ich mich vertippt habe, spielt es keine Rolle: Der Trend stimmt, der Beweis gilt.
Also: In den ersten fünf Partien kommt Sandro Zurkirchen lediglich zweimal auf eine Fangquote von über 92,00 Prozent (ab 92,00 Prozent reden wir von einem grossen Goalie). Beim 3:2 n. P. in Zug und beim 4:2 gegen den SCB. Im sechsten Spiel in Biel bekommt Stefan Müller eine Chance und hext Lugano in der Verlängerung mit 92,31 Prozent zum Sieg (4:3). Oha! Ist der Österreicher mit Schweizer Lizenz am Ende doch ein Herausforderer? Es scheint so. Sandro Zurkirchen reagiert umgehend und sichert mit 94,12 Prozent den Sieg in Ambri (2:1). Und gleich darauf hält er gar 97,12 Prozent der Schüsse gegen die ZSC Lions (3:1). Er setzt ein Ausrufezeichen.
Nun bekommt wieder Stefan Müller eine Chance, versagt in Langnau (3:4 n. P.) mit einer Quote von 88,46 Prozent. Also doch kein Herausforderer. Und der Alltag schleicht sich wieder ein. Bereits beim 6:3 gegen die Lakers begnügt sich Sandro Zurkirchen mit 87,50 Prozent. Nicht viel besser ist er bei der 1:4-Pleite gegen Gottéron (87,45 Prozent). Und in Lausanne sind es dann beim 2:5 bloss noch 84,00 Prozent. Wir sehen: Keine Konkurrenz, schwache Quote – und ein Torhüterproblem für Lugano.
Der tüchtige Sportchef Hnat Domenichelli tut seine Pflicht und schaut sich um. Spätestens für die nächste Saison will er einen starken zweiten Torhüter und erkundigt sich bei Niklas Schlegels Agenten, ob es eventuell eine Möglichkeit gebe, den SCB-Goalie trotz weiterlaufendem Vertrag (bis 2021) zu verpflichten. Niklas Schlegel ist ja nach der Ankunft von Tomi Karhunen in Ungnade gefallen.
Bald wird man sich handelseinig. Der Vertrag von Niklas Schlegel wird per Saldo aller Ansprüche und ohne Kosten für den SCB aufgelöst. Der Zürcher zügelt nach Lugano. Die Wirkung ist erstaunlich.
Auch hier eine trockene Aufzählung, um den Beweis zu führen, welch heilsamen Einfluss interne Konkurrenz auf Sandro Zurkirchen hat und wie stark Niklas Schlegel sein kann, wenn er nicht mehr allein die Verantwortung zu tragen hat. Wer will, kann auch diesmal den nächsten Abschnitt überspringen.
Seit Niklas Schlegel zum ersten Mal gemeinsam mit Sandro Zurkirchen auf dem Matchblatt stand (bei der 2:3-Niederlage in Davos), hat Lugano fünf von acht Partien gewonnen und die beiden Goalies erreichen statistische Spitzenwerte: Für Sandro Zurkirchen werden Bestwerte gegen Lausanne (95,50 Prozent), Bern (93,10 Prozent), Servette (100 Prozent) und Langnau (94,40 Prozent) notiert. Niklas Schlegel brilliert gegen Davos mit 96,70 Prozent, in Zürich mit 96,40 Prozent. Noch Fragen?
Womit wir zur Schlussfolgerung kommen: Der SCB hat mit der Freigabe von Niklas Schlegel versehentlich Luganos Torhüterproblem gelöst. Ausgerechnet Lugano bedrängt nun den Meister im Ringen um die letzten Playoffplätze. Undank war halt schon immer der Welten Lohn.
Schaffen die Tessiner auf Kosten der Berner doch noch die Playoffs, dann können wir mit etwas Boshaftigkeit, aber gestützt auf Fakten sagen, der SCB habe für ein paar Silberlinge seine Seele, die Playoffs und die Titelverteidigung verkauft. Und Kari Jalonen ist (fast) aus dem Schneider. Denn mehr als ein paar Silberlinge hat SCB-Manager und -Mitbesitzer Marc Lüthi bei einem SCB-Konzernumsatz von über 50 Millionen mit dem «Schlegel-Handel» nicht gespart. Und das Geld, das er mit diesem Goalie-Geschäft gespart hat, kann er zügig, aber ohne Hast in die Vertragsauflösung mit Kari Jalonen investieren.
Schafft der SCB trotzdem die Playoffs, so loben und preisen wir Marc Lüthis «Schlegel-Handel» als wunderbaren Beitrag zur Erhöhung der Spannung und Bereicherung der Unterhaltungskultur. Und um spannende Unterhaltung geht es ja. Oder?
Ich meine, was wäre die Alternative gewesen? Schlegel noch ein halbes Jahr durchzufüttern ohne Chance auf Einsätze? Nee sorry. Das wäre nur noch Schikane und völlig unsportlich.
Es gehört einfach zum Sport dazu, dass Spieler auch zur Konkurrenz Wechseln. Und dass es da halt manchmal besser passt.
Insofern hatte Lüthi gar keine Alternative zu diesem Transfer.
Nur nebenbei: Wären wir in der NHL, so hätte der SCB Schlegel auf die Waiver-Liste setzen müssen und Lugano hätte da zuschlagen könnnen.
Ich habe eine Frage? Wie hoch war denn die Quote bei den restlichen 3 spielen? ;-) einfach mal schön wieder die halbe wahrheit weggelassen