Sie versteht die Welt nicht mehr, die blonde Hostess in Walliser Tracht, die in der prallen Sonne vor dem Eingang zum Gastsektor des Stade de Tourbillon vergeblich ihre Runden dreht. «Weisswein, kühler Weisswein, alles offeriert», ruft sie der schwitzenden Menschenmenge in Rot-Blau vor dem Gittertor noch einmal zaghaft zu. Dann gibt sie auf und balanciert ihr randvolles Tablett unverrichteter Dinge zu einem Stehtisch zurück. «Die wollen nicht», murmelt sie ratlos und nestelt verlegen an ihrem hellblauen Schultertuch herum.
Sie wollen wirklich nicht, die Fans des FC Basel. Sie wollen sich nicht einladen lassen. Und machen Sion-Patron Christian Constantin damit einen dicken Strich durch sein neustes Schelmenstück.
Seit Saisonbeginn offeriert der 57-Jährige den Auswärtsfans bei allen Spielen des FC Sion Gratiseintritt. Dazu gibt es stilechte Walliser Kost: Raclette und Fendant – alles auf private Rechnung des letzten grossen Schweizer Fussball-Zampanos. Rund 20'000 Franken soll die Aktion durchschnittlich pro Heimspiel kosten.
Constantin investiert das Geld nicht aus Nächstenliebe. Sein Kalkül ist so einfach wie brillant: Wer als Gast empfangen wird, der benimmt sich auch so, wie es der Gastgeber von ihm erwartet. Unter dem Strich soll sich der Aufwand für den Wohlfühlaufenthalt der Auswärtsfans durch eingesparte Pyro-Bussen, niedrigere Sicherheitskosten und weniger Sachbeschädigungen mehr als rechnen.
Dazu inszeniert sich Constantin mit seiner innovativen Lösung für das Problem mit den Gästefans in jener Pose, in welcher er sich selbst am besten gefällt: Als Gönner mit grossen Visionen, der seine Ziele trickreich zu erreichen weiss. In der Medienmitteilung, welcher der FC Sion zum Saisonbeginn verschickt, wird die Aktion blumig umschrieben: «Das Wallis pflegt ein Bild von Willkommen und Freundlichkeit. Wir wollen diesen Ruf ehren und machen im Geist der Sportlichkeit und Fairness einen Schritt in Ihre Richtung.» Constantin schickt eine weniger gepflegte Drohung hinterher: «Und wenn es nicht klappt, dann kann ich ab der Winterpause den Gästesektor schliessen.»
Die Premiere gegen den FC St. Gallen verläuft Ende Juli einigermassen holprig. Rund 700 Gäste aus der Ostschweiz verköstigen sich umsonst und profitieren vom Gratiseintritt. Ärger gibt es trotzdem. Im Stadion wird jede Menge Pyro gezündet und einige Fans bringen ihren Unmut über den «Bestechungsversuch» lautstark zum Ausdruck.
Erst da wird deutlich, wie genial der Schachzug des Sion-Präsidenten wirklich ist. Die Fans hätten sich brav verhalten können, wie er es von ihnen erwartet hat. Das hätte Constantin zum Gewinner gemacht. Jetzt, als sich die geladenen Gäste nicht an die Spielregeln halten, ist ihnen die Kritik der Öffentlichkeit gewiss – und auch in diesem Szenario steht er als Sieger da.
Diese haarige Ausgangslage bietet sich am Sonntag auch für die Fans des FC Basel. Der Bebbi-Anhang ist für vieles berühmt, aber nicht für seine Kooperationsbereitschaft. Dass sich die Strategen der Muttenzerkurve eingehend mit dieser Zwickmühle beschäftigt haben, wird bereits kurz nach der Abfahrt des Extrazuges am frühen Morgen klar.
Einer der Anführer stapft durch die Gänge der rauchverhangenen Waggons und gibt die kollektive Marschroute für den Tag bekannt: «Es ist klar, dass Constantin eine Gegenleistung will, wenn er uns einlädt. In diesem Fall ist es, dass wir keine Pyros zünden. Und ob wir das tun oder nicht, das entscheiden wir immer noch selbst. Aus diesem Grund nehmen wir die Einladung nicht an.»
Wie das gehen soll, wenn der Eintritt doch gratis ist, will ein junger Auswärtsfahrer wissen, nachdem sich die Aufregung gelegt hat. «Wir sammeln das Geld für die Tickets und übergeben es ihm am Match persönlich. Wenn er es nicht annimmt, geht es an die Sion-Junioren. Ausserdem wäre es Doppelmoral, wenn man trotzdem gratis Raclette fressen geht. Wir bitten euch alle, das Angebot nicht anzunehmen.»
Unterstrichen wird die Aufforderung mit einem Flyer. «Wir lassen uns nicht kaufen», lautet die Überschrift in dicken Lettern. Darunter sind noch einmal die Argumente für den Boykott der Einladung aufgelistet. Die Macher empfehlen den Erwachsenen, für das Ticket 25 Franken zu bezahlen – Jugendliche sollen 20 Franken berappen. «Das sind die Preise, die wir grundsätzlich für alle Auswärtstickets fordern.»
Dass die Solidarität gross ist, zeigt sich bei der Kollekte. Fast alle Fans werfen Geld in den Pott. «Wir haben nur etwa zehn Gratistickets abgegeben», erklärt einer der Verantwortlichen. Insgesamt kommen so rund 10'000 Franken zusammen.
Und so steht der Basler Anhang nach dreistündiger Fahrt zur Mittagszeit durstig und hungrig vor dem Sittener Stadion – zieht den Boykott aber fast geschlossen durch.
Die Gastgeber trauen ihren Augen nicht. Sie haben 30 Raclettestationen eingeheizt, die Duftschwaden wabern durch die Luft und der kühle Weisswein perlt im Glas – doch fast alle Bebbi bleiben hart. Einer der 25 Helfer ist untröstlich: «Wir haben 100 Kilogramm Kartoffeln gekocht, wo sollen wir denn jetzt bloss hin damit?»
Es sind vorwiegend ältere Semester, die sich vom Gratis-Raclette doch rumkriegen lassen. Einer von ihnen erklärt sich: «Wenn man wie ich friedlich hier den Match schauen will, dann kann man sich doch ein Gläschen und ein feines Raclette gönnen. Es sind ja vor allem die Krawallbrüder, die ein Problem damit haben.» Rund 20 Portionen bringen die Helfer so doch noch an den Mann.
Die älteren Boykottbrecher werden von den anderen Fans in Ruhe gelassen, doch ein Mittzwanziger hat weniger Glück. «Bisch nid ganz bache?», herrscht ihn einer der Kurvenchefs an, der aussieht als würde er als Morgensport Telefonbücher mit blossen Händen zerreissen. Er schlägt dem Leckermaul den Racletteteller aus der Hand und packt ihn am Kragen.
Wenn Christian Constantin durch die Aktion der Gäste überrascht wurde, dann versteckt er es nach Spielschluss gut. Obwohl die Basler Fans beim 3:2-Sieg ihres Teams eifrig Pyros zünden und ihn mit Transparenten verhöhnen, gibt sich der Sion-Präsident betont locker. Er will nichts von einem Scheitern der Raclette-Taktik wissen: «Scherzen Sie? Ich habe die 10'000 Franken direkt an das ‹Hospice du Grand-Saint-Bernard› weitergeleitet. Das ist eine religiöse Herberge, die auf jeden Franken angewiesen ist. Wenn wir bei jedem Spiel so viel Geld für einen guten Zweck sammeln, dann ist das erst recht ein Erfolg.»
Es bleibt abzuwarten, ob sich die Anhänger anderer Teams seiner kalkulierten Gastfreundschaft jetzt ebenfalls verweigern. Die Basler feiern ihren Coup und die drei Punkte auf der Rückfahrt auf jeden Fall ausgelassen. Einer hat sogar einen mobilen Racletteofen mitgebracht.
Soweit meine Meinung, wäre an anderen und gleichen Meinungen interessiert :)