Herr Pieth, warum ist Sepp Blatter vier Tage nach seiner Wiederwahl zum FIFA-Präsidenten zurückgetreten?
Mark Pieth: Das muss in meinen Augen mit den Vorwürfen gegen FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke zusammenhängen, die gestern Vormittag aufgetaucht sind. Blatter ist damit wohl in eine unangenehme Situation gekommen. Er war immer ein Meister des Aussitzens von Krisen – diesen Ausweg hat er jetzt wohl nicht mehr gesehen. Er kommt mit dem Rücktritt seiner öffentlichen Hinrichtung zuvor.
Was bedeutet Blatters Rücktritt für die FIFA?
Er ist eine Chance für die FIFA. Zwar etwas spät, aber Blatter macht den Weg frei für Veränderungen.
Besteht überhaupt die Chance, dass die FIFA eines Tages wieder ein positives Image hat?
Ja, diese Chance besteht. Es hängt aber alles davon ab, ob man als Nachfolger von Blatter einen Reformer findet. Im Fussballbusiness basiert vieles auf Seilschaften. Das heisst, bei Personalrochaden greift man auf «Old Hands» zurück, auf bewährte Kräfte. Für die Zukunft der FIFA jedoch wäre das verheerend: Es würde bedeuten, dass der neue Präsident gleich funktioniert wie Blatter, weil er Teil von dessen System war. Somit hätte die FIFA keine Chance, neues Vertrauen zu gewinnen und ihr Image zu verbessern.
Prinz Ali bin al-Hussein, am vergangenen Freitag Blatters einziger Widersacher, hat angekündigt, erneut zur Wahl anzutreten. Was halten Sie davon?
Ehrlich gesagt: nicht viel. Er hat am Freitag zwar 73 Stimmen geholt, aber mehr als ein Achtungserfolg war das nicht. Prinz Ali ist kein internationales Schwergewicht – aber genau ein solches braucht es künftig an der Spitze der FIFA. Michel Platini kennt zwar jedes Kind, aber bei ihm ist das Problem, dass er wohl selber Leichen im Keller hat. Blatters Nachfolger muss jemand sein, den heute niemand auf der Liste hat. Ein Phönix aus der Asche, der weltweit einen guten Ruf hat und sich noch nichts hat zuschulden kommen lassen.
Es wird wohl nicht ganz einfach sein, in der kurzen Zeit bis zur Wahl des neuen Präsidenten eine solche Person zu finden.
Darum plädiere ich für einen Übergangspräsidenten. Einen, der sagt: Ich übernehme den Job für vier Jahre, dann mache ich den Weg frei für einen Reformer. So hätte die FIFA genug Zeit, eine Person zu suchen, die langfristig für das Amt geeignet ist – und sie gründlich zu durchleuchten.
Wer könnte ein solcher Übergangspräsident sein?
Vielleicht Theo Zwanziger (2006 bis 2012 Präsident des deutschen Fussballbundes; Anmerkung der Redaktion). Er geniesst innerhalb der FIFA einen hervorragenden Ruf.