Die Aufregung war gross. Am Dienstagabend plante der «Club» auf SRF eine Sendung rund um die Geschehnisse bei der FIFA. Nachdem Blatter am Nachmittag eine kurzfristige Medienkonferenz einberief, sagte FIFA-Mediensprecher Walter de Gregorio seine Teilnahme in der Talk-Sendung ab. Auf die Aufzeichnung mit den restlichen Gästen wurde verzichtet: Man sendete aufgrund der Ereignisse live. Das allein sagt schon viel über die Brisanz des Themas.
Mit Jens Weinreich sass einer der grössten FIFA-Kritiker im Studio. Und dieser legte gleich los: «Jetzt wird eine Tsunamiwelle so langsam anrollen.» Der jahrelange FIFA-Beobachter glaubt nicht, dass Blatter beim Kongress in einigen Monaten, an welchem sein Nachfolger gewählt werden soll, noch im Amt ist. «Er hat es nicht mehr in der Hand. Die Verhafteten werden reden; Politiker werden sich einschalten; das wird ihn in den nächsten Wochen und Monaten wegspülen», so der Deutsche.
Die schönen Worte an der Pressekonferenz von Reformen, die der Walliser anschieben will, dürften verklingen. Wer ihn für diese Übergangszeit beerben soll, ist ungewiss. Vor allem nachdem kurz nach Blatters Rücktritt erneut der ehemalige brasilianische Verbandspräsident Ricardo Teixeira ins Visier der Ermittler kam: «Jerome Valcke ist damit auch nicht mehr tragbar. Er ist ein guter Freund Teixeiras. Das geht nicht. Der muss sofort zurücktreten.» Der nächste Knall zeichnet sich ab.
Weinreich ist im weiteren überzeugt, dass irgendetwas vorgefallen sein muss, dass Blatter plötzlich abtreten will. «Er hat seine Meinung innert drei Tagen teilweise um 180 Grad gedreht.» Vermutet wurde die Einschaltung des FBI. Guido Tognoni, ein zweiter langjähriger FIFA-Insider und Gast im «Club», sagt: «Die Zukunft wird zeigen, ob Blatter aus Einsicht oder Notwendigkeit handelte.»
Es schien fast ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass praktisch gleichzeitig das FBI Ermittlungen gegen den 79-jährigen Sonnenkönig bestätigte. Es sieht also nach einer Revolution aus, die von aussen über den Verein hereinbricht. Genauso wie Markenexperte Christoph Engl kürzlich gegenüber watson voraussagte. Angestossen dürfte die Ereignisse Andrew Jennings haben. Der langjährige FIFA-Kritiker mit Hausverbot übergab 2011 dem FBI diverse Dokumente mit brisantem Inhalt.
Klar scheint, die FIFA ist durch und durch verseucht. Oder wie es Tognoni sagt: «Der Sumpf ist unendlich gross.» «Un-end-lich» betont er dabei explizit. Die Ausmasse sind tatsächlich kaum absehbar. Es ist bewiesen, dass nur nur zwei bis drei Prozent aller Korruptionsfälle aufgedeckt werden. Aktuell sind Zahlungen von 600 bis 700 Millionen im Jahr bekannt. Man rechne.
Da passt es auch dazu, dass beim Weltfussball-Verband selbst Sekretärinnen in Fünfsterne-Hotels logierten, die Business-Class war gerade gut genug und die Funktionäre lassen sich wie Könige behandeln. «Bei der FIFA hat sich das so eingebürgert. Jedes Mitglied glaubte, es habe Extrarechte.» Weinreich ergänzt: «Die Funktionäre haben mit Schmiergeld gerechnet. Das war wie Lohnzahlungen, sonst hätte man nicht mehr gearbeitet.»
Es wird immer deutlicher. Blatters Rücktritt ist nicht der Höhepunkt, sondern war einzig der definitive Deckelöffner. Der Walliser selbst sagte einst: «90 Prozent der Sportarten sind korrupter als der Fussball.» Tognoni lächelt die Aussage weg. Man kann es kaum glauben. Aber auch Weinreich ist überzeugt: «Die Verhaftungen in Zürich waren ein Dammbruch. Dieser geht weit über den Fussball hinaus. Das IOC und andere Sportarten sind gewarnt. Die Angst ist gross, dass morgen wieder etwas passiert.»