Russlands Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow hat alle Schnurrbartträger des Landes augenzwinkernd zum Besuch des Eröffnungsspiels aufgerufen. «Alle mit Schnauzer: ab ins Stadion!», sagte er gestern bei einer Pressekonferenz in Moskau. Hintergrund des Appells des Trainers – selbst seit Jahren Träger eines Oberlippenbarts – ist die Aktion «Schnurrbart der Hoffnung». Dabei fotografieren sich Russen zur Unterstützung des Nationalteams mit echtem oder falschem Bart und teilen das Bild.
Russland hofft, im Luschniki-Stadion die Kritiker Lügen zu strafen. Seit das Land 2010 die WM zugesprochen bekam, blieben die grossen Fortschritte aus, obwohl sich mit Dick Advocaat und Fabio Capello auch zwei renommierte Trainer versuchten. Seit August 2016 ist nun Stanislaw Tschertschessow Nationaltrainer – auch er mit mässigem Erfolg. Zuletzt blieb die «Sbornaja» in sieben Testpartien sieglos.
Trotzdem ist Tschertschessow von einem siegreichen Start ins Turnier überzeugt: «Wir gewinnen, weil wir wollen.» Die teilweise sehr harte Kritik in den heimischen Medien an seinen Trainerfähigkeiten lassen den ehemaligen Goalie kalt. Jeder Coach müsse gewisse negative Stimmen hinnehmen. «Aber ich lese es nicht, sondern konzentriere mich auf meine Arbeit.» Einige seiner Spieler haben die Zeitungen sehr wohl gelesen. Alexander Samedow rief die heimische Presse zu einer optimistischeren Sichtweise auf. Teamkollege Artem Dsjuba meinte vor versammelten Medien noch etwas deutlicher: «Schreibt nicht so negativ!»
Allerdings tat die Mannschaft im Vorfeld der WM reichlich wenig, um die Stimmung zu heben. Die ersten drei Tests in diesem Jahr gingen gegen Brasilien, Frankreich und Österreich verloren, ehe gegen die Türkei ein 1:1 heraussprang. Nun soll sich das Team, das vorab in der Offensive durchaus den einen oder anderen starken Akteur besitzt, vom Ereignis tragen lassen und in ganz andere spielerische Sphären vordringen. Alan Dsagojew, Alexander Golowin oder Juri Schirkow scheinen am ehesten in der Lage, den Weg zu weisen.
Man sei sehr gut vorbereitet und furchtlos, versicherte Tschertschessow mit Blick auf das erste Spiel, das einen eher sanften Einstieg ermöglicht. Saudi-Arabien bewies in den letzten Monaten, dass es auch gegen die Besten nicht sang- und klanglos untergeht. Im letzten von neun Vorbereitungsmatches in diesem Jahr resultierte eine ehrbare 1:2-Niederlage gegen Deutschland. Mit Griechenland und Japan wurden in den letzten zwölf Monaten auch Gegner der gehobeneren Klasse geschlagen. «Wir wollen drei Punkte gegen Russland», sagte Mittelfeldspieler Jahja Al-Schehri.
Die Testphase verlief für die Saudis intensiv. Nicht weniger als fünf Trainingslager absolvierten sie unter dem argentinischen Trainer Juan Antonio Pizzi, der Chile 2016 zum Sieg bei der Copa America geführt hatte. Im November wurde Pizzi zum dritten saudischen Trainer innerhalb weniger Monate. Bert van Marwijk war nach zwei Jahren im Amt zurückgetreten, Nachfolger Edgardo Bauza wurde nach drei Niederlagen entlassen.
Die Erwartungen sind gross in Saudi-Arabien, und Kronprinz Mohammed bin Salman wacht darüber, dass sein in diverse Projekte angelegtes Geld gut investiert ist. Unter anderem konnte Oliver Kahn als Goalie-Berater gewonnen werden. Der grösste Hoffnungsträger spielt allerdings im Sturm. Mohammed Al-Sahlawi schoss in der Qualifikation 16 Tore. Nun hat der 31-Jährige aber seit etwas mehr als einem Jahr nicht mehr getroffen, gegen Deutschland verschoss er einen Penalty. (ram/sda)