«Wer feiert, kann auch trainieren!» – Weggefährten verabschieden Tranquillo Barnetta
Gérard Castella: «Hoffentlich bleibt er dem Fussball erhalten»
Ich hatte schnell die Idee, Barnetta im Sommer in die erste Mannschaft nachzuziehen. Schliesslich war das Geld knapp beim FC St.Gallen, und wir mussten uns ohnehin möglichst mit eigenen Spielern behelfen. Schon im UI-Cup im Sommer überzeugte Barnetta. In guter Erinnerung habe ich die Gespräche mit Vater Barnetta, ein lieber Mensch, wir haben gegenseitig schnell Vertrauen gefasst. Da gab’s keine Spielereien und umständliche Gespräche, wie es sonst im Business oft der Fall ist.
Auch zu Tranquillo selber hatte ich schnell einen guten Draht. Er ist gleich alt wie mein Sohn, der damals auch Fussball spielte. Das machte ihn für mich ein bisschen zum Ostschweizer Sohn. Ein wenig stolz bin ich schon darauf, dass ich ihm den ersten Schritt in den Profifussball geebnet habe. Und ich hoffe, dass Tranquillo dem Fussball in irgendeiner Weise erhalten bleibt.»
Gérard Castella, 66-jährig, St. Gallen-Trainer von Februar bis September 2002, heute Chef de Formation im Nachwuchs der Young Boys.
Über 200 Paar Schuhe brauchte als Profi. Alle drei Monate gab es vom Ausrüster neue Farben.
Mehr als 20 Monate fehlte Barnetta seinen Arbeitgebern wegen Verletzungen.
75% der bisher 492 Pflichtspiele haben Barnettas Eltern live vor Ort gesehen.
500.– Barnettas höchste Busse: Er verpasste den Flieger und daraufhin das Training.
Etwa 4000 Kilometer spulte der St. Galler für Clubs und Nationalteam ab.
Ottmar Hitzfeld: «Tranquillo ist Individualist und Teamplayer»
Die Jungen zahlten das Vertrauen zurück, sie setzten sich toll in Szene und erreichten ein viel beachtetes 2:2 im Wembley. Aber: Unsere beiden Treffer erzielte Barnetta mittels Freistoss. Eben mit Instinkt und Intelligenz. Er war unser Leader und Motivator in dieser Phase des Umbruchs.»
Ottmar Hitzfeld 70-jährig, zwischen 2008 bis 2014 Schweizer Nationaltrainer. Davor unter anderem Trainer bei den Bayern und Dortmund.
Arturo Vidal: «Ein grossartiger Mensch und Spieler»
Arturo Vidal, 32-jährig, Mittelfeldspieler beim FC Barcelona, Barnettas Mitspieler in Leverkusen von 2007 bis 2011, hat heute wie der St. Galler Geburtstag.
Barnetta wählt seine Traumelf aus ehemaligen Mitspielern:
Bernd Schneider: «Geben Sie Quillo bitte meine Nummer!»
Es ist schade, dass ich ihn aus den Augen verloren habe. Wenn ich es von Jena, wo ich wieder wohne, einmal in die Ostschweiz schaffe, melde ich mich bei ihm. Geben Sie Quillo doch bitte meine Nummer! Und, wenn Sie Episoden aus seiner Zeit in Leverkusen hören wollen, melden Sie sich doch bei Goalie René Adler. Der kann einiges erzählen.»
Bernd Schneider, 45-jährig, 81-facher deutscher Internationaler, von 1999 bis 2009 Mittelfeldspieler beim Bundesligaclub Leverkusen.
René Adler: «Seine Wohnung wurde zum Auffangbecken»
Auch in jungen Jahren liess er sich nicht verbiegen, genoss sein Leben. In unserer wilden Zeit, mit gut 20 Jahren, gingen wir natürlich auch mal raus am Abend. Quillo war da an vorderster Front dabei. Als einziger von uns hatte er seine Bleibe in der Kölner Innenstadt, dort wo das Nachtleben spielte – auch wenn vom Verein eine Wohnung im lauten Zentrum nicht gerade empfohlen wurde. Sein Zuhause wurde an manchen Abenden gewissermassen zu einem Auffangbecken für im Nachtleben gestrandete Fussballprofis.
Aber nicht, dass er mir unprofessionell rüberkommt! Er sagte stets: ‹Wer feiern kann, kann auch trainieren!› Er war immer der Erste, der kam, und er war stets der Letzte, der ging. Beim Feiern, aber eben auch auf dem Trainingsplatz. Leider haben wir den Kontakt etwas verloren. Nun, da ich auch zurücktrete, hätten wir bald einmal Zeit für ein Treffen. Was macht Quillo nach der Karriere? Ich werde eine Uefa-Management-Weiterbildung absolvieren. Das wäre doch auch was für ihn!?»
René Adler, 34-jährig, zwölf Spiele als deutscher Nationalgoalie; Verletzungspech; in Leverkusen von 2003 bis 2012; Rücktritt am Samstag in Mainz.
Simon Rolfes: «Barnetta zündete Carvajals Karriere»
An was ich mich besonders erinnere, sind die Mannschaftsabende, in denen Tranquillo diese integrative Funktion wahrnahm. Wir waren ja seinerzeit mehrmals in St.Gallen im Trainingslager. Da waren wir an einem Abend in Tranquillos damaligem Restaurant beim Bahnhof in St.Gallen zu Gast.
Es war der Abend, als Daniel Carvajal seine Karriere zündete. Der Spanier war von Real Madrid gekommen, tat sich schwer mit unserer Kultur – an jenem netten Abend bei Tranquillo aber sah er: Die können ja auch lustig. Man spürte danach förmlich, wie er auch auf dem Feld vor Energie strotzte. Dies war zuvor nicht der Fall gewesen. Ich würde behaupten: Carvajals Weltkarriere und die baldige Rückkehr zu Real hat er jenem Abend zu verdanken. Und damit indirekt auch dem lebenslustigen Tranquillo. Ich wünsche alles Gute. Man sieht sich bald wieder!»
Simon Rolfes 21-facher deutscher Internationaler, spielte von 2005 bis 2015 im Mittelfeld Leverkusens, heute im selben Club Sportchef.
Benjamin Huggel: «Sobald es ein ‹Jässli› gab, war er dabei»
Das hinderte ihn nicht daran, stets sein Glück aufs Neue zu versuchen. Sobald es irgendwo Karten und ein ‹Jässli› gab, war er dabei. Bis zur WM 2010 hat sich Barnetta die verlorenen Geldbeträge ja auch von Magnin, Eggimann, Hakan Yakin, Frei oder mir zurückgeholt. Beim Jassen war es bei ihm wie im Fussball: Seine Lernkurve war bemerkenswert. Zudem hat es mir imponiert, wie er als 20-Jähriger in der Türkei seinen Mann stand.»
Benjamin Huggel 41-jährig, 41 Länderspiele für die Schweiz, spielte in Frankfurt und für Basel. Nach dem Rücktritt TV-Experte und Mentalcoach.
