Mein geschätzter Kollege Patrick Toggweiler hat schlecht geschlafen. Nachdem er am gestern Abend eine Champions-League-Partie gesehen hat, deren Spannungsbogen weiter reichte als Manuel Neuers Auswurf-Radius, ging er ins Bett. Mürrisch, von einem sonderbaren Gefühl geplagt, dass irgendetwas nicht so ist, wie es sein sollte.
Wie kam das? Der moderne Fussball ist schuld, denn:
Stellen wir uns einmal vor, wie der Fussball in der Toggweilerschen Fantasiewelt aussehen würde: 22 ehrliche Handwerker, die alle stur ihre Position halten und der taktischen Marschroute ihres Trainers bis in den Tod folgen. Jeder Pass sitzt und jeder Entscheidung des Schiedsrichters wird primarschülerhaft Folge geleistet – mag sie noch so abenteuerlich falsch sein. Autoritätsglauben ist oberste Tugend, Disziplin und Ordnung auf dem Rasen ein Muss.
Wer es wagt, aus dem Kollektiv herauszuragen, wird bestraft: Mit Liebesentzug und der Verbannung nach Madrid.
Es ist ein Plädoyer für die Farblosigkeit im Fussball.
Oder die totale Gleichschaltung.
Dabei sind es doch erst die Auswüchse des modernen Profifussballs, die dieses Spiel so richtig interessant machen. Das Chaos, das mit der Individualisierung einhergeht. Die Lust, das rigide System zu durchbrechen.
Mit einem Haken und zwei Übersteigern den konformistischen 90er-Jahren entwischen. Und das alles, während man sich divenhaft ein Strähnchen aus dem Gesicht schiebt und im Kopf den nächsten Twitter-Eintrag vorbereitet.
Lionel Messi war ein guter Fussballer, als er statt einer Frisur eine Matte auf seiner Schädeldecke liegen hatte. Seit Messi aber zum Coiffeur geht, dem Alkohol zuspricht und im Magier-Kostüm an Fifa-Galas erscheint, ist er Fussballgott geworden.
Es ist ganz einfach. Der Fussball ist besser geworden, seit die Fussballer Haargel entdeckt und exzentrische Bewegungsabläufe verinnerlicht haben.
Zugegeben: Fussballer sind nicht die hellsten Köpfe. Müssen sie auch nicht sein. Oder fordert irgendjemand ernsthaft, Polizisten sollten kreativ, Künstler diszipliniert und Taxifahrer mit musikalischem Talent gesegnet sein? Ein Interview am Spielfeldrand mit einem Fussballer löst im schlechtesten Fall Kopfschütteln und Ratlosigkeit aus. Im besten Fall aber sorgen die dümmlichen Phrasen von Falcao, Philippe Koch und Admir Mehmedi für Tränen in den Augen.
Und die Rudelbildung? Das wäre tatsächlich nicht nötig. Aber es ist eine notwendige Begleiterscheinung. Weil die Individualisierung im Fussball so weit fortgeschritten ist, dass jeder nur für sich selber und die Kamera spielt. Als Ausgleich sehnen sich die Fussballer mitunter nach Gemeinschaft. Nach Nähe. Nach Körperkontakt und fremden Speichel am Nacken. Und gruppieren sich deshalb von Zeit zu Zeit um den Schiedsrichter.
Wie Pirlo oder Scholes sollst du sein, fordert Toggweiler. Oder mit anderen Worten: Die personifizierte Langeweile auf und neben dem Platz. Keine Skandale sollen deine Karriere überschatten. Du sollst gut spielen und danach in der Versenkung verschwinden oder ein Sportwarengeschäft eröffnen. Im Fricktal.
Wollen wir das?
Nein.