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Auch Tami gibt zu: «Die Schweizer Nati ist in Schwierigkeiten»

Switzerland's Granit Xhaka, right, and Mario Gavranovic, left, look disappointed after losing the UEFA Nations League group A2 soccer match between Portugal and Switzerland at the Estadio Jose Al ...
Lissabon: Enttäuschung pur bei den Schweizern.Bild: keystone

Auch Tami gibt zu: «Die Schweizer Nati ist in Schwierigkeiten»

Die Schmach gegen Portugal offenbart eklatante Mängel bei den Schweizer Fussballern. Einstellung und Defensivverhalten sind schlecht. Tami, der Direktor der Nationalteams, sagt: «Die Gruppe ist in Schwierigkeiten. Wir haben Probleme, das müssen wir nicht verstecken.»
07.06.2022, 13:19
Christian Brägger, Lissabon / ch media
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Schönzureden gibt es nichts. Nicht nach diesem 0:4, das gut und gerne ein 0:9 sein könnte. Portugal und Ronaldo, der Weltstar von einem anderen Planeten, entlarvten die Schweiz am Sonntagabend in der zweiten Partie der Nations League. Gab es in Lissabon davor noch die leise Hoffnung, die Resultatkrise würde durchbrochen, muss man heute konstatieren: Es ist nach nunmehr drei Niederlagen im Jahr 2022 viel mehr als dies, der allgemeine Zustand der Mannschaft ist bedenklich, kritisch.

Vieles liegt im Argen, stellvertretend dafür steht die Debatte um Xhakas Position im Mittelfeld, die den Captain «ankotzt» und ihm «langsam auf die Eier geht», wie er selbst sagt.

Man muss 14 lange Jahre zurückgehen, bis man eine solche Schmach auf Schweizer Seite findet. 2008 im Test gegen Deutschland unter Trainer Kuhn war das, später an der EM war in der Vorrunde Schluss. Und jetzt ist in knapp fünf Monaten die WM. Immerhin sind die Fussballer selbstkritisch, wenn sie wie Kobel von einem «Scheissspiel» oder wie Frei von «Ernüchterung» sprechen. Denn eigentlich, und das ist es ja eben, sieht man sich mit den Besten auf Augenhöhe.

Das war vielleicht einmal, an der EM 2021 zum Beispiel. Die Mannschaft verspielt sich derzeit Goodwill mit ihren Auftritten und dem Verhalten, das beispielsweise für Embolo die rote Karte nach einem fiesen Tackling hätte geben müssen.

Tami kommt, um die Lage zu erklären

«Beunruhigt bin ich nicht und ich sehe auch keine Krise», sagt Yakin nach dem 0:4. Und doch ist es immer ein untrügliches Zeichen, dass die Stimmung schlecht ist: Wenn der Verband Pierluigi Tami vorschickt, um die Lage zu erklären. Der Chef der Nationalteams sprach schon am letzten Freitag nach dem 1:2 in Tschechien, und jetzt im Belenenses-Stadion vor dem Montagstraining wieder. Er sagt: «Die Gruppe ist in Schwierigkeiten. Wir haben Probleme, das müssen wir nicht verstecken. Auch sind bei uns nicht alle in einer guten Verfassung.»

Switzerland's national soccer teams director Pierluigi Tami. right, answers questions from journalists before a training session of the Switzerland's football national team at the Restelo st ...
Pierluigi Tami, Chef der Nationalteams, muss sich den Medien stellen.Bild: keystone

Es gibt einige Akteure mit körperlichen Beschwerden, Vargas kann nach der Verletzung am Oberschenkel nicht weiter mittun. Akanji, Elvedi und Zuber sind angeschlagen. Solche Ausfälle haben andere Nationen ebenso, doch jetzt ist spürbar, dass dem Kader Breite wie Qualität fehlt, besonders wenn viele im Klub nicht im Rhythmus sind. Tami macht bei einigen Schweizern Stress aus, physisch wie im Mentalen. Die Energie ist bei vielen weg.

Auch wird häufig mit der Belastung argumentiert, jetzt am Ende der Saison. Vergleichen wir einmal Mbabu mit Cancelo, zwei Rechtsverteidiger. Der Portugiese kommt in dieser Spielzeit bei Manchester City auf 4622 Minuten. Mbabu mit Wolfsburg auf 1773.

Die Laufleistung war unterirdisch

Es ist halt auch eine Frage des Herzens, Stolzes und Willens, der Leidenschaft und Lust. Wie sonst ist zu erklären, dass gegen Tschechien die Laufleistung so war, als ob der Gegner mit zwölf Spielern antrat. Oder die Schweiz mit zehn. Und wie Ronaldo auch sein 117. Länderspieltor noch feiert, als wäre es sein erstes, oder hadert, da sieht man das alles; Lust, Herz, Leidenschaft, Stolz, Willen. Bei den Schweizern sieht man diesbezüglich wenig. Sie schiessen ja auch fast keine Tore mehr.

Weil Yakin im vergangenen Jahr immer wieder auf so viele verletzte Spieler verzichten musste, war sein meistgenannter Satz: «Ich sehe keine Probleme. Nur Lösungen.» Die fand er dann auch, damals ohne Xhaka. Doch fast kommt es heute einem vor, als hätte es den letzten Herbst nie gegeben, als wäre diese Turtelei zwischen Spielern, Trainer und Fans eine Erfindung. Als Yakin Petkovic im Sommer 2021 beerbte, da spürte die Schweiz eine Aufbruchstimmung. Obwohl man glaubte, nach der erfolgreichen EM sei dies gar nicht möglich. Yakin will vertikaler spielen, im zweitletzten WM-Qualifikationsspiel gegen Italien sah er in Rom eine Mannschaft, wie sie ihm vorschwebt. In Lissabon gaben die Portugiesen nun jedem Anschauungsunterricht.

Switzerland's head coach Murat Yakin during a training session of the Switzerland's football national team at the Restelo stadium in Lisbon, Portugal, Monday, June 6, 2022. (KEYSTONE/Laurent ...
Murat Yakin sieht sich seiner ersten Krise als Nationaltrainer gegenüber.Bild: keystone

Die Leichtigkeit ist weg, Yakin will es allen recht machen

Die Schweizer Leichtigkeit von damals ist heute jedenfalls weg, das Glück – Jorginho und seine verschossenen Penaltys für Italien, Seferovics aberkanntes Tor gegen Portugal – sowieso. Yakin muss sich selbst sein können, um gut zu sein. Derzeit hat man den Eindruck, er wolle es allen recht machen. Nur so kann man seine Massnahme verstehen, Verteidiger Lotomba im linken Mittelfeld einzusetzen nach dem Ausfall von Vargas. Wollte Yakin das wirklich? Dabei ist er doch ein intuitiver Coach.

Neun Gegentore in vier Auftritten in diesem Jahr sind viel, zu viel. Im 2021 waren es unter Yakin zwei Gegentore in sieben Partien. Die Defensive ist kein Prunkstück mehr. Hier fehlt jetzt die letzte Konsequenz, auch das Solidarische. Beides beginnt schon bei der Mitarbeit der offensiven Spieler. Akanji ist der Patron der Abwehr, er fehlt an allen Ecken und Enden, will den Klub wechseln und das wohl nicht mit einer Verletzung gefährden. Schär ist so schlecht wie lange nicht mehr, Frei fehlt das Tempo auf diesem Niveau, Mbabu ist unaufmerksam wie fast eh und je.

Vielleicht hilft Galgenhumor

Für die Schweiz geht es in Genf gegen Spanien am Donnerstag darum, nicht noch mehr und vor allem nicht nachhaltig Schaden zu nehmen. Einen Scherbenhaufen kann man zusammenkehren. Wenn man es wirklich will. Und doch bleibt es mehr als fraglich, wie die Spieler für diese Tranche der Nations League noch in Form kommen wollen. Tami sagt, sie dürfen nur daran denken, einen kleinen Schritt zu machen. Wenn man zu viel auf einmal wolle, könne man fallen. Zudem sagt er:

«Auch 5-5-5 hätte als System nicht gereicht gegen Portugal.»

Vielleicht täte allen Beteiligten dieser Galgenhumor gut. Und vielleicht hilft die Erinnerung an den Herbst 2021. Yakin sagt aber auch: «Wir müssen vorwärtsschauen.» (aargauerzeitung.ch)

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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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demian
07.06.2022 15:09registriert November 2016
"Als Yakin Petkovic im Sommer 2021 beerbte, da spürte die Schweiz eine Aufbruchstimmung."

Meint ihr mit Schweiz den Blick und seine "Fussballexperten"?
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Lowend
07.06.2022 13:58registriert Februar 2014
Wer Fussballer kennt, der weiss, dass es sich bei vielen um echte "Problemfälle" handelt, denen die kleinste Änderung manchmal unendliches Kopfzerbrechen machen kann und die extrem darauf angewiesen sind, von erfahrenen Leuten motiviert zu werden.

Vielleicht war genau das die Stärke des Sozialarbeiters, der dann Fussballtrainer wurde, dass er sich von Beginn seiner Karriere an gewohnt war, wie man mit Problemfällen umzugehen hat und wie man sie motiviert. Und vielleicht ist ja da das Manko des neuen Trainers, weil er als Ex-Fussballer eher "Problemfall", denn der grosse Motivator ist?
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Prinz Ipiell
07.06.2022 14:19registriert April 2022
Hauptproblem ist wie schon gegen Tschechien: Die Einstellung!

Die Aussage, dass sich die Spieler auf Augehöhe mit den Topnationen sehen, sagt doch alles über die akute Selbstüberschätzung! Praktisch keine Spieler, die in Topclubs eine tragende Rolle spielen. Mitläufer in mittelmässigen Vereinen und meinen sie seien auf Augenhöhe mit Ronaldo und Co.

Wenn dann mal alles zusammenpasst mag das sogar so sein, aber leider passt nicht jedesmal alles. Wenn aber nicht mal die Einstellung stimmt, dann reichts auch nicht gegen die Welt-Nr. 33 (Tschechien)!
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