Wo ist er bloss geblieben? Rot, rot, rot! Alles ist rot. Nach dem Spiel haben die Fans den Rasen des Hartberger Stadions geentert. Fast alle tragen ein rotes Trikot, und weil auch Shkelzen Gashis Trainingsanzug rot ist, dauert es eine Weile, bis der Stürmer in der Menge aufgespürt ist. Umringt von Menschen, die alle etwas von ihm wollen: ein kurzes Gespräch, ein Autogramm oder ein Selfie.
Wäre nicht ein albanischer Betreuer auf den Platz gekommen, um die Spieler allmählich in die Garderobe zu lotsen, so würden diese vermutlich noch heute auf dem Platz stehen. «Es ist einfach schön. Ich tue das gerne», sagt Gashi. «Die Fans haben so lange auf diesen Moment gewartet. Ich gönne ihnen den Smalltalk und die Fotos.»
Seit zehn Tagen ist er nun mit dem albanischen Nationalteam in Bad Waltersdorf in Österreich im Trainingslager, um sich auf die EM vorzubereiten. «Wir arbeiten super und sind auf gutem Weg», sagt Gashi. «Aber natürlich tut jeder Sieg gut.» Eben haben die Albaner das vorletzte Testspiel gegen Katar 3:1 gewonnen. «Am Freitag folgt noch die Partie in Bergamo gegen die Ukraine, und dann kann es losgehen», sagt Gashi.
Den 11. Juni hat sich vermutlich ganz Albanien im Kalender rot und dick angestrichen. An diesem Tag feiert das kleine Land seine EM-Premiere. Ausgerechnet gegen die Schweiz, wo doch die halbe albanische Mannschaft mit der Schweiz verbunden ist. «Es ist sehr speziell, gegen so viele gute Kollegen zu spielen», sagt Gashi. «Für mich würde ein Sieg aber keine besondere Genugtuung bedeuten, sondern vor allem Freude über drei Punkte. Das Startspiel ist wegweisend», sagt Gashi.
Der 27-Jährige, dessen Wurzeln im Kosovo in Qabiq liegen und der schon für den FCZ, Schaffhausen, Bellinzona, Xamax, Aarau, GC und den FCB gespielt hat, ist gut drauf in diesen Tagen. Er will zwar nicht preisgeben, ob die Meisterprämie aus Basel schon auf seinem Konto eingetroffen ist, sagt aber: «Natürlich habe ich alle Bilder von der Meisterfeier gesehen. Ich habe viele Gratulationsmails verschickt und auch bekommen – schliesslich habe ich ja meinen Teil zum Titel beigetragen. Ich halte mit vielen Leuten in Basel Kontakt, auch mit der Geschäftsstelle.»
Gut drauf ist Gashi aber nicht nur wegen des FCB und der Vorfreude auf die EM. Er schwärmt vom Glück, das er in den USA gefunden hat: «Ich bin ein riesiger Amerika-Fan und war oft in den Ferien dort. Jetzt kann ich dieses Land geniessen und dazu auch noch Fussball spielen. Was will ich mehr?»
Im Winter ist er vom FCB zu den Colorado Rapids transferiert worden. Er gehört in der Major League Soccer zu den «designated players», also zu jenen ausgewählten Spielern, für welche die Gehaltsobergrenze aufgehoben worden ist. «Ich lebe hier meinen Traum, es ist ein einziges grosses Abenteuer», sagt Gashi, «und Erfolg haben wir ja auch.»
Tatsächlich gehen die Colorado Rapids unter dem argentinisch stämmigen Trainer Pablo Mastroeni als Tabellenführer der Western Conference in die kurze Meisterschaftspause, die wegen der übermorgen beginnenden Copa America nötig wird. In zehn Spielen ist Gashi immer als Titular aufgelaufen, er hat mit Abstand die meisten Torschüsse seines Teams abgefeuert, zwei wichtige Treffer erzielt und drei Mal den Assist gegeben.
Zu seinen Mannschaftskollegen zählen der Deutsch-Amerikaner Jermaine Jones und der Ire Kevin Doyle. Gespielt wird im Dick’s Sporting Goods Park; im Schnitt vor 15'000 Zuschauern. «Es ist verrückt», erzählt Gashi, «extra wegen mir kommen viele Albaner ins Stadion. Sie nehmen dafür zum Teil eine fünfstündige Anfahrt in Kauf. Meine Teamkollegen fragen: Shkeli, was ist denn da los?»
Das Niveau sei gut, es gehe von der ersten bis zur letzten Sekunde hin und her, sagt Gashi, «und die Zuschauer kommen in den Genuss von Stars wie Lampard, Gerrard, Kaka und Villa. Die Fans können sich zurücklehnen und geniessen.» Gashi lebt in Cherry Creek etwas ausserhalb des Zentrums von Denver. Die langen Reisen zu den Spielen, manchmal sogar in andere Zeitzonen, machen ihm nichts aus; im Gegenteil. «Ich habe Spass daran, in immer neue Städte zu kommen», sagt Gashi.
Die wichtigsten Destinationen der nächsten Wochen sind allerdings Lens, Marseille und Lyon, wo die Albaner bei der EM gegen die Schweiz, Frankreich und Rumänien anzutreten haben. «Wir sind der Aussenseiter. Ich verspüre keinen Druck und lasse alles auf mich zukommen», sagt Gashi. So sehr er sich auch darauf freut, gleich nach der EM wieder in der MLS zu spielen, den Termin vom 22. Juni mit dem Auswärtsspiel gegen Los Angeles Galaxy möchte er nicht unbedingt wahrnehmen. Ein bisschen über die Gruppenspiele hinaus soll es in Frankreich schon gehen mit Albanien.
«Wir werden Gas geben und haben in der Qualifikation gegen Portugal und Dänemark bewiesen, dass wir uns vor niemandem zu fürchten haben», sagt Gashi. «Wir alle sind sehr gespannt darauf, was in Frankreich für uns herausschaut. Vielleicht gelingt es uns ja, die grosse Überraschungsmannschaft zu werden.»