Timea Bacsinszky, wie waren Ihre Ferien?
Timea Bacsinszky: Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, in meinen Ferien auf Mauritius neun Tage mehrheitlich sportfrei zu bleiben. Ich bin aber ein wenig hyperaktiv, weshalb ich meinen Freund schnell einmal auf einen Berg hochgescheucht habe (lacht). Wir sind geklettert, haben geschnorchelt, sind mit Delfinen geschwommen. Und wir haben mit einem befreundeten Paar sogar ein wenig Tennis gespielt.
Macht das einem Tennisprofi überhaupt Spass?
Ja, wir haben Frauen gegen Männer-Doppel gespielt – und sogar verloren!
Aber Sie haben sich nicht voll angestrengt, oder?
Nein. Zwischendurch wollte ich schon mal einen schönen Punkt machen. Aber das Ziel ist ja, dass alle an so einem Spiel Spass haben und es geniessen können.
Wie sieht Ihr perfekter Ferientag aus?
Das Frühstück ist nicht schon um 10 Uhr zu Ende, sondern erst um 12. Danach an den Strand. Dort nicht nur rumliegen, sondern auch ein wenig Sport treiben. Dann ein schöner Apéro während des Sonnenuntergangs. Und am Abend ein gediegenes Essen.
Einfach nichts tun können Sie nicht?
Nein. Das schaffe ich vielleicht einen Tag. Aber dann hab ich es gesehen.
Das ist erstaunlich. Sie sind ja das ganze Jahr auf Achse. Haben Sie da nicht das Bedürfnis, mal total abzuschalten?
Auch zu Hause schaffe ich es nicht. Wenn ich mit meinem Freund fernsehe, dann werde ich nach 20 Minuten unruhig (lacht).
Ab wann vermissen Sie in den Ferien wieder das Tennis?
Ein, zwei Tage kann ich ohne Tennis sein. Aber dann denke ich schon wieder an die nächste Saison und mache mir Sorgen, dass ich nicht genug trainiere. Da muss ich mich jeweils selber ein wenig beruhigen. Es ist aber auch wichtig, dass man sich die Zeit nimmt, innehält und ein wenig auf das zurückblickt, was man erreicht hat.
Blicken wir also zurück auf das Tennis-Jahr 2016. Wie war es für Sie?
Der Beginn war schwierig. Ich war verletzt und wollte zu schnell, zu viel, wollte Abkürzungen nehmen. Schliesslich hatte ich eine sehr gute Saison 2015 hinter mir und die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit war entsprechend gross.
Hat Sie diese Erwartungshaltung belastet?
Nein. Ich wollte meine Leistungen nicht mit meinen Verletzungen rechtfertigen.
Wieso nicht? Manchmal ist es doch gut, wenn man einfach sagt, wie es ist.
Aber ich will mich nicht bei den anderen entschuldigen müssen für meine Leistungen. Ich spiele für mich. Wenn die Leute nicht zufrieden sind mit meinen Ergebnissen, dann ist das ihr Problem. Ich weiss, was ich kann und was möglich ist.
Um wieder auf die Bilanz zurückzukommen...
...ich bin sehr zufrieden mit meiner Tennis-Saison 2016. Ich habe sie in den Top-15 der Weltrangliste abgeschlossen. Ich bin nur drei Positionen schlechter klassiert als 2015. Ich habe hie und da gehört und gelesen, dass ich offenbar kein so gutes Jahr 2016 hatte. Nun: Ich habe ein Turnier gewonnen, stand in Miami im Halbfinal und im Viertelfinal von Roland-Garros, habe eine Olympia-Medaille geholt. Wenn mir das jemand vor der Saison angeboten hätte, dann hätte ich unterschrieben. Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe.
Ist es schwierig, auf einer Erfolgswelle zu reiten? Und wenn man mal abgeworfen wird: Was kann man tun, damit man wieder auf sie raufkommt?
Wichtig ist, dass man langfristig denkt und sich nicht von seinem Weg abdrängen lässt. Das fängt schon im täglichen Training an. Ich gebe immer alles. Sich für einen Match zu motivieren, ist einfach. Aber wenn du an einem Sonntagmorgen um 7 Uhr aus dem Bett musst, um zu trainieren, dann musst du dich durchbeissen. Warum bin ich an die Weltspitze zurückgekehrt? Weil ich immer an mich geglaubt habe. Weil ich alles dafür getan habe. Selbst wenn es mal eine Phase der Erfolglosigkeit gibt, arbeite ich hart weiter. Weil ich weiss, dass dann die guten Ergebnisse automatisch wieder kommen werden.
Staunen Sie manchmal selber über sich, wenn Sie auf den Verlauf Ihrer Karriere zurückblicken?
Schon, ja. Ich denke mir oft: «Wow, wie habe ich das geschafft?» Mein Selbstvertrauen ist nicht so gross, wie es gegen aussen vielleicht oft den Anschein macht. Aber mein Selbstbewusstsein ist in den letzten Jahren sicher stärker geworden. Ich bin sehr widerstandsfähig. Auf diese Eigenschaft bin ich sehr, sehr stolz.
Wie kann man an seinem Selbstvertrauen arbeiten?
Ich habe mit einem Psychologen zusammengearbeitet. Dabei ging es aber weniger um Timea, die Tennisspielerin. Sondern eher um Timea, das kleine Mädchen. Das hat mir sehr geholfen. Auch, wenn ich sehe, wie viel Liebe mir auf der ganzen Welt entgegengebracht wird. Oder in Lausanne, meiner Heimat. Viele Leute bedanken sich bei mir dafür, dass ich eine tolle Botschafterin für die Stadt sei.
Für viele Menschen sind Sie mit Ihrer Geschichte ja auch ein Vorbild. Ist das zum Teil auch belastend, wenn man in dieser Rolle wahrgenommen wird?
Ich spiele nicht Tennis dafür, um für andere Leute ein Vorbild zu sein. Wenn ich es aber bin, dann ist das eine riesige Ehre für mich, sicher keine Belastung.
Erhalten Sie viele Reaktionen in diese Richtung?
Ja, schon. Kürzlich habe ich bei einem Hockeymatch von Lausanne den Puckeinwurf vor Spielbeginn gemacht. Danach ist einer der Lausanner Spieler zu mir gekommen und hat gesagt: «Ich verfolge deine Karriere schon lange. Chapeau für das, was du erreicht hast.» Da war ich total baff. Schliesslich treibt er einen Sport, in welchem er viel grösseren Risiken ausgesetzt ist. Ich spiele ja nur den Ball übers Netz (lacht). Später hat mich im Publikum dann noch eine Frau angesprochen und ihr Herz ausgeschüttet. Das sind unbezahlbare Momente. Und genau an diese muss man sich erinnern, wenn es einem mal nicht so gut läuft.
Was hat Ihre Olympiamedaille in Ihnen ausgelöst?
Das Spezielle an dieser Geschichte ist: Ich bin in der Olympia-Stadt Lausanne aufgewachsen. Ich habe in unmittelbarer Nähe des IOC-Hauptsitzes gelernt, Tennis zu spielen. Als kleines Mädchen bin ich mit der Schule drei-, viermal im Olympischen Museum gewesen. Ich habe diese Besuche geliebt, habe davon geträumt, selbst einmal ein Teil dieser Ausstellung zu werden. Meine ersten sportlichen Emotionen vor dem Fernseher erlebte ich im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen. Als ich dann die Medaille gewonnen habe, hat das in mir unglaublich viele Gefühle ausgelöst.
Und dann erst noch zusammen mit Martina Hingis...
Mit Martina Hingis verbindet mich sehr viel. Unsere gemeinsame Geschichte begann nicht erst in Rio, sondern schon viel früher. Ich habe sie bereits als kleines Mädchen bewundert, litt dann aber auch sehr darunter, dass ich von meinem Vater mir ihr verglichen wurde. Das habe ich ihr auch offen gesagt. Aber auch, dass das nicht ihr Fehler ist. Als wir an den Olympischen Spielen auf dem Platz standen, da wurde unser Vertrauen von Tag zu Tag grösser. Wir haben Hand in Hand gearbeitet. Wir konnten uns total aufeinander verlassen. Das hatte schon fast etwas Magisches.