Peter Zeidler: «Nein. Die Pause tut uns gut. Der ganze Flow macht Spass, kostet aber auch Energie. Wir werden es schaffen, den Schwung gleich wieder aufzunehmen. Nach drei Tagen werden die Spieler ja schon wieder Heimweh haben nach dem Team (lacht). Wobei: Eigentlich wollte ich schon am 29. Dezember mit der Vorbereitung auf die Rückrunde beginnen. Die Spieler haben mich dann davon überzeugt, dass ein Start am 2. Januar reicht. ‹Wir machen ja viele Läufe in der Ferienzeit›, hat Lukas Görtler argumentiert.
Da lasse ich auch einmal mit mir reden. Es gefällt mir sogar, wenn die Spieler hinstehen. Ich nenne das nun die ‹Lex Görtler›. Nicht falsch verstehen: Ich bin schon streng, wenn’s nötig ist. Das braucht es auch, der Erfolg kommt nicht von alleine.»
«Es ist schon so, dass wir stets an unsere Grenzen gehen. Ich weiss, dass wir jedes Mal eine richtig gute Leistung abrufen müssen. Doch die Mannschaft kann sich weiter verbessern, rein von der Altersstruktur her. Erfahrung kannst du ja nicht trainieren, die kommt mit der Zeit.
Das heisst aber nicht, dass wir weiterhin fast alle Spiele gewinnen, so wie es Salzburg in Österreich oder Liverpool in England tut. Da ist unsere Konkurrenz zu stark. Wir sind nahe am Optimum, weil die Bereitschaft der Spieler so gross ist, an die Grenzen zu gehen.»
Auch auf Platz drei spricht Zeidler noch immer davon, den Abstieg hoffentlich bald abgewendet zu haben. Reine Koketterie?
«Es fehlt noch mehr als ein Punkt, bis wir nicht mehr als Abstiegskandidat in Frage kommen. Ich habe mir tatsächlich die Mühe gemacht, die Tabellen der vergangenen zehn Jahre durchzuschauen – und bin auf dieses Resultat gekommen. Der zweitletzte hatte teils bis 40 Punkte. Wir stehen bei 35. Wir können schon sagen, dass wir Gott sei Dank in dieser Saison mit dem Abstieg nichts zu tun haben werden. Aber rein theoretisch sind wir noch nicht so weit. Ich bin kein Tiefstapler, ich wehre mich auch nicht gegen die Euphorie, da machen wir gerne weiter mit. Koketterie ist es nicht, es ist nur der Hinweis darauf, dass wir erst bei der Hälfte der Saison sind. Es geht nur um das nächste Spiel, dass ist gar keine banale Sache.»
«Alain Sutter und ich würden uns zu wichtig nehmen, wenn wir sagen würden: Genau so haben wir das Teamgefüge vorausgesehen. Da war schon vieles eine Verkettung von Glücksfällen. Zum Beispiel die Verpflichtung von Ermedin Demirovic: Dass er so oft trifft und mit Boris Babic dermassen gut harmoniert, war nicht vorauszusehen. Ähnlich ist es bei anderen Spielerduos: Im Mittelfeld die Spanier Jordi Quintillà und Victor Ruiz, in der Verteidigung Yannis Letard und Leonidas Stergiou, auf der rechten Seite die unzertrennlichen Lukas Görtler und Silvan Hefti. Dass all dies harmoniert, ist sicher auch glücklichen Umständen zuzurechnen.
Aber auch der guten Arbeit des Sportchefs. Der Teamgeist imponiert mir. Dass der junge Alessandro Kräuchi, der kaum zum Einsatz kam, für das Weihnachtsessen vor ein paar Tagen einen Rap-Song komponiert hat, in dem jeder Spieler vorkommt, ist schlicht sensationell. Die ganze Mannschaft performte den Song. Mir kamen fast die Tränen.»
«Als Trainer trägst du deinen Teil zu einer solchen Stimmung bei, kannst sie aber nicht erzwingen. Ich stelle sie einfach fest und freue mich darüber, weil es auch einen Einfluss hat auf das Spiel. Der Erfolg der Young Boys in den vergangenen Jahren ist ja ähnlich begründet. Einige Spieler sprechen nur noch von ‹der Familie FC St.Gallen›. Die gute Atmosphäre war schon in der vergangenen Saison da.
Aber dieses gewisse Etwas, diese ‹bande de copains›, das hat sich nun erst entwickelt – es ist sicher ein Teil des Erfolgs. Ein Grund, dass jeder für jeden rennt, weil alle wissen, dass es der andere für ihn auch macht.»
«Wir haben schon Spieler, die viel erlebt haben, auch wenn sie jung sind: Quintillà, Görtler, Hefti, Dejan Stojanovic, Cedric Itten. Da ist viel Persönlichkeit und mentale Stärke in der Mannschaft. Viele sagen: Der Zeidler will keine Alten. Das stimmt nicht. Aber ich wüsste nicht, auf welcher Position ich einen Älteren einsetzen müsste, um Ruhe ins Spiel zu bringen. Ich will ja keine Ruhe (lacht).
Risiko spielen, auch einmal bereit sein, umsonst zu laufen: Da braucht man keine Routine, muss aber mental stark sein. Wichtig ist, dass die Routiniers sich im Training einbringen, das tun sie.»
«Ich finde mich in den Auftritten der Mannschaft wieder. Es freut mich, dass ich mit Ralf Rangnick beim Entwickeln dieser Fussballidee von Anfang an dabei war: Wir gehörten zu jenen, die den Fussball ein bisschen anders sahen und uns an anderen Ländern orientierten. Nebst Mönchengladbach und Marco Rose sind auch Julian Nagelsmann bei Leipzig, Wolfsburg mit Oliver Glasner oder Adi Hütter bei Frankfurt von dieser Schule beeinflusst. Unsere grösste Freude aber ist, dass sich die Leute mit uns identifizieren, dass wir Begeisterung entfacht haben.
Ich bin schon ein bisschen verrückt und natürlich stellen sich einige die Frage: Warum will der immer attackieren? Weil ich überzeugt bin, dass das Erfolg bringt. Klar können wir uns noch entwickeln. Aber momentan ist das unser Fussball. Wir spielen immer nach vorne, wir spielen mit fünf Stürmern. Momentan funktioniert es, weil wir viele Verrückte in unserer Mannschaft haben.»
«Ich glaube nicht, dass es für die Spieler ein grosses Thema wird, uns schon im Winter zu verlassen. Aber man weiss natürlich nie, was noch kommt. Im Sommer kann dann jedoch schon das eine oder andere passieren, da dürfen wir uns nichts vormachen. Wo gibt es das sonst, dass man mit so einer jungen Mannschaft in der höchsten Liga eines Landes so erfolgreich spielt? Unsere Liga ist klein, die Spieler verdienen nicht so viel Geld wie in anderen Ländern. Da sind wir nicht naiv.»
«Ich fühle mich sehr wohl in St.Gallen und kann mir vorstellen, noch eine ganze Weile zu bleiben. Ob ich schon einmal mit dem Nationalmannschaftsdirektor Pierluigi Tami Kontakt hatte? Ja, aber das ist schon lange her und hatte überhaupt nichts mit der Nationalmannschaft zu tun. Ich spielte mit Sion gegen die Grasshoppers, es war die beste Partie während meiner Zeit im Wallis. Wir gewannen 4:2. Tami war nach dem Spiel wohl etwas böse auf mich, sagte etwas in meine Richtung. Ich weiss aber nicht, was genau und weshalb. Das war auch keine grosse Sache, Emotionen gehören zum Fussball. Aber nach der Partie entschuldigte er sich trotzdem bei mir. Das hat mir richtig imponiert.
Nun, ich habe schon zu oft erlebt, dass ein Trainer gefeiert wurde und einige Monate später war er weg. Wir haben hier allerdings schon ein sehr gutes und sehr vertrauensvolles Miteinander. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber jeder merkt doch, dass ich mich total wohlfühle hier. Und es entspricht übrigens nicht meiner Art, mich zu wichtig zu nehmen. Wir machen hier nun einfach weiter.»
«Das würde ich so nicht sagen. Die Zusammenarbeit mit Alain Sutter ist sehr gut. Mit ihm habe ich ein ganz besonderes Verhältnis, weil er halt auch ein besonderer Mensch ist. Er ist anders als alle anderen. Aber zwischen uns besteht eine Art Seelenverwandtschaft. Wir sehen beide die Dinge manchmal ein bisschen anders, wir verlassen uns gerne auch einmal auf unser Gefühl. Nach dem Abgang von Kutesa standen wir schon da und dachten: Was machen wir nun? Wir hatten ja keinen Ersatz. Also liessen wir es laufen bis kurz vor Transferschluss: Und wir fanden, per Zufall, Demirovic.
Das ist das Besondere an Alain Sutter: Er bleibt unter extremem Zeitdruck entspannt und wirkt nie gehetzt. Aber wir finden trotzdem immer eine Lösung. Weshalb sich Alain Sutter derzeit mit Interviews zurückhält? Er sagte zu mir: ‹Du machst das gut, also mach du das.› Aber auch unser Präsident Matthias Hüppi hat einen grossen Anteil, das sollten wir nicht vergessen. Wir ergänzen uns einfach sehr gut, ich denke das ist der Schlüssel.»