Wenn sich ab diesem Samstag der VfL Wolfsburg auf die Europa League vorbereitet (Rückspiel gegen Shaktar Donezk am 5. August), ist auch ein ehemaliger Basler dabei: Renato Steffen. Seit Januar 2018 spielt er für die Wölfe – die Verbindung zum FCB hat er aber nie verloren. In seinem Heimaturlaub besuchte er nicht nur die Familie, sondern auch die Ex-Kollegen. Und nahm sich im offenen Gespräch Zeit, sein bestes Halbjahr in Deutschland einzuordnen und die Zweifel über sein Fussballer-Dasein zu erklären.
Renato Steffen, die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es Ihnen?
Renato Steffen: Gut, danke. Für uns geht jetzt das Training wieder los in Wolfsburg, die letzten Wochen aber waren wir in der Schweiz. Das erste Mal in diesem Jahr. Wir haben im Elternhaus meiner Frau gewohnt, unsere Familien und auch einige Freunde endlich wieder gesehen. Es war eine sehr schöne Zeit.
Sie sind ein extremer Familienmensch. Wie schwierig war es, Ihre Eltern so lange nicht zu sehen?
Meine Eltern sind zum Glück, kurz nachdem die Grenze wieder geöffnet wurde und Angehörige einreisen durften, nach Wolfsburg gekommen. Aber es war tatsächlich nicht einfach. Seit ich aber meine eigene Familie habe, gehe ich besser mit der räumlichen Distanz zu meinen Eltern um. So habe ich viel Ablenkung.
Ihr Sohn hat Ihr Leben ohnehin auf den Kopf gestellt. Im nächsten Monat wird er zwei Jahre alt. Wie haben Sie sich seither verändert? Ist der Papa Renato Steffen ein anderer Mensch geworden?
Ich bin ruhiger geworden, ja. Neben dem Platz hatte ich immer schon gewisse ruhige Momente, das bekommen die Leute nur nicht so mit. Aber jetzt bin ich noch etwas ruhiger geworden.
Sind Sie denn als Papa auch ruhig?
Eher nicht, ich bin der, der sich die ganze Zeit Sorgen macht. Ich stehe lieber zwei, drei Mal mehr auf, wenn er herumrennt, weil ich immer ein bisschen Angst habe, dass er hinfällt. Meine Frau lässt ihn eher einfach machen. Ich möchte ihn nicht allzu sehr in Watte packen, aber ich will einfach nicht, dass er sich weh tut. Aber er ist ohnehin sehr pflegeleicht. Wenn er doch mal hinfällt, dann lacht er meist, statt zu weinen, weil er es lustig findet. Da haben wir echt Glück gehabt.
Hat Ihr Sohn auch Ihr Auftreten auf dem Platz verändert? Sie wirken auch da ruhiger, nicht mehr ganz so heissblütig wie früher noch.
Ich würde es so sagen: Ich nehme im Allgemeinen viele Dinge gelassener, die in meinem Umfeld passieren. Und ich habe gelernt, dass es manchmal wichtigere Sachen als den Fussball gibt, über die man sich den Kopf zerbrechen sollte. Ich mache mir lieber einen Kopf, was ich dem Kleinen bieten kann und wie er die schönst mögliche Kindheit hat. Also kann man schon sagen, dass er einen grossen Teil dazu beigetragen hat, dass ich mich nicht mehr so schnell aus der Bahn werfen lasse. Im Allgemeinen, und damit auch auf dem Fussballplatz.
Früher gehörte die emotionale Komponente zu Ihrem Spiel. Wie ausgeprägt ist die noch?
Im Training beispielsweise bin ich immer noch sehr emotional. Wenn mich etwas stört, dann bringt mich das immer noch auf die Palme. Ab und an zeige ich dann immer noch Reaktionen, die vielleicht unnötig sind. Aber im Vergleich zu früher kann ich die Dinge besser einordnen. Ich kann auch mal sagen: Ja, das war mein Fehler. Ich habe nicht mehr so grosse Mühe damit, so etwas einzugestehen. Meine eigene Wahrnehmung ist eine andere geworden. Das ist es vor allem, was sich geändert hat.
Klingt, als wären Sie richtig erwachsen geworden.
Langsam, ja. Aber irgendwann muss man ja auch erwachsen werden (lacht)!
Auf dem Platz ist Ihre Wandlung gar messbar. Sie haben mit sechs Toren und drei Assists in der Rückrunde Ihr bestes Halbjahr in der Bundesliga gespielt. Würden Sie das unterschreiben?
Ja, das war mein bestes Halbjahr, ganz klar. In meinem ersten Jahr habe ich mich immer gefragt, wieso ich nicht spiele. Dabei habe ich den Fehler vor allem bei Anderen gesucht, statt mich selbst zu hinterfragen. Für mich war klar, dass ich ja alles gebe. Aber dass das vielleicht nicht reicht, daran habe ich nie gedacht. Dass das nicht genug ist, wenn man nicht 100 prozentig fokussiert ist. Ich war vielleicht zu unbekümmert. Das ist jetzt einer Gelassenheit gewichen, die sicher zu dieser Rückrunde mit beigetragen hat. Sie hat mir geholfen, mich nicht davon abbringen zu lassen zu arbeiten, wenn ich mal nicht so viel oder gar nicht gespielt habe. Und es hat mich lernen lassen, dass ich darauf hören muss, was sie verlangen, weil ich so auf das Niveau kommen konnte, welches es in der Bundesliga braucht. Ich denke, es war auch dieser Wandel im Denken, der mir geholfen hat.
Heisst das, dass Sie anfangs nicht über Ihre Leidensgrenze gingen, weil Sie dachten: Ich habe es in die Bundesliga geschafft, das reicht?
Es war ein Mix aus dem Gedanken, es geschafft zu haben und der Unzufriedenheit, dass ich glaubte, alles zu geben, aber trotzdem nicht spielte. Dann kam damals dazu, dass ich nach einer verkürzten Vorbereitung nicht fit genug war, meine erste Chance zu nutzen. Das konnte ich alles in dieser Kombination nicht einordnen.
Erschwerend kamen die Trainerwechsel dazu. Geholt hat sie Martin Schmidt, dann kam Bruno Labbadia und nun Oliver Glasner. Sie klagten einst davon, das Gefühl zu haben, immer wieder bei null beginnen zu müssen.
Jedes Mal, wenn ich gedacht habe: Jetzt habe ich gezeigt, was der Trainer an mir hat, kam ein neuer, ja. Dann dachte ich immer: Mittlerweile wissen aber doch alle, was man an mir hat. Aber dem war nicht so. Ich musste immer wieder aufs Neue hinten anstehen, erklären, wo meine beste Position ist, während ich auf mir fremden Positionen eingesetzt wurde und mich neu beweisen musste. Es war immer das gleiche Spielchen. Da staut sich auch mal etwas an.
So viel gar, dass Sie das Gespräch gesucht haben, weil Sie sonst dachten, keine Besserung zu finden.
Genau. Ich musste im Winter einfach los werden, was mich stört. Mir war aber bewusst, dass ich nur etwas verlangen kann, wenn ich in der Folge auch Leistung bringe. Sonst hätte ich kein Recht, Dinge zu fordern. Das Gespräch wurde von allen Seiten positiv aufgenommen. Und ich fühlte mich wie befreit, ruhig. Dann bin ich im ersten Rückrundenspiel eingewechselt worden, habe ein Tor erzielt – und es kam alles ins Rollen. Der Knopf war gelöst. Dennoch nervt mich etwas.
Was denn?
Dass es nicht die ganze Saison so gelaufen ist. Es hätte eine noch viel bessere Saison werden können, hätte es von Anfang an so funktioniert. Verstehen Sie mich nicht falsch: Am Ende überwiegt das Positive. Aber es nervt mich, dass ich nicht noch mehr Spielzeit bekommen habe. Im Zuge dessen habe ich mich gefragt: Ist es wirklich nötig, dass ich mich jedes Jahr beweisen muss? Mir immer wieder das Vertrauen erarbeiten muss? Ich musste immer schon mehr machen als die Anderen, in meiner ganzen Karriere. Irgendwann wirst du müde im Kopf. Du fängst an, an dir zu zweifeln. Und du fragst dich, ob das alles noch das ist, was du wirklich weiterverfolgen willst.
Sie dachten daran, hinzuschmeissen?
Nein, ganz so schlimm war es nicht. Es ist auch nicht mein Naturell, Dinge abzubrechen. Und ich wollte nicht wieder einer dieser Spieler sein, der in der Bundesliga gescheitert ist. Aber es war ermüdend und schwierig, mich immer wieder aufzuraffen, zu beweisen, dass ich besser bin als andere denken. In diesen Zeiten war ich froh, dass mein Sohn schon da war. So wusste ich immerhin, wieso ich am Morgen aufstehe.
Hatten Sie denn irgendwann Zweifel, dass eine Rückrunde wie die jetzige irgendwann doch noch kommen würde?
Nein, denn für mich war eigentlich immer klar, dass der Fussball in Deutschland perfekt für meine Spielart ist. Also wollte ich mich durchbeissen. Und zum Glück gibt es mir im Leben immer wieder Recht, wenn ich das tue und auf meinem Weg bleibe.
Es hat Ihnen gar so viel Recht gegeben, dass eine Verlängerung ihres bis Sommer 2021 laufenden Vertrags bei Wolfsburg winkt.
Ja, das kommt noch dazu. Ich habe gute Argumente geliefert für eine Verlängerung und hoffe darauf, dass es mit der Führung bald Gespräche gibt und wir eine gute Ebene finden werden. Wir fühlen uns sehr wohl in Wolfsburg. Daher wäre es sehr schön, wenn ich bleiben könnte. Ich möchte den Leuten auch weiter zeigen, was ich kann.
Welchen Leuten? Jenen in der Heimat, die befürchteten, Sie würden der nächste, in der Bundesliga gescheiterte, Schweizer Legionär werden?
Auf jeden Fall. Die Leute in der Schweiz sind mir gegenüber immer noch kritisch und eher negativ gestimmt. Auch, wenn ich bei der Nationalmannschaft bin. Dabei müsste man mich dort doch als den Menschen sehen, der jetzt das Schweizer Dress trägt. Und nicht mehr als den Typen von früher. Ich bin nicht mehr so, wie viele Leute mich von früher zu glauben kennen. Das würde ich diesen Leuten gerne zeigen.
Das klingt nach einem Punkt auf Ihrer To-Do-Liste, den Sie zwingend abhaken möchten?
Das kann man so sagen. Mir ist es egal, wenn mich die Leute nicht mögen. Aber sie sollten differenzieren und anerkennen, wenn ich etwas gut mache.
Die EM in diesem Jahr wäre eine gute Option dazu gewesen.
Natürlich war die Verschiebung für mich enttäuschend. Was ich bislang bei der Nati zeigen konnte, war eher bescheiden. Ich war in einer Rolle, in der ich hinten anstehen musste, was ich in diesem Fall aber okay finde. Die Nati ist noch einmal ein anderes Kaliber. Aber ich bin in Kontakt mit dem Nationaltrainer, wir haben einen guten Austausch und er hat mir eine gute Verfassung attestiert. Und ich weiss auch, dass wenn ich weiter so auf meinem Niveau spiele, ich auch zu weiteren Einsätzen kommen werde.
Wechseln wir noch zu einem aktuelleren Thema. Mitte Woche wurde bekannt, dass das vierte Team in der Schweiz – der FCB – einen Coronafall zu beklagen hat. Sie waren am Spiel Basel gegen YB. Wie haben Sie den Umgang der Schweizer Liga mit dem Virus wahrgenommen?
Ich verstehe nicht, dass es in der Schweiz nicht wie bei uns obligatorisch ist, dass alle Beteiligten regelmässig getestet werden. Bei uns war das die Bedingung, damit der Betrieb am Laufen bleibt. Das Spielfeld ist doch eine Art virusfreie Zone. Damit sie das aber sein kann, braucht es die Gewissheit durch die Tests, dass alle, die diese Zone betreten, nicht infiziert sind. Bei uns kam noch die einwöchige Quarantäne dazu. Klar, so etwas muss gut geplant werden, und es geht mit viel Aufwand und viel Geld einher. Dass nicht jeder Klub letzteres hat, ist mir auch bewusst. Aber gerade in diesen Zeiten müssen doch alle zusammenstehen und sich die Clubs und die Liga gegenseitig aushelfen.
Der Coronafall ist aber nicht das einzige Problem, welches Ihren Ex-Club umgibt. Wie erleben Sie den FCB aus der Distanz?
Ich habe das Gefühl, dass einfach keine Ruhe mehr in den Club reinkommt. Die frühere Souveränität des Vereins im Ganzen ist etwas verloren gegangen. So zumindest wirkt es, wenn man es von aussen betrachtet. Es tut mir auch etwas weh, das zu sehen, vor allem wenn man weiss, wie es früher war und für welche Leistungen und welchen Status der FCB stand. Das klingt jetzt vielleicht etwas hart und klar, es gab eine Umstrukturierung und eine neue Philosophie. Aber dass es dann gefühlt jede Woche neue negative Schlagzeilen geben muss, kann ich nicht nachvollziehen. Das ist gar nicht mehr der Verein, den ich kenne.
Ist es für Sie die logische Konsequenz, dass bei so viel Unruhe auch die sportlichen Leistungen schlechter geworden sind im Vergleich zu jener Phase, in der Sie beim FCB waren?
Es ist immer schwierig, Vergleiche zu ziehen. In meiner Zeit hatten wir noch andere Möglichkeiten, gerade wenn ich überlege, welche Spieler wir da noch im Kader hatten. Das war etwas komplett anderes. Wir waren damals so breit aufgestellt, hatten Marc Janko und Seydou Doumbia auf der Bank, einen Matías Delgado, doppelt besetzte Flügel. Das ist ein riesiger Unterschied. Hinzu kommt, dass es meines Erachtens jetzt zu viele ähnliche Spielertypen gibt. Das Kader, in dem ich noch war, war variabler.
Waren es zu viele Abgänge von Persönlichkeiten, welche zu wenig adäquat ersetzt wurden?
Es waren sicher viele Abgänge, ja. Und irgendwann kann sich auch der FCB nicht mehr jedes halbe Jahr neu strukturieren. Der FCB hat zwar viele gute, junge Spieler, das ist unbestritten, aber sie brauchen einfach noch Zeit, um sich entwickeln zu können. Und mehr starke Persönlichkeiten, die die Jungen wieder führen. Einen grossen Unterschied sehe ich aber auch darin, dass bei uns jeder Spieler seine ganz besondere Eigenheit hatte. Da wusste man jeweils genau, was man kriegt, wenn der ins Spiel kam.
Wo sehen Sie den FCB in seiner aktuellen Entwicklung? In der Gefahr, zeitnah nicht mehr die Nummer 1 werden zu können?
Der FC Basel ist noch immer der beste Verein der Schweiz. Die Spieler, die kommen, müssen das einfach auch wieder so sehen. Sie müssen es wieder als Ehre empfinden, dieses Dress zu tragen. Sie müssen wieder merken, dass es das Non-Plus-Ultra ist, beim FCB zu sein. Dieses Gefühl vermisse ich ein bisschen.
Steffen hat damals eine Krankheit simuliert um mit YB nicht in der EL spielen zu müssen.Da er damals schon wusste,dass er zum FC Basel wechseln wird und dann nicht in der CL hätte spielen können.
Soviel zu Steffens Charakter.
Zusammen mit Shaq ist er wohl der einzige "Instinktfussballer" in der Nati. würde ihm mehr Einsatzzeit gönnen.
Gutes Interview mit Renato Steffen, ihm scheint die Vaterrolle gut zu tun