Was war in der Super League am Wochenende nur wieder los? In mehreren Partien griff der Video-Assistent in entscheidenden Situationen ein. Und während die rote Karte für Luzerns Nicky Beloko wohl korrekt war, stiess der Gedankengang der Schiedsrichter in Genf und St.Gallen auf Unverständnis.
In beiden Fällen trifft der Angreifer nach dem Ball auch noch den Knöchel des Verteidigers, der sich in die Schussbahn wirft. In Genf zählt deshalb das Tor von Servettes Jérémy Guillemenot nicht, in St.Gallen sieht Lukas Görtler gar die rote Karte. Der Deutsche reagierte fassungslos, sein Trainer und Landsmann Peter Zeidler sprach nach der Partie von einem «klaren Fehlentscheid». Völlig zurecht, möchte man als Fussballfan anfügen, beendet er doch nur die Schussbewegung, während ihm der Verteidiger in den Fuss läuft.
Zwar sagt Schiedsrichter Lukas Fähndrich, dass das Regelbuch in diesem Fall keinen anderen Entscheid als einen Platzverweis zulasse, doch erklärte er auch: «Mein Fussballherz hat geweint in diesem Moment.» Und damit ist der 39-Jährige nicht alleine – zumal der Zwischenfall zu Beginn der Partie zwischen dem FCSG und Lugano kein Einzelfall ist.
Die Entscheide der Schiedsrichter – und vor allem das häufige Eingreifen des VAR – sind für viele Aussenstehende immer schwieriger zu verstehen, seien es Spieler, Trainer oder Fans. Dabei war es gerade das Ziel der Einführung des Videobeweises, die Entscheide eindeutiger und damit klarer zu machen. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Vor allem bei Handspielen im Strafraum wissen nicht einmal mehr eingefleischte Fussballfans, weshalb die Entscheide wie getroffen wurden. Nicht selten kommt es beim gemeinsamen Schauen eines Spiels mit Freunden vor, dass Einigkeit über eine Szene herrscht, und der Schiedsrichter dann doch anders entscheidet. Obwohl der Unparteiische seinen anfänglich getroffenen Entscheid ursprünglich nur bei klaren Fehlern anpassen sollte. Davon sind wir aber schon weit entfernt.
Mittlerweile ist die Hemmschwelle der Video-Assistenten viel zu niedrig und sie melden sich viel zu häufig in strittigen Situationen, in denen es keine eindeutige Meinung zu geben scheint. Ausserdem werden Regeln mutmasslich vor allem für die Entscheidung durch den Videobeweis so formuliert, dass sie klar in Schwarz und Weiss einteilen und den Schiedsrichtern kaum Spielraum lassen. Weil Görtler seinen Gegenspieler Jonathan Sabbatini oberhalb des Knöchels und mit der Sohle trifft, sah sich Fähndrich gezwungen, die rote Karte zu zücken – entgegen seiner ersten Einschätzung, und weil der Video-Assistent ihn vor den Bildschirm bat.
Es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der Videobeweis bei den Schiedsrichtern auf dem Platz für Unsicherheit sorgt und ihnen so vielmehr schadet als hilft. Er sägt an ihrer Autorität, weil eben nicht mehr gilt, was der Unparteiische entscheidet. Ein Tor ist erst mindestens 30 Sekunden später ein Tor, ein Penalty-Entscheid kann auch nach Minuten gefällt werden, und ob ein Handspiel nun ein Handspiel ist, könnte gefühlt genauso gut gewürfelt werden.
Von Anfangsschwierigkeiten kann nun auch nicht mehr die Rede sein, da die Super-League-Schiedsrichter bereits seit der Saison 2019/20 aus Volketswil «unterstützt» werden. Und es ist ja nicht nur in der Schweiz ein Problem. In Deutschland oder auch England plagen den Fussball ähnliche Sorgen.
Deshalb ist es nun an der Zeit, die Kompetenzen des VAR umzudenken, und die Entscheidungshoheit wieder den Schiedsrichtern zu überlassen. Die Forderung, den Videobeweis ganz abzuschaffen, wie es aus Fankreisen auch immer wieder gefordert wird, ist chancenlos und auch wenig sinnvoll. Jedoch muss der Aufgabenbereich der Video-Assistenten dringend eingeschränkt werden.
Denn so, wie er in der Schweiz und auch anderen Ländern derzeit umgesetzt wird, macht er keinen Sinn. Die Hauptaufgabe – den Sport fairer zu machen – erfüllt das System nicht. Diskussionen über Fehlentscheidungen sind noch immer an der Tagesordnung.
Es spricht nichts gegen Torlinien- und Abseits-Technologie, weil die Sachlage hier eindeutig zu bestimmen ist. Auch bei Tätlichkeiten und anderen Fällen, in denen objektiv festgestellt werden kann, was die richtige Entscheidung sein muss, können die Fernsehbilder problemlos konsultiert werden. Jedoch darf nicht mehr versucht werden, strittigen Situationen eine nicht vorhandene Eindeutigkeit zu geben. Die rote Karte gegen Lukas Görtler versteht kein Fussballfan mehr – und das darf nicht sein.
Anders siehts bei Diskussionen über Spielfluss aus. Diese könnten wir eher führen. Da gibts Optimierungspotenzial.