In den Ausführungen von Röthlin fielen oft die Wörter «zum letzten Mal», ist doch seit rund zwei Jahren bekannt, dass der EM-Marathon in Zürich den Abschluss seiner erfolgreichen Karriere bildet. «Es ist ein Privileg, bewusst Abschied zu nehmen», sagte der 39-jährige Obwaldner.
Derzeit bestreitet Röthlin seinen letzten dreiwöchigen Höhenblock in St. Moritz, wobei er es als «extrem stimulierend» bezeichnete, dass er für einmal nicht alleine ist, sondern von Synergien mit anderen Läufern aus dem Schweizer Marathon-Team profitieren kann.
Am Dienstag absolvierte er zusammen mit dem EM-Topfavoriten Tadesse Abraham in genau zwei Stunden einen Lauf über 35 Kilometer. Danach hängte er auf der Bahn noch zwei 1000-m-Läufe an – für den ersten benötigte er 3:04 Minuten, für den zweiten 2:59. Den dritten schenkte sich Röthlin aus Vernunftsgründen, da er platt war. Darin sieht er jedoch ein gutes Omen. Bei der EM-Vorbereitung vor vier Jahren hatte er zum gleichen Zeitpunkt ebenfalls den dritten 1000er ausgelassen, «und es kam ja gut raus.» In der Tat, gewann er doch in Barcelona die Goldmedaille.
Wenn er am 17. August in seinem 27. und letzten Marathon erneut den Sprung aufs EM-Podest schaffen würde, wäre das für ihn ein Ende, wie es besser nicht sein könnte. «Ich bin mittlerweile nicht mehr die Nummer 1, sondern die Nummer 8 von Europa», sagte Röthlin. «Es gibt 10 bis 15 Leute, die eine Medaille gewinnen können.»
Deshalb ist für ihn der Sprung in die Top 3 nicht ein Müssen, sondern ein Dürfen. Er braucht für seine Glückseligkeit nicht unbedingt eine Medaille. «Für mich ist wichtig, nochmals mit hundertprozentiger Konsequenz den Weg zu gehen, in der gesamten Vorbereitung nochmals alles richtig zu machen und meinen Körper auf den Tag X hin in Topform zu bringen», so der Vater zweier Kinder.
Dies scheint ihm zu gelingen, jedenfalls ist in den ersten zehn der vierzehn Wochen unmittelbarer Marathon-Vorbereitung alles wie gewünscht gelaufen. Er hat bislang die richtige Balance zwischen Belastung und Erholung gefunden, denn der Grat ist schmal. «Ich bin dort, wo ich sein möchte», sagte Röthlin. Man habe immer einen Plan A, und manchmal sei man am Schluss bei Plan G. Bislang habe er aber den Plan A eins zu eins durchziehen können. «Ich bin sicher an einem Ort, um zu sagen, dass ich die Beine dazu habe, um nochmals vorne mitzulaufen, wenn alles stimmt.»
In Zürich wird keine Top-Zeit möglich sein, zu anspruchsvoll ist die Strecke, muss doch vier Mal der hartnäckige Aufstieg zur ETH-Polyterrasse absolviert werden. Deshalb erwartet Röthlin ein von der Taktik geprägtes Rennen. Er ist davon überzeugt, dass es nach dem Abstieg am meisten Veränderungen geben wird, da die Gefahr besteht, die Muskulatur beim Runterlaufen zu stark zu fordern, sodass in der Fläche nicht mehr zugesetzt werden kann.
Doch Röthlin wäre nicht Röthlin, würde er sich nicht perfekt auf diese Herausforderung vorbereiten. Er hat das Rauf- und Runterlaufen sowohl in die kurzen als auch in die langen Trainings integriert. «Ich bin in den langen Läufen über 30, 35 bis 40 Kilometer bewusst alle zehn Kilometer über einen Hügel gerannt, der ähnlich ist wie jener an der EM», so der Läufer des STV Alpnach.
Nun steht für Röthlin noch der letzte Schliff an. «Es geht darum, die Tempofestigkeit über die gesamte Distanz zu erarbeiten, gewisse spielerische Formen zu finden, bei denen man mit dem Tempo variieren kann. Der letzte Aspekt ist, mental bereit zu sein.» In den letzten zwei Wochen geniesst dann die Erholung Priorität. Und dann gilt es zum letzten Mal ernst. (si/qae)