Rumpelstilzchen. Ja, er mahnt ein wenig an Rumpelstilzchen. Dominique Aegerter (28) wird gefragt, ob er sich vorstellen könne, seine Karriere notfalls bei den Superbikes fortzusetzen. Er sagt trotzig: «Nein, nein, sicher nicht. Ich will im GP-Fahrerlager bleiben.»
Zur Erklärung: Ins GP-Fahrerlager wollen sie alle. Der GP-Zirkus ist die grosse Bühne. Erst recht für Schweizer. Unser staatstragendes Fernsehen überträgt alle Rennen in Echtzeit. Also gilt: «Ich bin im GP-Fahrerlager, also bin ich.»
Dominique Aegerter fährt diese Saison in der Moto2-Klasse zwar hinterher. Erst eine Rangierung in den «Top Ten» und bloss WM-19. Aber er hat im Quadrat mehr Medienpräsenz als Randy Krummenacher. Der Zürcher hat seinen Platz im GP-Zirkus im Herbst 2015 verloren. Seither fährt er in der Superbike-Szene, hat dort Starstatus und kann Super-Sport-Weltmeister werden. Er verdient recht gut (die Töff-Industrie mag diese Klasse). Aber praktisch unter Ausschluss der Sportöffentlichkeit.
Verständlich also, dass Dominique Aegerter im GP-Fahrerlager bleiben will. Und dort inzwischen bezahlt, damit er einen Platz in einem Team (MV Agusta) hat. Der freundliche Rock’n’Roller ist in die TV-Eitelkeitsfalle geraten. Lieber hinterherfahren und im Fernsehen kommen als siegen und keiner merkt’s.
So kommt es, dass sich vor den ersten Moto2-Rennen nach der Sommerpause in Brünn (Sonntag, 12.30 Uhr, live SRF2) die zwei Schweizer auf verschiedenen Zeitebenen bewegen. Tom Lüthis Ziel ist der WM-Titel. Der 32-jährige lebt vollständig in der Gegenwart. Beschäftigt sich an den beiden Trainingstagen intensiv mit Fahrwerks-und sonstigen Einstellungen, um mit einer optimal präparierten Höllenmaschine um den Sieg zufahren.
Er ist nach dem ersten Trainingstag in Brünn «nur» auf Position 6 – aber vor WM-Leader Alex Marquez (7.). Und das zählt. Nach anderem als seinen Erlebnissen draussen auf der Piste wird er von den Chronisten nach dem Training nicht befragt. Die nächste Saison kümmert ihn nicht. Er hat ja in seinem Team bereits einen Vertrag für das Jahr 2020.
Dominique Aegerter hingegen lebt nicht nur in der Gegenwart. Die ist trist genug. Nach dem ersten Trainingstag finden wir ihn auf Rang 23. Er wird wohl auch in Brünn nicht über die 7. Startreihe hinauskommen.
Dominique Aegerter lebt auch in der Zukunft. Seine Gedanken beschäftigen sich nicht nur mit Fahrwerks- und sonstigen Einstellungen. Er macht sich Sorgen. Das stört die Konzentration. Die grosse Frage: Hat er 2020 noch einen Platz im grossen Töff-Zirkus? Er ist optimistisch. «Mein Manager schaut zusammen mit meinem Bruder für mich und macht seine Sache gut.»
Der Manager heisst seit diesem Jahr Oliver Imfeld. Wäre doch gelacht, wenn einer, der eine Weltkarriere im Musikgeschäft (DJ Bobo) gemanagt hat, nicht auch einem Töff-Hinterbänkler weiterhelfen könnte. Der Luzerner SVP-Politiker sagt: «Ich bin zuversichtlich. Wenn erst einmal klar ist, ob MV Agusta die beiden Plätze auch für nächste Saison hat, können wir konkret verhandeln. Wir haben eine Verlängerungs-Option in unserem Vertrag und stehen im ständigen Kontakt. Es ist möglich, dass wir eine zweite Saison bei MV Agusta fahren können.» Einen Plan B habe er nicht. Die Superbikes seien kein Thema.
Was der rührige, im Musikgeschäft so erfolgreiche Macher nicht weiss: Längst ist entschieden, dass MV Agusta auch nächste Saison dabei sein wird. Aber Carlo Pernat, der legendäre Töff-Machiavelli, der alles hört und weiss, sagt auf die Frage, ob Dominique Aegerter auch nächste Saison die Farben von MV Agusta tragen wird, sibyllinisch: «Eher nein als ja…».
So steht Dominique Aegerter vor seinem dritten sorgenvollen Herbst. Bereits 2017 und 2018 bangte er bis weit in den Winter hinein um die Fortsetzung und Finanzierung seiner GP-Karriere. Die Chancen, dass Oliver Imfeld auf der Liste der SVP im Herbst vom Luzerner Stimmvolk in den Nationalrat entsandt wird, sind inzwischen grösser als die Chancen seines Klienten, auch 2020 in der Moto2-WM zu fahren.