Ordnung muss sein! Die Tage eines GP-Wochenendes haben eine klare Struktur. Zum ewigen Ritual gehören beim Schweizer «Dream-Team» mit Tom Lüthi und Dominique Aegerter die sogenannten Pressekonferenzen nach dem Training am Freitag- und am Samstagabend.
Vorwitzige Chronisten nennen diese Medientermine «Kinderstunde». Die Piloten sitzen in der Hospitality ihres Teams, der italienische Küchenbursche stellt Getränke und Snacks bereit und serviert Kaffee. Espresso oder Cappuccino? Um 16.45 Uhr kommt jeweils Tom Lüthi zur Fragestunde. Um 17.00 Uhr folgt Dominique Aegerter.
Die Themen sind immer und ewig die gleichen. Es geht um Fahrwerkseinstellungen, Reifen, Temperaturen, Linienwahl und Bremsverhalten. Der Motorsport bietet so reichlich technische Ausreden, dass es gelingt, um den heissen Brei herumzureden. Die Bremse im Kopf wird nie thematisiert.
Dabei ist diese unsichtbare Bremse gerade in der Moto2-WM entscheidend. Alle haben das gleiche Bike und die gleichen Reifen. Die Technik kann die Unterschiede nicht erklären. Aber in der Machowelt des Töffsports gibt keiner zu, dass das Problem im Kopf sein könnte. Dass er von den Dämonen des Zweifels geplagt wird.
Hier in Barcelona hätte jemand, der die deutsche Sprache nicht versteht und nicht lesen kann, das Trainingsresultat der Schweizer – 4./zweite Startreihe für Aegerter, 10./vierte Startreihe für Lüthi – erraten. Alleine durch das Studium der Körpersprache.
Der Routinier Tom Lüthi wirkt ein wenig hektischer als sonst. Spricht ein bisschen schneller als dies der Berner normalerweise tut, und sein Oberkörper ist stärker nach vorne über den Tisch gebeugt. Er hat das «Mugello-Trauma» noch nicht ganz überwunden. Dort hat er vor zwei Wochen in Führung liegend durch Sturz den Sieg vergeben. Er erklärt, dass sich seine Maschine hier in Barcelona einfach nicht mehr so gut fahren lasse wie zuletzt in Le Mans (Sieg) und eben Mugello.
«Es ist mühsam. Ich bin zu stark am Limit und rutsche ständig herum», sagt Lüthi. Es sei schwierig, aggressiv zu bremsen, weil das Vorderrad immer wieder die Bodenhaftung verliere. Tom Lüthi ist einer der talentiertesten Fahrer der Welt. Wenn er diese Schwierigkeiten hat, fällt er nicht gleich ins Bodenlose und aus den Top Ten. Als 10. des Abschlusstrainings kann er auch aus der vierten Startreihe heraus noch ein Spitzenresultat herausfahren.
Tom Lüthi verlässt den Raum und kurze Zeit später kommt Dominique Aegerter herein. Er ist zufrieden. Ja, er strahlt. Erste Startreihe und Podest (3.) vor zwei Wochen in Mugello und jetzt die zweite Startreihe in Barcelona.
Auf die Frage, ob die Krise endlich überwunden sei, sagt er: «Ich bin zwar mit den Resultaten noch nicht ganz zufrieden. Aber ja, ich denke, die Krise ist vorbei.» Und nun erzählt er von seinen Schwierigkeiten während des Trainings. Es sind exakt die gleichen wie bei Tom Lüthi. Schliesslich haben ja beide die gleiche Höllenmaschine. Aber Aegerter plaudert viel lockerer und seine Körperhaltung ist entspannter. «Ja klar rutscht es auch bei mir. Aber das gehört dazu. Sonst wäre ich ja nicht am Limit.»
Das Problem, das Tom Lüthi beunruhigt, lässt ihn also kalt. Er hat seine Bremse im Kopf gelöst. Sein Selbstvertrauen scheint wieder intakt. Er gibt den Asphalt-Rock'n'Roller. Er hat endlich wieder die Coolness, die Lockerheit gefunden, die er für seinen wilden Stil braucht. Aegerter ist so locker, dass er gleich noch fragt, warum sich eigentlich heute niemand nach dem neusten Stand seines Liebeslebens erkundige. Seine schöne blonde Dauerbegleiterin Tanja Steiner ist zwar wieder einmal da. Aber er ist nach wie vor Single.
Das Rennen (Start um 12.15 Uhr) ist genauso Kopfsache wie das Training. Nicht immer gelingt es, die lockere Stimmung in den Sonntag hinüberzuretten. Schlechter Schlaf kann die Dämonen des Zweifels rufen und einen Grand Prix ruinieren.