Wenn Marco Odermatt im Ziel der Olympiaabfahrt um fünf Hundertstel die Nase vorne hat, dann muss dies kein Zufall sein. Neben Talent, harter Arbeit, Tagesform und anderen Faktoren können auch Daten die entscheidenden Sekundenbruchteile ausmachen.
Ausgerechnet vor Peking entpuppte sich das Sammeln von Informationen als äusserst schwierig. Auch in den Tagen vor den ersten Wettkämpfen ist die Datenlage über Windverhältnisse, Temperaturen, Lichteinfall und Schneebeschaffenheit ungleich dünner als üblich. Umso wertvoller werden die Daten.
Swiss-Ski scheut in der Vorbereitung auf Olympische Spiele keinen Aufwand. Bereits Monate, wenn nicht Jahre vor dem eigentlichen Rennen schicken sie Spezialisten vor Ort, um Erkenntnisse über die möglichen Einflüsse auf Material, Taktik oder Rennverlauf zu sammeln. Dass Dario Cologna 2018 in Pyeongchang allen Konkurrenten davonlief, war auch den perfekt präparierten Ski zu verdanken. Dies gelang nicht zuletzt dank hervorragend dokumentierter Datenlage.
Im Vorfeld von Peking war alles ein wenig anders. Im vergangenen Winter wurden alle geplanten Wettkämpfe auf dem Olympiagelände wegen Corona gestrichen und in diesem Winter nur vereinzelte Testevents nachgeholt. Bei diesen waren auch Sportwissenschafter aus dem Team von Björn Bruhin vor Ort. Bio-Mechaniker Bruhin ist Angestellter des Bundesamts für Sport mit dem Auftrag, als Forschungskoordinator Swiss-Ski in der Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis zu unterstützen. Neben vielen anderen Projekten liefert er wissenschaftliche Daten.
Seit einer Woche ist ein Team von drei Mitarbeitern von Swiss-Ski und einem Fachmann aus Davos zusammen mit Bruhin in den chinesischen Bergen an der Arbeit. Man hat sich auf die alpinen, nordischen und Freestyle-Bewerbe aufgeteilt. In wenigen Tagen soll das eingespielte Team die Daten sammeln und auswerten, die man ansonsten in zwei Jahren zusammenträgt.
«Wir müssen möglichst schnell möglichst viel darüber lernen, wie sich der Schnee je nach Wind, Temperatur und Lichteinfall verhält. Und daraus die richtigen Schlüsse ziehen», sagt Bruhin. Es sei das Ziel, die Teams so gut wie möglich zu unterstützen, um in möglichst kurzer Zeit die ideale Taktik herauszufinden.
Der 36-Jährige schmunzelt, dass die aktuell in der olympischen Blase eintreffenden Serviceleute «die spärlichen Informationen richtiggehend aufsaugen». Auch sie müssen die fehlenden Erfahrungswerte irgendwie kompensieren. Weil die Zeit knapp ist, sind so viele Datenspezialisten von Swiss-Ski nach China gereist wie noch nie bei Winterspielen.
Auch ein Mitarbeiter des Lawinenforschungsinstituts Davos ist vor Ort. Er berechnet möglichst rasch Modelle, welche laufend mit den eintreffenden Daten von den Skipisten oder den Langlaufloipen ergänzt und verfeinert werden. So dass Beat Feuz, Marco Odermatt oder Dario Cologna im Rennen den richtigen Ski und die optimale Startnummer wählen.
Björn Bruhin hat bei seiner Arbeit wiederholt erfahren, dass es in China anders funktioniert als bei seinen üblichen Einsätzen in Europa oder Nordamerika. Der Zugang zu den Pisten ist schwieriger und überall hat es Kameras. Ab und zu musste er und sein Team improvisieren, um dorthin zu gelangen, wo man hinwollte. Auch die üblichen Wetterdaten-Sensoren, wie man sie auch aus der Schweiz kennt, standen in den chinesischen Bergen nicht zur Verfügung.
Und als man beim Testevent der Skicrosser im November die Daten der hochmodernen Messgeräte auf den Server laden wollte, versperrte eine Firewall dieses Vorhaben. In aller Schnelle entwickelte Bruhin mit einem Mitarbeiter eine Erfassungs-App für die Datensammlung und man wich dann halt auf handelsübliche Messgeräte aus.
Ein entscheidender Teil der Arbeit des ehemaligen Skitrainers aus Schübelbach ist nicht das Sammeln und Erfassen der Daten, sondern die richtige Analyse und danach die Kommunikation der gefilterten Informationen an Serviceleute und Trainer. Welche Konsequenzen aus den Erkenntnissen gezogen werden, entscheiden letztlich sie.
Dabei ist nicht die Quantität relevant. «Wir hören uns an, was die Trainer wissen müssen und bearbeiten dann diese Aufgabenstellung», erklärt Bruhin. Neben Wettereinflüssen gehören auch Auswertungen über Abschnittszeiten im Abfahrtstraining zum üblichen Aufgabenbereich. Doch auch hier gilt: Manchmal ist weniger mehr.