«Nuvole Bianche» von Ludovico Einaudi. «River Flows in You» von Yiruma. «Forrest Gump» von Yann Tiersen. Es sind klassische Lieder, die Delia Durrer auf dem Klavier wiedergibt. Lässt es ihr dichtgedrängter Zeitplan zu, greift sie in die Tasten.
So könne sie Emotionen rauslassen, Erlebtes verarbeiten. «Wenn es sportlich gut läuft, spiele ich weniger, als wenn es schlecht läuft», sagt sie.
Das Klavierspielen ist ihr Hobby, Beruf und Berufung hat sie im alpinen Skisport gefunden. Sie misst zwar nur 164 Zentimeter, ist aber dennoch die grösste Schweizer Zukunftshoffnung bei den Frauen.
Bei den ersten Speed-Rennen des Winters liess sie wie schon im Vorjahr aufhorchen. Auf die Plätze 11 und 9 in den beiden Trainings in St. Moritz folgten die Ränge 21 im Super-G und 19 in der Abfahrt. Nur einmal war sie im Weltcup bisher besser klassiert. Ein erstes Top-10-Ergebnis vergab die junge Nidwaldnerin mit einer verkorksten Fahrt im Mittelabschnitt. «Da bin ich zu zögerlich gefahren. Das kann ich sicherlich noch optimieren», sagte sie nach der Abfahrt am Samstag.
Ihr erstes Weltcup-Rennen bestritt Durrer mit 18 Jahren im Februar 2021 in einer Abfahrt in Val di Fassa im Trentino. Gut 21 Monate später überraschte sie beim Saisonauftakt in Lake Louise in Kanada mit den Rängen 20 und 13 in den beiden Abfahrten. «Es gab Orte, an denen ich mich von Beginn weg sehr wohl gefühlt habe. Dann gab es Orte, an denen ich mich nicht wirklich zurechtfand», sagt sie. Dass in einer jungen Karriere nicht alles nach Plan läuft und man auch mal Lehrgeld bezahlen respektive Rückschläge hinnehmen muss, ist sich Durrer bewusst. «Es gehört zum Prozess dazu, auch mal weniger gute Ergebnisse einzufahren.»
Für ihre erst 21 Jahre wirkt Delia Durrer erstaunlich reif und reflektiert. Beat Tschuor, Cheftrainer des Schweizer Frauen-Teams, sagt: «Sie ist eine seriöse und akribische Athletin, die sehr fokussiert und zielstrebig arbeitet. Gleichzeitig ist sie geduldig und bestrebt, sich immer weiterzuentwickeln.»
Zugute kommt Durrer, dass mit Corinne Suter, Jasmin Flury, Lara Gut-Behrami und Michelle Gisin mehrere Top-Fahrerinnen im Team sind. Der Druck verteilt sich auf viele, die Innerschweizerin profitiert vom Windschatten der Arrivierten - und auch von deren Erfahrungen. «Ich spreche häufig mit meinen Teamkolleginnen. Sie sind sehr offen und geben mir Tipps. Das ist extrem hilfreich.»
Auch wenn sie noch viele Ratschläge aufsaugt wie ein Schwamm: Stösst Durrer aus dem Starthaus ab, ist sie selbstredend auf sich allein gestellt. Entscheidend – vor allem in ihrer Paradedisziplin Abfahrt – sind die eigenen Erfahrungen. «Jedes Rennen im Weltcup bringt dich weiter», sagt sie. Letztes Jahr sei sehr herausfordernd gewesen. Weil für Durrer alles neu war. Jeder Ort. Jede Piste. Jeder Medientermin. «Es gibt dir Ruhe, wenn du alles schon mal durchgespielt hast.»
Diese Ruhe schlägt sich in den Leistungen nieder. Den ersten Nachweis hat Durrer am Wochenende in St. Moritz erbracht. Die Ränge 21 und 19 stellen im Vergleich zum Vorjahr eine deutliche Steigerung dar. Zwölf Monate zuvor hatte es ihr im Engadin in zwei Abfahrten nur zu den Plätzen 43 und 41 gereicht.
Angesprochen auf ihre Ziele für die am Wochenende gestartete Speed-Saison, meint Durrer: «Letztes Jahr war die ganze Weltelite neu für mich. Trotzdem schaffte ich es, mich in der Abfahrtswertung unter den besten 30 zu klassieren. Ich fühle mich immer wohler, will mich etablieren und einen Schritt nach vorne machen. Ich will mir dafür aber die nötige Zeit geben.»
Am kommenden Wochenende erwartet sie von sich also keine Wunderdinge, schliesslich ist sie Val d’Isère noch kein Weltcup-Rennen gefahren. Der nächste Schritt in die richtige Richtung solls aber schon sein. Allzu viele Gedanken ans Klavierspielen möchte Delia Durrer in dieser Saison nicht mehr verschwenden. (ram/sda)