Einen Rennschuh eines Weltcup-Athleten zu tragen, ist für Breitensportler unangenehm. Der Druck auf den Fuss ist extrem, wie ein Selbstversuch bei der Firma Salomon im zugerischen Hagendorn zeigt. Nur schon in den Schuh zu kommen, benötigt viel Kraft. Die Schale des Schuhs ist härter als bei gewöhnlichen Modellen. Sind die Schnallen zu, ist der Fuss eingesperrt. Die Assoziation eines Schraubstocks ist nicht falsch. Es drückt auf den Rist, auf die Knöchel, auf die Ferse. Steht man aufrecht, stossen die Zehen an.
Auch Marco Odermatt, der speziell für seine Füsse angefertigte Schuhe trägt, sagt, er habe «mässig viel Platz» in seinen Skischuhen. Doch das muss so sein, damit die Kraftübertragung auf den Ski optimal ist. «Viele denken, der Ski ist das Wichtigste, doch wenn dir der Schuh nicht passt, bist du chancenlos», sagt er.
Obwohl er jedes Jahr ein halbes Dutzend neue Skischuhe von Salomon bekommt (drei für Speed, drei für Riesenslalom), bewahrt er ältere Modelle, mit denen er erfolgreich war, im Keller auf. Vor den Weltcup-Rennen von Beaver Creek Anfang Dezember erinnerte er sich etwa an die Schuhe, die ihm zwei Jahre zuvor auf der gleichen Piste den ersten Weltcupsieg bescherten. Also packte er die alten Schuhe in sein Reisegepäck. Die Idee war klug. Er gewann den Super-G von Beaver Creek wieder.
Am Chuenisbärgli wird er am Samstag nicht den Schuh vom vergangenen Winter hervorholen, als er Dritter wurde. Denn im Riesenslalom sind die Bedingungen anders als bei Speedrennen, weil es während der Läufe viel mehr Bewegung und viele schnelle Richtungswechsel gibt. «Im Riesenslalom verlieren die Schuhe irgendwann die Stabilität, die Spritzigkeit, deshalb nehme ich jedes Jahr die neuen Modelle», sagt Odermatt. Das Schraubstock-Gefühl darf also nicht verblassen, könnte man sagen.
Odermatt wechselte 2015 die Schuhmarke. Vom österreichischen Hersteller Atomic hin zum Marktführer Salomon, der französischen Firma mit Hauptsitz in Annecy. Sein sportlicher Aufstieg brachte ihm eine persönlichere Betreuung ein. In den letzten zwei Jahren konnte er auch bei der Entwicklung der Schuhe mitreden. Ausserdem steht ihm bei den Rennen ein Servicemann von Salomon zur Verfügung, der Anpassungen vornehmen könnte.
Odermatt sagt, auf diese Saison hin habe er hinsichtlich der technischen Tüftelei einen Schritt nach vorne gemacht. Ein Tüftler wie Marcel Hirscher - der Österreicher war für seine Optimierungswut bekannt - sei er aber nicht. «In den letzten Jahren habe ich vieles beibehalten. Das reichte für die Top 5. Aber ich bin nun daran, die letzten Prozente beim Setup rauszuholen», sagt er.
Die Arbeit scheint sich zu lohnen. Odermatt wurde in dieser Saison zum Siegfahrer. Von vier Riesenslaloms gewann er drei. Hinzu kommt der Super-G-Sieg von Beaver Creek. In der Gesamtwertung ist er den Gegnern schon etwas entrückt. Sein Vorsprung auf den Norweger Aleksander Kilde beträgt 276 Punkte.
Nun folgt das Heimrennen in Adelboden, eines der drei Monumente im Weltcup, nebst Wengen und Kitzbühel. Die Erwartungen sind vielleicht noch etwas klarer als in den vergangenen Jahren. Das dringt auch beim Skiverband durch. Eine Mitteilung vom Donnerstag trägt den Betreff: «Ski-Fest mit Fans, Heimsieg-Hoffnungen.»
Gemäss dem Stand von Donnerstagabend sind Fans nach wie vor zugelassen. Odermatt sagt: «Ich glaube es erst am Samstagmorgen, wenn die Fans tatsächlich da sind.» Im vergangenen Jahr fanden die Rennen ohne Publikum statt. In den beiden Riesenslaloms sorgten Odermatt und Loïc Meillard für zwei dritte Plätze. 2008 konnte der letzte Schweizer Sieg im Riesenslalom gefeiert werden. Damals gewann Marc Berthod. «Ich weiss, wie schwierig es ist in Adelboden. Es muss sehr viel zusammenpassen, um aufs Podest zu kommen», sagt Odermatt.
Dass er besonders gut ist, wenn die Piste selektiv ist, verdeutlichte sein Sieg in Alta Badia. Die Gran Risa gilt nebst dem Chuensibärgli als schwierigster Riesenslalom-Hang der Welt. Und Odermatt gewann mit einer Sekunde Vorsprung. Unter diesen Umständen ist es kaum möglich, sich in Adelboden aus der Favoritenrolle zu stehlen. Die Schuhe werden ihren Teil dazu beitragen. «Doch ich bin auch der Meinung, dass der Athlet selbst einiges kompensieren kann», sagt er. Vielleicht ist das sogar seine grösste Stärke. (aargauerzeitung.ch)