90 Minuten nach dem Rennen sollte der Telefonanruf kommen. «Aber behaften Sie mich nicht, man weiss ja nie», stand im Mail. Tatsächlich weiss man bei Skifahrer Marco Odermatt nie ganz genau. Auch am Samstag in Kranjska Gora dauert sein Programm länger. Er lächelt nach dem Riesenslalom vom Podest, gibt Siegerinterviews.
Doch tatsächlich: ziemlich genau anderthalb Stunden nach seinem fulminanten zweiten Lauf surrt das Hosentaschentelefon. Die Person am anderen Gerät muss zuerst die Nebengeräusche ausschalten, einen Kopfhörer mit Mikrofon anziehen. Marco Odermatt ruft aus dem Helikopter an, der ihn in gut 90 Minuten von Slowenien zum Landeanflug in Tiefencastel bringt.
Odermatts Manager Michael Schiendorfer hat den Flug organisiert. Er ersetzt eine knapp achtstündige Autofahrt. Jede ruhige Minute vor dem Mammutprogramm der letzten Rennen beim Finale in Lenzerheide kann entscheiden. Im Duell der grossen Figuren des Weltcupwinters: Alexis Pinturault und Marco Odermatt. Noch liegt der Franzose im Kampf um den Gesamtweltcup minimal vorne. Aber er zeigt Nerven, fädelt beim sonntäglichen Slalom ein anstatt vorentscheidende Punkte zu erobern.
Auch Marco Odermatt spürt die Strapazen der langen Saison, selbst wenn seine jüngsten Resultate dies nicht erahnen lassen. Zweimal Erster und nie schlechter als Fünfter war er seit der Weltmeisterschaft. «Aber es ist Lauf für Lauf etwas schwieriger, die Konzentration zu finden», gibt der Nidwaldner zu, «ich fühle mich langsam müde.»
Und die WM mit dem verpatzten Super-G, dem undankbaren vierten Rang in der Abfahrt und dem frühen Ausscheiden im Riesenslalom hat wohl auch mental an ihm genagt. Schliesslich traute man dem 23-Jährigen bei all seinen Starts eine Medaille zu. «Im ersten Moment tat es weh. Aber kaum war ich zuhause, war es auch schon verarbeitet und bald einmal vergessen», sagt Odermatt.
Er betrachtet es als «kleiner Aussetzer» in einem Weltcupwinter, der für ihn kaum erfolgreicher hätte sein können. In 17 Rennen fuhr Marco Odermatt bislang in die Top 10. Eine Saison zuvor gelang ihm dies lediglich fünfmal. Noch beeindruckender die Podestbilanz: 9 zu 2.
Mit seinen Fahrten aufs Podium macht Odermatt auch gut 80 Personen in Malters eine gewichtige Freude. Für jeden Podestplatz auf Stöckli-Ski gibt es für die Angestellten der Skifabrik am Montag ein Gratis-Znüni. Dieses kann der Skistar zwar nicht persönlich vorbeibringen, aber seine Verbundenheit mit der Schweizer Marke bleibt auch so bestehen.
Obwohl Odermatt von den grossen Skiherstellern wie Head umworben wurde, verlängert er seine Zusammenarbeit mit Stöckli. «Für mich stand ein Wechsel nie wirklich zur Diskussion, so lange es so gut läuft. Bei Stöckli bin ich die klare Nummer 1. Alle machen alles für mich», sagt Odermatt. Und er habe in dieser Saison die Bestätigung erhalten, dass er vom Material her in allen Disziplinen konkurrenzfähig sei.
Konkurrenzfähig ist er auch punkto körperlicher Fitness. Odermatt hat im Sommer in seinem privaten Fitnessraum die Grundlagen geschaffen, um als Vielstarter physisch bis zuletzt zu grossen Taten fähig zu sein. Wie austrainiert der sechsfache Juniorenweltmeister ist, zeigt er auch im Boxtraining bei Profikämpfer Ando Hakob in Baden. Odermatt schlüpft für eine kleine Filmserie mit den Schweizer Skistars in die Rolle von «Rocky».
Eine besondere Affinität zum Film oder zur Sportart hat der 23-Jährige nicht. Er revidiert während des Trainings bei Hakob aber seine Meinung. «Ich dachte, Boxer seien ein wenig Spinner. Man müsse extrem der Typ für diese Sportart sein. Aber es war enorm eindrücklich zu erleben, wie hart man als Boxer für den Erfolg trainiert.» Und auch wenn Marco Odermatt als Ausgleich zum Skifahren lieber auf Golf, Tennis und Wandern setzt, kann er doch etwas aus seiner temporären Filmrolle mit zum Weltcupfinale nehmen: Auch Rocky Balboa gewann seine Kämpfe dank eines unglaublichen Endspurts.
Marco Odermatt will die Lockerheit bis zum letzten Gong der Saison behalten. «Er muss, ich darf», sagt er zum Duell mit Pinturault. Er rechne auch nicht nach jedem Rennen die Ausgangslage neu aus. «Ich schaue auf mich», sagt der Innerschweizer.