Alexander Zverev ist Olympiasieger. Der 24-Jährige gewinnt das olympische Tennisfinale in Tokio souverän in zwei Sätzen und schreibt damit Geschichte. Es ist das erste olympische Gold für Deutschland im Herren-Einzel. Bislang konnten Steffi Graf (1988) und die beiden Doppel Köring/Schomburgk (1912) und Becker/Stich (1992) Goldmedaillen im Tennis gewinnen.
Nach knapp 80 Minuten Spielzeit verwandelte er den ersten Matchball gegen seinen russischen Gegner Karen Khachanov, sank zu Boden und schlug die Hände vors Gesicht. Danach grinste er über das gesamte Gesicht. Zverev spielte souverän, liess dem Russen kaum eine Chance und zeigte von Anfang an, was sein Ziel war: die Goldmedaille. Der Aufschlag war sicher und die Fehler-Quote gering. Im zweiten Satz gab er nur ein Spiel ab und gewann diesen mit 6:1. Dominanz pur. Zverev war auf einer Mission, das war ihm anzusehen – und beendete diese erfolgreich.
«Jetzt habe ich hier eine Goldmedaille um meinen Nacken und das sind Gefühle, die ich nicht beschreiben kann», sagte der frischgebackene Olympiasieger nach seinem Wettkampf. «Das ist wahrscheinlich der schwerste Wettbewerb, den man gewinnen kann. Eine Goldmedaille ist nicht nur für dich, sondern für das ganze Land und ich habe nicht eine Sekunde auf dem Platz verbracht, um für mich zu spielen. Ich habe für ganz Deutschland gespielt. Für alle zu Hause. Und da bin ich sehr froh, dass ich eine Goldmedaille nach Hause bringen kann.»
Es schien so, dass Zverev alle Diskussionen rund um seine Person, alle Fehler, die er in der Vergangenheit eventuell begangen hat, nun hinter sich lassen konnte und endlich sein bestes Tennis zeigte. Dabei stand er im Halbfinale noch mit dem Rücken zur Wand.
Im zweiten Satz gegen den aktuell besten Tennisspieler der Welt, Novak Djokovic, kassierte Zverev gerade das Break. Er verlor sein Aufschlagspiel. Djokovic hätte «nur» noch drei Mal seinen Aufschlag durchbringen müssen und wäre im Finale des olympischen Turniers gestanden. In der Vergangenheit scheiterte Zverev an solchen Situationen und seinen eigenen Nerven öfters. Auch jetzt war er sichtlich gefrustet und liess seinen Emotionen freien Lauf: Er schlug den Filzball aus dem Stadion und schmetterte seinen Schläger auf den Boden.
Doch statt das Spiel und den Traum von der Goldmedaille zu begraben, holte er sofort im nächsten Spiel das Re-Break. Er gewann also den Punkt trotz Aufschlag von Djokovic. Und spielte danach das wohl beste Tennis seiner Karriere. Acht Spiele in Folge gewann Zverev. Holte sich den zweiten Satz und führte dann plötzlich im entscheidenden dritten Satz mit 4:0. Und liess dann nichts mehr anbrennen. «Das war einer der emotionalsten Siege in meiner Karriere. Ich habe eine Medaille für Deutschland gesichert, das ist ein Wahnsinnsgefühl. Olympia ist das grösste Sportereignis, das wir auf der Welt haben», sagte ein sichtlich emotionaler Zverev, der nach dem Spiel auf dem Platz seine Tränen nicht halten konnte.
Zverevs Karriere ist bislang geprägt von vielen Höhen und Tiefen. Immer wieder mit Nebengeräuschen. 2018 gewinnt er die ATP-Finals. Als erster deutscher Tennisspieler seit Boris Becker 1995. Nur um 2019 maximal das Viertelfinale bei einem Grand Slam zu erreichen. Es folgte die Trennung von Trainer Ivan Lendl. Die Trainer sind bei Zverev sowieso ein grosses Thema. Er hatte bereits einige ehemalige Weltklasse-Tennisspieler als Trainer: Ivan Lendl, Juan Carlos Ferrero oder David Ferrer. Doch immer wieder trennten sich die Wege. Meistens mit Nebengeräuschen.
Alexander Zverev kommt nicht zur Ruhe.
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Jetzt soll sein Trainer, Ivan Lendl, seinen Hut genommen haben.
Vorerst übernimmt: Zverevs Vater... pic.twitter.com/zLKfevEdiQ
So sagte Lendl nach der Trennung 2019: «Ich glaube sehr an Sascha, der immer noch sehr jung ist. Ich denke, dass er eines Tages ein grossartiger Spieler wird. Aber derzeit hat er einige Probleme ausserhalb des Platzes, die es schwierig machen, auf eine Weise zu arbeiten, die meiner Philosophie entspricht.»
Inmitten der Corona-Pandemie 2020 nahm Zverev an der umstrittenen Adria-Tour teil. Ein Tennisturnier, veranstaltet von Novak Djokovic. Sie spielen vor vollen Zuschauerrängen in Belgrad. Dazu gibt es Videos von privaten Feiern in Monaco, ohne Masken und Abstand. Viele der Spieler wurden nach dem Turnier positiv getestet – Zverev nicht. Er kündigte trotzdem an, sich in Quarantäne zu begeben. Nur, um kurz danach erneut beim Feiern gefilmt zu werden. Später bereute er seine Taten halbherzig: «Es war jetzt nicht das Schlaueste von der Welt.»
Anfang der Woche: Alexander Zverev kündigt nach seinem negativen Corona-Test an, in häusliche Isolation zu gehen und entschuldigt sich bei all jenen, die er "einem Risiko ausgesetzt" hat.
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Wochenende in Monaco ⬇️ pic.twitter.com/EBfSzaUgbj#Zverev #AdriaTour
Noch einmal deutlich schwerwiegender sind die Vorwürfe, die im Herbst 2020 publik werden: Zverevs Exfreundin Olga Sharypova behauptete, der deutsche Tennis-Star habe sie geschlagen. Zverev habe mehrfach die Hand gegen sie erhoben und einmal versucht, sie «mit einem Kissen zu ersticken», erklärt sie gegenüber dem russischen Newsportal Championat. Zverev streitet die Vorwürfe sofort ab, und wirkliche Beweise liefert Sharypova keine.
Während 2020 privat ein schwieriges Jahr ist, scheint es sportlich aber bergauf zu gehen. Im Januar 2020 stand Zverev im Halbfinale der Australien Open und verlor äusserst bitter gegen Dominic Thiem. Ende 2020 steht er plötzlich im Finale der US-Open, wieder gegen Dominic Thiem. Er verliert erneut. Und zeigt sich danach von seiner menschlichen Seite. Nach dem verlorenen Finale weint Zverev. Er vermisse seine Eltern, die er aufgrund der Corona-Pandemie nicht sehen konnte.
Doch Zverev bekommt keine Konstanz in sein Spiel. In diesem Jahr war er bei den French Open zwar im Halbfinale, bei Wimbledon flog er bereits im Achtelfinale aus. Auch aufgrund von 20 Doppelfehlern.
Zverev hat in Deutschland einen schweren Stand. Das Image eines arroganten Schnösels schwingt bei ihm immer mit. Auch der Umgang mit den Medien ist nicht immer einfach. Nach seinem insgesamt 15. Turniersieg im Mai in Madrid sagt er bei der Pressekonferenz: «Ich habe gerade ein Masters gewonnen und es gibt keine Frage in Deutsch. Oh mein Gott.» Und fügt beim Abgang noch an: «Wie Sie sehen, interessiert es die Deutschen wirklich nicht.»
Das hat sich mit den olympischen Spielen geändert. Zverev wirkt plötzlich nahbar, spricht nicht nur für sich, sondern von einer Medaille für das gesamte Team. Er wirkt gereift. Vielleicht war es genau das Erlebnis, genau der Knackpunkt im Halbfinale gegen Novak Djokovic, den Zverev gebraucht hat, um seinen grössten Erfolg zu feiern. Olympiasieger bei den olympischen Spielen in Tokio.