Keine einzige Schweissperle tropft an diesem Nachmittag in die Trikots der schottischen Nationalmannschaft. Dabei stehen Andy Goram, Paul Lambert und Co. in einem WM-Qualifikationsspiel im Einsatz. Doch weil der Gegner nicht auftaucht, folgt unmittelbar auf den An- der Abpfiff – und die Schotten lassen sich als Sieger feiern.
Ursprünglich ist die Partie in Tallinn auf 18.45 Uhr angesetzt. Doch die Schotten bemängeln im Abschlusstraining am Abend zuvor die schlechten Sichtverhältnisse im Stadion, in dem nur temporär eine Flutlichtanlage steht. Nach einem Protest von Nationaltrainer Craig Brown stimmt die FIFA einer Vorverlegung des Spiels auf den Nachmittag zu.
Beim Kick-off um 15 Uhr sind zwar 1000 Fans im Stadion, darunter hunderte Anhänger der Gäste, die elf schottischen Spieler stehen jedoch alleine auf dem Platz. Der estnische Verband wehrt sich gegen die Neuansetzung zu einem für die Zuschauer unattraktiverem Zeitpunkt. Also lässt er seine Spieler nicht antreten. Drei Sekunden dauert die Farce, dann pfeift der jugoslawische Schiedsrichter Miroslav Radoman die Partie ab. Wenig später werden die Fans selbst noch etwas für Fussball-Action auf dem Platz sorgen:
Die Schotten werden nämlich in Tallinn wie überall von einer Heerschar von Fans begleitet. Weil für die «Tartan Army» Fussball ohnehin in erster Linie ein Fest und ein willkommener Anlass zum Trinken ist, bejubeln die Kilt-Träger den Sieg auch so.
Schnell ist ein Song kreiert, der die Absage mit einem Augenzwinkern kommentiert: «One team in Tallinn, there's only one team in Tallinn!» Die Melodie ist die selbe wie jene, welche die Anhänger der Glasgow Rangers über Goalie Goram wiedergeben. Nach dessen Outing, schizophren zu sein, sangen diese nicht mehr, dass es nur einen Andy Goram gebe, sondern «Two Andy Gorams, there's only two Andy Gorams» ...
Der Match endet mit einem 3:0-Forfaitsieg für die Schotten – das glauben diese zumindest. Doch sie haben die Rechnung ohne die FIFA gemacht, die beschliesst, die Partie auf neutralem Boden neu auszutragen. So trennen sich Estland und Schottland im Februar 1997 in Monaco 0:0. Goalie Mart Poom, eine Legende des FC Wil und später sogar bei Arsenal unter Vertrag, hält den Punkt für den Aussenseiter aus dem Baltikum fest.
Trotz dieses enttäuschenden Resultats qualifizieren sich die Schotten für die WM 1998 in Frankreich. Dort ist allerdings nach der Gruppenphase Schluss – wie bei jeder der vorangegangenen sieben Teilnahmen an einer Weltmeisterschaft. Danach muss die «Tartan Army» während Turnieren stets aus der Ferne zuschauen, bis sie sich schliesslich mehr als 20 Jahre später für die EURO 2020 qualifizieren können, wo sie aber ebenfalls in der Gruppenphase hängen bleiben.