Es ist ein Zuschauer, der den Namen «Österreicherloch» erfindet. So berichtet es zumindest die Neue Zürcher Zeitung. In deren Archiv haben wir einen wunderbaren Artikel zum Rennen gefunden, aus dem wir einige Passagen zitieren.
«Die diesjährige Veranstaltung am Fusse der Jungfrau zeichnete sich durch eine Glanzbesetzung aus. Die Startliste wies die Namen von rund 80 Fahrern aus elf Nationen auf, wobei die weltbesten Spezialisten (mit Ausnahme der Amerikaner) sozusagen ‹au grand complet› antraten. Alleine diese Tatsache hätte genügt, um die 24. Auflage der Lauberhornrennen zur wichtigsten alpinen Konkurrenz dieses Winters zu stempeln.»
«Ein wahres Meisterstück vollbrachte das ‹fliegende› Rechnungsbureau beim Ziel der Abfahrt, da es fertigbrachte, den von der Strecke kommenden Pressevertretern in einem Zeitpunkt, als die schwächere zweite Hälfte der Aktiven eben gestartet war, eine vervielfältigte Resultattabelle der zwanzig besten Fahrer zu präsentieren. Es sei gleich gesagt, dass man noch nie so viele Berichterstatter an den Lauberhornrennen antraf, die durch den Pressechef Karl Erb (Zürich) ausgezeichnet betreut wurden.»
«Bereits ordentlich durchgeschüttelt erreichte der Fahrer oberhalb der Hannegg, im folgenden Schusshang und nach einem nahrhaften ‹Wellenreiten› unterhalb der Wegscheide die ‹Bumps›, die ein in diesem Ausmass kaum erwartetes Favoritensterben verursachten.»
«Für eine derart schnelle und stark coupierte Strecke reichte das Stehvermögen und die Kraft der weitaus meisten Konkurrenten einfach nicht aus. Am Ziel sprachen viele von einem sehr schweren Rennen, und man glaubte es ihnen ohne weiteres, wenn man die von den Anstrengungen gezeichneten Gesichter sah.»
«Wie in den letzten Jahren immer, entschieden die Österreicher auch heute die Abfahrtsprüfung eindeutig zu ihren Gunsten. Ihr Erfolg geriet besonders eindrucksvoll, weil er zustande kam, obschon Othmar Schneider und Fritz Huber, zwei der stärksten österreichischen Fahrer, verletzungshalber nicht starten konnten und obschon Anderl Molterer, der überlegene dreifache Lauberhornsieger 1953, Senger und Sailer durch Stürze an genau der gleichen Stelle, die ein Zuschauer bezeichnenderweise ‹Österreicherloch› nannte, für eine gute Placierung nicht mehr in Frage kamen.»
«Pravda kam im Hanneggsteilhang seine ausgeprägte Balancierungskunst zustatten, mit deren Hilfe er zweimal, auf einem Ski fahrend, geistesgegenwärtig den sicher scheinenden Sturz vermied. Gesamthaft schienen die Österreicher konditionell am besten vorbereitet zu sein.»
Christian Pravda stellte mit einer Zeit von 3:23,2 Minuten einen neuen Streckenrekord auf. Er schlug den Zweitklassierten Martin Strolz (Österreich) um 11 Sekunden und nahm dem Dritten, dem Schweizer Martin Julen, sogar 18 Sekunden ab. Selbst für damalige Verhältnisse entsprach dies einer halben Weltreise. Der NZZ-Korrespondent begibt sich auf die Suche nach einem Grund und findet ihn …
«Die erstaunlich grossen Zeitunterschiede finden eine ziemlich einfache Erklärung. Pravda hatte mit seiner forcierten Fahrt Glück, während die übrigen Anwärter auf gute Placierungen doch vorsichtiger fuhren.»
«Die Schweizer vermochten nach dem Ausfall der beiden Spitzenleute Perren und Rubi immerhin drei Leute unter die ersten zehn zu bringen: sowohl Martin Julen, der mit etwas Glück an zweiter Stelle hätte figurieren können, als auch der überraschend stark fahrende Reymond Fellay zeichneten sich durch eine beherrschte Fahrweise aus. Der draufgängerische Hans Forrer wurde in der Hanneggmauer in einen furchterregenden Sturz verwickelt; er verlor gut zehn Sekunden und setzte das Rennen mit nur einem Stock tapfer fort. Das Resultat dieser vorbildlichen Haltung: ein ansprechender achter Rang.»
Im NZZ-Artikel aus dem Jahr 1954 ist von drei gestürzten Österreichern am selben Ort die Rede. In heutigen Berichten ist jedoch oft von sieben österreichischen Sturzopfern die Rede. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass tatsächlich sieben Österreicher stürzten, aber damals nur jene drei erwähnt wurden, die zu den Favoriten gehörten.
Der «Schwarze Blitz aus Kitz» bestritt damals 1954 seine erste Lauberhorn-Abfahrt und legte sich als 18-Jähriger ebenfalls im Österreicherloch hin. «Ich war überfordert von diesem gewaltigen Tempo. Ich hatte so Angst, dass ich den Herrgott um Hilfe ersuchte», gestand Sailer Jahre später. «Mit gebrochenem Ski haben sie mich herausziehen müssen.» 1955 kehrte er zurück – und er gewann die Lauberhorn-Abfahrt gleich vier Mal in Folge.
Die Buckel, welche die Fahrt durch das Österreicherloch einst zu einem wilden Ritt gemacht hatten, wurden eingeebnet. So ist die Passage auf dem Weg zwischen Silberhornsprung und Ziel-S heute kein Hindernis mehr.