Als Schweizer Tennis-Fans bekamen wir seit der Jahrtausendwende Tennis-Leckerbissen am Laufmeter serviert. Legendäre Finalpartien, epische Fünfsätzer und Turniergewinne standen während Federers Überflieger-Jahren quasi an der Tagesordnung.
Unterdessen trug auch Stan Wawrinka einen grossen Teil dazu bei, dass der Tennis-Sport in der Schweiz ungebrochen populär ist. Obschon das Reservoir an historischen Schweizer Tennis-Momenten proppenvoll ist, lohnt es sich aber manchmal auch, einen Blick vor die Ära Federer/Wawrinka zu werfen.
Eines der bemerkenswertesten US-Open-Matches fand nämlich lange vor Federers erstem Titelgewinn in Flushing Meadows statt. Die Rede ist vom Viertelfinal zwischen Alex Corretja und Pete Sampras aus dem Jahr 1996.
Der 22-jährige Spanier verlangt dem topgesetzten US-Amerikaner in der Runde der letzten acht alles ab. Nach einer 2:1-Satzführung muss der Underdog zwar in den fünften Durchgang, dort packt er aber nochmals sein bestes Tennis aus und bringt «Pistol Pete» wortwörtlich ins Wanken.
Auch nach vier Stunden Spielzeit will einfach keine Entscheidung fallen. Die logische Konsequenz: Die Partie geht ins alles entscheidende Tiebreak. Und dieses ist an Dramatik kaum zu überbieten.
Ein total ausgepumpter Pete Sampras stützt sich immer wieder aufs Racket und kann sich kaum mehr auf den Beinen halten. Beim Stand von 1:1 ist es dann soweit: Der damals 25-jährige Lockenkopf beugt sich vornüber und deponiert seinen Mageninhalt auf dem Tenniscourt.
Unglaublich! Hat er wirklich? Spätestens nach dem deutlich hörbaren Würgegeräusch sind sich auch die Kommentatoren einig: «Pete muss sich tatsächlich übergeben!»
Während das Publikum und Corretja ruhig und respektvoll reagieren, kennt der Schiedsrichter keine Gnade mit Sampras, der fix und fertig ist. Sehr zum Unmut der Zuschauer schreit er ein gefühlloses «Time» ins Mikrophon und bittet Sampras, weiterzumachen.
Unter tosendem Applaus schreitet der Titelverteidiger mit aschfahlem Gesicht zum Service und gewinnt sogar den nächsten Punkt. Auf den Rängen gibt es kein Halten mehr – es wird gejubelt, als hätte Sampras gerade das Turnier gewonnen. Die gewaltige Unterstützung ist es dann auch, die den US-Amerikaner auf den Beinen und im Rennen hält.
Beim Stand von 7:6 und Matchball für Corretja gelingt der Weltnummer 1 einer der wohl unglaublichsten Schläge der Tennisgeschichte. Obwohl Sampras seinen Schläger mittlerweile zwischen jedem Ballwechsel in einen Gehstock umfunktioniert, macht er sich nochmals ganz lang und kann per Volley die drohende Niederlage in extremis gerade nochmals abwenden.
Die nächsten beiden Punkte sind nicht minder legendär. Mit dem zweiten Aufschlag, lediglich 144 km/h schnell, schlägt der Mann aus Washington D.C. völlig überraschend ein Ass und hat Matchball.
Ein komplett verdutzter Corretja kann nicht glauben, was soeben geschehen ist, und beendet das Match auf die denkbar schlimmste Weise überhaupt: mit einem Doppelfehler. Treffend die Analyse des amerikanischen Kommentatorenduos: «There aren't enough words in the English language to catch you this moment». Den amerikanischen Reportern fehlen die Worte.
Nach einem kurzen Handshake setzt sich der geschlagene Corretja auf die Spielerbank und versteckt sein Gesicht hinter einem Handtuch. Wenig später gibt er aber trotzdem noch ein Platzinterview: «Wäre ich im Publikum gewesen, hätte ich das Gefühl gehabt, eines der grössten Matches der Tennisgeschichte gesehen zu haben». Nicht wissend, wie er das soeben Erlebte einordnen soll, fügt er hinzu: «Sicher, das war das beste Spiel meiner Karriere – gleichzeitig aber auch das schlechteste.»
Pete Sampras selber ist nach dem Spiel nicht in der Lage, zum Interview zu erscheinen. Noch in der Kabine wird dem völlig dehydrierten Tenniscrack intravenös Flüssigkeit zugeführt. Mangelnde Flüssigkeitszufuhr, der grosse Druck und der unmenschliche Abnützungskampf sollen dann auch schuld für den Beinahe-Kollaps des erfolgreichsten amerikanischen Tennisspielers aller Zeiten gewesen sein.
Sampras schottet sich nach dem Spiel komplett ab und gibt auch am nächsten Tag keine Interviews. Zwei Tage später kehrt der Amerikaner im Stile Lazarus' wieder auf den Tenniscourt zurück. Im Halbfinal schaltet die wiedererstarkte Weltnummer 1 in vier Sätzen Goran Ivanisevic aus und wiederum zwei Tage später bodigt er im Final mit 6:1, 6:4 und 7:6 den als Nummer 2 gesetzten Michael Chang. Der vierte US-Open-Titel wird also doch noch Tatsache für Pete Sampras.