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Aus dem Rollstuhl aufs Snowboard – unsere Fahnenträgerin der Paralympics

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Romy Tschopp im Snow Park in Zhangjiakou.Bild: keystone

Im Rollstuhl sitzen, auf dem Snowboard stehen – unsere Fahnenträgerin der Paralympics

Die Ärzte beschieden, dass Romy Tschopp nie wird gehen können. Nun nimmt sie an den Paralympics teil und hat die Ehre, als Fahnenträgerin die Schweizer Delegation bei der Eröffnungsfeier anzuführen.
04.03.2022, 10:2805.03.2022, 10:20
François Schmid-Bechtel / ch media
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Da passen einige Dinge nicht. Die Frau empfängt uns im Rollstuhl, aber Snowboard fahren kann sie. Und die Frau wohnt nicht in Laax, sondern in Sissach, nicht mal 400 Meter über Meer, Schnee sieht dieser Ort kaum je. Trotzdem ist Romy Tschopp die einzige Schweizer Einzelsportlerin, die ab Sonntag in Peking im Einsatz steht. Und noch etwas ist beachtlich an dieser aussergewöhnlichen Frau: Nie zuvor hat ein Athlet oder eine Athletin aus der Schweiz an einem paralympischen Snowboard-Wettbewerb teilgenommen.

Wenn Romy Tschopp am Bahnsteig aus dem Rollstuhl steigt, jemanden fragt, ob man ihr den Rollstuhl in den Zug hieven könne, schaut sie in Augen voller Fragezeichen. Ja, sie braucht den Rollstuhl, aber sie kann gehen. «Es sieht aus wie bei einem Pinguin, weil ich mit dem Oberkörper stark hin und her schwanke», sagt sie.

Ein Wunder: Trotz eines offenen Rückens kann Romy gehen

Romy Tschopp kommt vor bald 29 Jahren mit einem offenen Rücken zur Welt. Die Ärzte bescheinigen den Eltern, dass ihre Tochter nie wird gehen können. Doch die Familie sieht das etwas anders. Romy geht von klein auf wöchentlich in die Therapie, übt zu Hause täglich mit der Mutter. Als sie zwei ist, kann sie gehen. Man sieht zwar ein Hinken. Aber das Umfeld staunt. Und die Ärzte ebenso. Oft denken sie, dass es sich bei dem Kind, das vor ihnen steht, aufgrund der Krankenakte nicht um Romy Tschopp handeln könne.

Romy rennt, Romy klettert, Romy fährt Ski und Snowboard. Mit der Inkontinenz hat sie längst gelernt, umzugehen. Alles normal. Die ganze Schulzeit über. «Mit der wahnsinnigen Veränderung habe ich nicht gerechnet», sagt sie. «Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ich mal auf den Rollstuhl angewiesen bin.»

Nach der obligatorischen Schule beginnt für Romy Tschopp eine lange Leidenszeit. Während sieben, acht Jahren verbringt sie die Hälfte der Zeit im Spital oder in der Reha. Mehrmals muss sie sich am Rücken operieren lassen. Seither spürt sie ihre Füsse kaum noch, ist das Gefühl unterhalb der Knie stark eingeschränkt weshalb sie die Abgrenzung, wo ihr Körper endet, nicht richtig wahrnehmen kann. «Und gefühlt hat mich jede mögliche Komplikation wie beispielsweise eine Bauchfellentzündung erfasst.»

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Auf dem Snowboard fühlt Tschopp Freiheit und Unabhängigkeit.Bild: keystone

Immer wieder zurück auf Feld 1

Nach jedem Spitalaufenthalt muss sie wieder bei Null anfangen. Wieder lernen zu gehen. Aber sie gibt nicht auf. «Obwohl es sich schmerzhaft angefühlt hat, viele Dinge nicht mehr machen zu können. Trotzdem: ich bin dankbar dafür, dass ich erfahren durfte, wie es sich auf einer Skitour, beim Rennen oder Klettern anfühlt.»

Im Sommer 2019, als sie sich einmal mehr in der Reha befindet, fragt sie sich: Was macht mich glücklich? Auf der Suche nach der Antwort landet sie beim Snowboard. Eine Therapeutin und ihr Mann ermutigen sie dazu. Sie meldet sich später beim Trainer der Schweizer Para-Snowboarder. Und dieser ist überwältigt, wie sie trotz ihres Geburtsgebrechens auf dem Brett steht. Selbst findet sie, dass sie noch ziemlich viele Reserven hat. Also kommt sie zum Schluss: «Es lohnt sich, ins Snowboarden zu investieren.» Im vergangenen Winter, bei ihrem ersten Einsatz im Weltcup, belegt sie gleich Rang 6.

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Romy Tschopp ist bereit für die Paralympics.Bild: keystone

Auf dem Board zu stehen, gebe ihr etwas von der Freiheit und Unabhängigkeit ihrer Kindheit zurück, als der Rollstuhl ganz weit weg war. «Es ist fantastisch. Und es tut meinem Körper richtig gut, weil ich an Stellen Muskelkater habe, die für mich sonst sehr schwierig anzusteuern sind.» Ja, gesundheitlich sei sie stabil, seit zwei Jahren.

In der Parterrewohnung in Sissach liegen Hanteln und Gymnastikmatten rum. Draussen, im Garten, steht ein Hometrainer. Koffer, Reisetasche und Rucksack für Peking sind gepackt. Am Tag darauf ist Abflug. Peking. Ihre Augen glänzen.

«Wenn sich die Türe zu einer Medaille öffnet, will ich sie aufstossen»

Bei den Paralympics wird sie im Snowboard-Cross und im Banked Slalom (die Tore am unteren Rand von Steilwandkurven gesetzt) antreten. «Wenn sich die Türe zu einer Medaille einen Spalt öffnet, will ich sie aufstossen. Aber ich muss realistisch sein. Peking ist ein Stück weit auch Vorbereitung auf die Paralympics 2026. Wenn ich mit einem Diplom aus China zurückkehre, bin ich zufrieden.»

Schon nächste Saison wird Romy Tschopp das Trainingspensum erhöhen. Zuletzt hat die Fachfrau für Bewegungs- und Gesundheitsförderung nur noch sporadisch ein paar Pilates-Stunden gegeben und Beckenbodentrainings geleitet. «Ich muss die Energie, die mir zur Verfügung steht, voll in den Sport investieren, um vorne mitfahren zu können.»

Und das mit der Energie wird immer besser. In den letzten zweieinhalb Jahren sind Rückschläge ausgeblieben. Und seit zwei Jahren fühlt sie sich körperlich stabil. Auch, weil sie gelernt hat, den Rollstuhl als Hilfe und Freund zu akzeptieren. «Vielleicht», sagt sie, «bin ich in Zukunft seltener auf den Rollstuhl angewiesen. Aber das kann niemand sagen. Unrealistisch ist indes, dass ich ganz auf den Rollstuhl werde verzichten können.»

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Romy Tschopp mit Rollstuhl und Snowboard.Bild: keystone

Romy Tschopp will Tabus brechen

Es gibt die Menschen, die irritiert sind, wenn sie sehen, wie sich Romy Tschopp aus dem Rollstuhl schält. Viele würden fragen. Vereinzelte reagieren beinahe aggressiv, unterstellen ihr, sie würde simulieren. Davon lässt sie sich aber nicht unterkriegen. Im Gegenteil. «Mir ist es wichtig, Tabus zu brechen. Und ich will andere Menschen, die eine Einschränkung haben, motivieren, mutig zu sein und etwas neues auszuprobieren.» (aargauerzeitung.ch)

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