Die Ausrufung eines islamischen Kalifats in Teilen Iraks und Syriens hat im Nachbarland Jordanien Furcht vor Ansteckung ausgelöst. Angesichts der Entwicklungen bat Jordaniens König Abdullah II. am Montag die internationale Gemeinschaft um Unterstützung.
Die Stabilität des haschemitischen Königreichs wird bereits von heimischen Islamisten bedroht und leidet unter dem starken Zustrom von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen – nun könnte das Land Experten zufolge eines der nächsten Angriffsziele der Dschihadisten sein. Entsprechende Drohungen wurden bereits in Videobotschaften verbreitet.
Die extremistische Gruppierung Islamischer Staat in Irak und der Levante (ISIS), die am Sonntag ein Kalifat ausrief und sich in Islamischer Staat umbenannte, hat in den vergangenen Wochen grosse Gebiete im Irak erobert und beherrscht auch Teile Syriens.
Aufgrund des Bürgerkriegs in Syrien sind bereits mehr als 600'000 Menschen aus dem Nachbarland nach Jordanien geflüchtet, was dort den sozialen Zusammenhalt und die öffentlichen Haushalte stark belastet. Die grössten Sorgen bereiten der Regierung in Amman aber die heimischen Islamisten, von denen viele in den Nachbarländern Kampferfahrung sammeln.
«Nur Ignoranten oder Leugner können behaupten, dass ISIS in Jordanien keine Anhänger hat. Aber wie erklären sie dann, dass zweitausend jordanische Dschihadisten in Syrien und Irak sind?», sagt Oraib Rantaui, Direktor des al-Kuds-Zentrums für Politische Studien in Amman.
In der Stadt Maan, Hochburg des Islamismus im armen Süden des Landes, feierten jetzt rund 60 Salafisten bei einer öffentlichen Kundgebung die «Siege» der ISIS im Irak. «Jordanien muss sich grosse Sorgen machen. ISIS ist straff organisiert und stark. Die Gruppe will ihren Einflussbereich ausweiten und das schliesst das Königreich ein», sagt der Islamismus-Experte Hassan Abu Hanije.
Ein Beleg für diese Warnungen ist auch das aktuelle YouTube-Video eines ISIS-Kämpfers mit Sprengstoffgürtel, der einen jordanischen Pass zerreisst und droht: «Ich habe eine Botschaft für den Tyrannen von Jordanien: Wir kommen mit Tod und Bomben zu euch.» Es gibt eine Reihe ähnlicher Online-Videos.
Unter den jordanischen Dschihadisten dominieren bisher vor allem direkte Anhänger des al-Kaida-Netzwerks und ihres syrischen Ablegers al-Nusra-Front, die in Konkurrenz zu ISIS stehen. Deren Sprecher haben Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri beigepflichtet, der ISIS brutale Rücksichtslosigkeit im «Bruderkampf» vorwarf.
Vor zwei Wochen wurde allerdings ein Hochschullehrer, der der Nusra-Front nahesteht und als scharfer ISIS-Kritiker bekannt ist, von sechs Männern angegriffen. «Wir unterhalten keine direkten Kontakte zur ISIS, aber sie hat zweifellos viele Anhänger in Jordanien», versichert der inhaftierte Salafistenführer Mohammed Schalabi, besser bekannt unter dem Kampfnamen Abu Sajjaf, der AFP, die ihn dazu im Gefängnis befragte.
Die Konfliktforscher des US-Beratungsunternehmens Stratfor analysieren in einem aktuellen Bericht: «Die Absicht der ISIS, nach Jordanien zu expandieren, entspricht der geopolitischen Logik. Nach ihrem Vormarsch im Irak und grosse Landstriche Syriens bereits kontrollierend, könnten die extremistischen Sunniten versuchen, in das Königreich einzudringen». Denn Jordanien sei «die einzige weitere Öffnung, die ISIS derzeit nutzen kann», schreibt Statfor auf seiner Website.
Ein Erfolg sei aber nicht garantiert. «Der jordanische Staat ist stabiler als Syrien oder Irak. Und seine Sicherheitskräfte haben sich als schlagkräftig erwiesen. Ausserdem wird das Land von den USA und Saudi-Arabien stark unterstützt», erläutern die Konfliktforscher. In Jordanien werden die allseitigen Warnungen ernst genommen. «Die Armee hat an der Grenze zum Irak weitere Truppenverbände, Panzer und Raketenwerfer stationiert», erklärte ein Sprecher auf Anfrage.
«Jordanien ist besorgt, weil sich der Dschihad nun halbmondförmig um das Königreich legt», sagt der Politikwissenschaftler Rantaui. Und schon im April hatte Amman die Antiterrorgesetze des Landes verschärft, um aus Syrien zurückkehrende Dschihadisten in Schach zu halten; viele wurden vorsorglich inhaftiert. (dwi/sda/afp)