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Meine 92. von 2324 Gemeinden auf dem Weg mit dem Velo in 11'000 Kilometern durch die Schweiz ist San Vittore, weit unten im Misox. Gefühlt bin ich längst im Tessin. Aber sag das nie einem Einwohner des Misox. Die wollen ganz sicher nicht zum südlichen Kanton gehören. Lieber fernab von Chur um Extrawürste kämpfen, als sich in unmittelbarer Nähe Bellinzonas alles befehlen zu lassen.
Wie auch immer. Ich radle also durch San Vittore. Oben am Hang steht ein alter Wachturm, ca. drei Kilometer weiter unten komme ich nach Monticello, einer Fraktion der Gemeinde San Vittore.
Nichts sieht hier ungewöhnlich aus. Es stehen einige Häuser beisammen, mittendrin ein Bauernhof, ein Feld und auch eine Kirche ist da. Ich fahre durch die engen Gassen und dann – ich merk es gar nicht – bin ich auch schon in Lumino. Im Tessin! Einfach so. Mitten zwischen den Häusern. Aber da war kein neues Ortsschild, kein «A revair», kein «Benvenuto», einfach nichts. Ich fahre etwas zurück und stelle mein Velo genau an die Stelle, an der die Kantonsgrenze durchgeht.
Unterhalb steht ein Haus. Die Grenze muss da mitten durch. Die Küche in Graubünden, das Schlafzimmer im Tessin. Oder umgekehrt. Oder vielleicht sogar die Frauseite des Ehebetts im Tessin, die Mannseite in Graubünden. Auf jeden Fall kommt man hier sicherlich ohne Stau für ein Wochenende ins Tessin.
Etwas weiter vorne liegen zwei Damen am Privatpool ihres Hauses. Sie sind im Tessin. Ganz. Genauso wie die Strasse etwas weiter oben, die in einer Sackgasse endet. Und genau dort verläuft wieder die Grenze durch. Wenigstens einmal ist man konsequent.
Was das Ganze noch etwas bizarrer macht: Die Kinder von Monticello gehen in Lumino (Ti) in die Schule, die Post des Ortes steht ebenfalls ennet der Kantonsgrenze. Der Ortsteil von San Vittore wird also eigentlich behandelt wie ein Teil Luminos. Zumindest teilweise. Das war zwar auch vor Schengen kein Problem mit dem Grenzübertritt in einen anderen Kanton, aber etwas speziell fühlt sich die Grenzlinie schon an.
Warum ist das so? Das Restaurant, das in Google Maps praktisch an der Grenze eingezeichnet ist, finde ich nicht. Dafür wird mir in der Osteria einige Meter weiter in Lumino geholfen. «Das ist seit Jahren so. Früher war Monticello der grössere Ort. Lumino hier war nur ein kleines Nest», erklärt mir Antonio. Damals seien die Orte nicht zusammengewachsen gewesen. Und sowieso: Monticello bildete mit Lumino und Castione eine Gemeinde.
«Dann kam Napoleon und hat die Bündner Grenze neu verlegt», sagt Antonio. Ich kann das so auf die Schnelle nicht verifizieren. Aber Napoleon lebte immerhin während der Zeit um 1776, als die Gemeindegrenzen neu festgesetzt wurden. Er war damals allerdings noch ein Kind. Aber dieser Napoleon, der konnte ja vieles. Naja, wenn jemand den genauen Ablauf der Grenzverlegung weiss, wie immer gilt: Schreibt's ins Kommentarfeld.
Was gesichert ist: Castione gehört heute zur Gemeinde Arbedo-Castione (meine Gemeinde 94). Lumino (Gemeinde 93) ist mittlerweile bedeutender als Monticello und die Leute scheint die Grenze nicht zu stören. Gut so.