Einer der glühendsten Anhänger von Wladimir Putin, der russische Radiomoderator Wladimir Solowjow, bemüht sich nach Kräften, seinen verwirrten Landsleuten den unerwarteten Kurswechsel ihres Präsidenten zu erklären. Dessen Appell an die Separatisten in der Ost-Ukraine sei wohlüberlegt gewesen, behauptet Solowjow.
«Es war ein kluger und starker Zug im Schachspiel um die Ukraine», begründet der bekannte Moderator Putins Aufruf an die Separatisten in der Ost-Ukraine, ihre für Sonntag geplante Unabhängigkeits-Abstimmung zu verschieben. «Putin ist Friedensstifter Nummer eins!»
Die prorussischen Kräfte zeigten Putin aber die kalte Schulter und liessen Kommentatoren ratlos zurück. Was treibt den Staatschef, über den Vertraute sagen, seine innere Stimme sei der engste Berater?
Solowjow ist sich sicher: Putins Vorstoss sei keinesfalls ein Zeichen von Schwäche, erläutert er einem besorgten Anrufer. Mit dem Aufruf zu Verhandlungen habe Putin die ukrainische Führung zu einem Dialog gezwungen und damit gleichzeitig seinen Rückhalt in Europa deutlich gefestigt.
Die Frage ist nun: Wusste der Kreml-Chef, dass die ukrainischen Separatisten ungeachtet seines Appells an dem Referendum festhalten? Und war dies möglicherweise genau so abgesprochen? Wenn nicht, hätte Putin ein Problem - da sind sich Experten sicher. Denn er hätte bei den prorussischen Kräften wohl an Vertrauen und Einfluss verloren. Damit wäre sein Ziel gefährdet, in dem schärfsten Konflikt zwischen Ost und West seit Ende des Kalten Krieges die Oberhand zu haben.
Einige politische Beobachter gehen daher davon aus, dass Putin sich vorher mit den Separatisten abgestimmt hat. «Es ist unwahrscheinlich, dass Putin nicht wusste, wie sie auf seinen Appell reagieren werden», sagte Maria Lipman vom Carnegie Center in Moskau.
Putin habe dem Westen möglicherweise vor Augen führen wollen, dass «die Menschen in der Ost-Ukraine keine Russen sind, keine Befehle von Russland erhalten und dass Russland keine Kontrolle über sie hat». Putins Botschaft sei: Die Separatisten tun, was sie tun wollen und nicht, was Russland will, so Lipman.
Aber auch das birgt Risiken, denn viele Russen sehnen sich nach einem weiteren Bedeutungszuwachs des Landes. In der Bevölkerung sind Putins Zustimmungswerte infolge der Krise nach oben geschnellt, die Angliederung der Halbinsel Krim war Balsam auf die in den letzten Jahren geschundene russische Seele.
Doch nun scheint Putin eingesehen zu haben, dass eine weitere Eskalation der Lage fatale Folgen für die am Rande einer Rezession stehende Wirtschaft haben könnte. Er lenkt ein und mässigt seinen Kurs, ohne dass die Bevölkerung dies nachvollziehen kann.
«Er hat die Mehrheit der Bevölkerung gebraucht, um bei der Annexion der Krim Tempo zu machen», sagte der frühere Kreml-Berater Gleb Pawlowski. «Nun will die Mehrheit weitermachen, aber Putin nicht.» Dies stelle Putin vor die Frage, wie er die Geister, die er rief, wieder loswerde. «Es ist nicht einfach für Putin, in einer gemässigten Form zu handeln», ergänzt Pawlowski. «Er ist mittlerweile moderater als die Mehrheit der Bevölkerung.»
Auch Putins zurückhaltende Äusserungen zur geplanten ukrainischen Präsidentenwahl am 25. Mai sind für manche Russen schwer begreiflich. Hiess es bisher aus dem Kreml, die von der Regierung in Kiew angestrebte Wahl sei nicht rechtmässig, sprach der Präsident jüngst von einem «Schritt in die richtige Richtung».
Ein Ausweg für Putin könnte ein Friedensplan der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sein, meint Expertin Lipman. Anders als ein direktes Abkommen mit den USA oder der Europäischen Union könnte eine Vereinbarung mit der OSZE unter dem Vorsitz des Schweizer Bundespräsidenten Didier Burkhalter der russischen Öffentlichkeit besser verkauft werden. Putin würde sein Gesicht nicht verlieren. Bis es aber soweit kommt, müssen Putin-Anhänger wie Solowjow noch eifrig Überzeugungsarbeit leisten. (whr/sda/reu)