Der «Haka» – ein ritueller Tanz der indigenen Einwohner Neuseelands – ist untrennbar mit der neuseeländischen Rugby-Nationalmannschaft verbunden. Bereits seit 1884 zelebrieren die «All Blacks» vor jeder Partie ihr Ritual und versuchen, sich mit dem furchteinflössenden Tanz einen psychologischen Vorteil zu verschaffen.
Dass die provokative Darbietung im testosterongeladenen Rugby-Sport eine Gegenreaktion der Kontrahenten hervorruft, ist keine Seltenheit. 1996 drehen die Spieler von Erzrivale Australien den Neuseeländern während der Aufführung den Rücken zu und widmen sich Aufwärmübungen, 2003 antwortet Tonga mit einer eigenen Tanzaufführung und die Franzosen bieten den «All Blacks» im WM-Viertelfinale 2007 wortwörtlich die Stirn.
Auch Wales-Coach Warren Gatland lässt sich vor dem Aufeinandertreffen mit Neuseeland im Rahmen der alljährlich stattfindenden Testspielserie «Autumn Games» etwas ganz Besonderes einfallen. Der findige Gatland weiss, dass der «Haka» erst für beendet erklärt werden kann, wenn die gegnerische Mannschaft sich entfernt. Dann erst ist das Ritual vorbei und auch die «All Blacks» begeben sich in die Startformation.
Am Spieltag herrscht im «Millennium Stadium» in Cardiff bereits vor Spielbeginn wie immer eine unglaubliche Atmosphäre. Zunächst läuft alles in gewohnter Manier, wie sich Schiedsrichter Jonathan Kaplan erinnert:
Als der finale Schrei des Maori-Tanzes erklingt, rühren sich die walisischen Spieler nicht vom Fleck. Es kursierten zwar im Vorfeld der Partie Gerüchte, dass Wales auf den Tanz der Neuseeländer reagieren werde, doch mit dieser Antwort hat niemand gerechnet – am allerwenigsten die Spieler der «All Blacks». Auch die verdutzten Neuseeländer bleiben an Ort und Stelle stehen.
Leidtragender der kuriosen Situation ist Schiedsrichter Jonathan Kaplan, der versucht, zwischen den beiden Fronten zu vermitteln und die Pattsituation aufzulösen. Zuerst probiert er es bei den Neuseeländern – ohne Erfolg.
So nimmt Kaplan beim Waliser Kapitän Jones einen zweiten Anlauf, der ebenso wenig Wirkung entfaltet.
Mediator Kaplan rennt hin und her, ohne dass seine Vermittlungsversuche Früchte tragen. Nach mehreren Minuten bläst der bemitleidenswerte Schiedsrichter zum Rückzug und erinnert sich plötzlich daran, dass es ja gar nicht seine Aufgabe sei, die beiden Mannschaften zur Bewegung zu motivieren. Vielmehr fiele dies in den Zuständigkeitsbereich des für eine reibungslose Spielvorbereitung verantwortlichen «Stewards». Kaplan schnappt sich das «Rugby-Ei» und beginnt das Spielgerät auf der Höhe der Mittellinie herumzukicken.
Ob es die Übermacht der fast 75'000 walisischen Zuschauer ist, dass der letzte Vermittlungsversuch Kaplans schliesslich doch Wirkung zeigt, oder ob es den Neuseeländern irgendwann schlicht zu dumm wird – die «All Blacks» geben letztendlich klein bei und stellen sich in Startformation auf. Der Rückzug der Neuseeländer bleibt jedoch der einzige Sieg der Waliser an jenem Abend. Beflügelt durch den Erfolg im «Vorspiel» führen die «Drachen» zur Halbzeit zwar noch mit 9:6, im zweiten Durchgang zeigt Neuseeland jedoch seine ganze Klasse und gewinnt die Partie diskussionslos mit 29:9.
Schiedsrichter Jonathan Kaplan wird die Partie aber mit Sicherheit in Erinnerung behalten – nicht wegen des Resultates, sondern aufgrund des «Stand-offs» vor Spielbeginn.