Unvergessen
Bayern München

20.05.1989: Christoph Daum versucht, die Meisterschaft im TV zu entscheiden – und fliegt damit kolossal auf die Schnauze

Die legendäre Ausgabe des aktuellen Sportstudios von 1989 in voller Länge.Video: Youtube/sportstudio
Daum vs. Hoeness

20.05.1989: Christoph Daum versucht, die Meisterschaft im TV zu entscheiden – und fliegt damit kolossal auf die Schnauze

20. Mai 1989: Fünf Tage vor dem entscheidenden Duell ihrer Klubs knüppeln sich Bayern-Manager Uli Hoeness und Köln-Trainer Christoph Daum im TV mit Worten nieder. Jupp Heynckes, um den es eigentlich geht, sitzt still dabei und Udo Lattek erzählt Schwänke aus der Vergangenheit. Der Rest ist Fernsehgeschichte.
20.05.2014, 00:0020.05.2014, 10:48
Alex Dutler
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Wer sich heutzutage gelegentlich von Interviews mit Fussballern und Funktionären berieseln lässt, kann deren Floskeln bald schon im Schlaf mitsprechen. Es gilt eine Regel: Tiefstapelei ist immer Trumpf. Ein Klassiker, trotz zehn Punkten Vorsprung vier Runden vor Schluss: «Das Thema Meisterschaft nimmt bei uns noch keiner in den Mund.» Oder: «Der Gegner hat zwar fünf Mal in Serie verloren und ist Letzter, aber wir dürfen ihn nicht unterschätzen.»

Im Frühling 1989, als man noch ungestraft Hochwasserhosen mit weissen Tennissocken kombinieren darf, da sieht das alles noch ganz anders aus. Zumindest in Deutschland. Denn dort rückt der 36-jährige Trainer-Jungspund Christoph Daum den grossen Bayern gehörig auf die Pelle.

Drei Mal weisse Socken – so kleiden sich die Schwergewichte der Bundesliga in den späten Achtzigern
Drei Mal weisse Socken – so kleiden sich die Schwergewichte der Bundesliga in den späten AchtzigernScreenshot: Sportstudio

Im Titelkampf ist Daum jedes Mittel recht

Daums Klub, der 1. FC Köln, hat den Rückstand auf den Tabellenführer aus München am 29. Spieltag auf einen Punkt eingedampft. Der Sprücheklopfer lässt nichts unversucht und feuert einen Giftpfeil nach dem anderen ab. Mit seinen Provokationen hofft er, den Rekordmeister aus dem Tritt zu bringen.

In Jupp Heynckes sieht Daum das ideale Opfer für seine Psychotricks. Der Bayern-Trainer gilt als Schlafmütze und wehrt sich einfach nicht gegen die Pöbeleien aus Köln – wohl aus Angst, gegen den Verbal-Terrier Daum den Kürzeren zu ziehen.

Nach Münchens Sieg im UEFA-Cup gegen Inter Mailand giftelt der Kölner Coach aus der Ferne wieder gegen seinen Kontrahenten: «Nach diesem Sieg ging es ihm für ein paar Stunden besser. Da war wieder eine Gehirnwindung mehr durchblutet. Im Grunde genommen ist er völlig kaputt.» Zuvor hatte er Heynckes bereits geraten «Werbeträger für Schlafmittel» zu werden und attestierte ihm «im Gespräch geringeren Unterhaltungswert als eine Wetterkarte.»

Daum lässt kein gutes Haar an seinem Lieblingsopfer Jupp Heynckes.
Daum lässt kein gutes Haar an seinem Lieblingsopfer Jupp Heynckes.Screenshot: Sportstudio

Hoeness hat die Schnauze voll

Das ist zu viel für Uli Hoeness. Der damalige Bayern-Manager hat Angst, dass das Bild seines Klubs Schaden nehmen könnte und will seinen Freund Heynckes beschützen. Am 20. Mai 1989 kommt es im «Aktuellen Sportstudio» zum grossen Schlagabtausch.

In der Eröffnungsrunde kommen die beiden Streithähne gleich zur Sache und laden sich gegenseitig zur Meisterfeier ein. Es folgt eine Tirade gegenseitiger Anschuldigungen. Hoeness droht mehrfach an, Christoph Daum vor Gericht zu zerren.

Auch Heynckes meldet sich und moniert, Daum habe ihn unter der Gürtellinie attackiert. Der eiskalte Konter des Kölner Trainers: «Die Bayern nehmen halt für sich in Anspruch, die Höhe der Gürtellinie zu beurteilen. So wie sie eine Menge anderer Dinge auch beurteilen wollen.»

Der Kopf von Hoeness verfärbt sich ins tiefste Rot. Der Bayern-Manager hat einen ganzen Stapel mit Notizen mitgebracht, aus denen er ständig zitiert. Daum bemerkt das süffisant: «Es ist schön, dass du dich so gut vorbereitet hast, denn ohne diese Vorbereitung würdest du wahrscheinlich gar nicht über die Runden kommen.»

Uli Hoeness nervt sich gewaltig über Christoph Daum.
Uli Hoeness nervt sich gewaltig über Christoph Daum.Screenshot: Sportstudio

Daum sagt, Hoeness wolle ihn nur von seinem Weg abbringen. Darauf landet dieser seinerseits einen formvollendeten Konter: «Ich werde das gar nicht versuchen, denn am nächsten Donnerstag ist dein Weg sowieso zu Ende.»

Moderator Bernd Heller strahlt über beide Backen, die Zuschauer toben. Einige singen: «Zieht den Bayern die Lederhosen aus!» Zwischendurch will Udo Lattek immer wieder alte Kamellen von seiner Fehde mit Otto Rehagel erzählen. Da soll noch einer sagen, dass das Unterschichten-TV erst im neuen Jahrtausend erfunden wurde!

Udo Lattek punktet hauptsächlich mit seinem schicken Puma-Pullover.
Udo Lattek punktet hauptsächlich mit seinem schicken Puma-Pullover.Screenshot: Sportstudio

Auch die beiden Hitzköpfe haben sich noch nicht genug ausgetobt. Uli Hoeness deutet auf einen der Fussbälle, die als Dekoration von der Decke hängen und pöbelt gegen Daum: «Du überschätzt dich hier masslos. Du musst mal da oben schauen, das ist ein Ball über dir – das ist kein Heiligenschein.» Die Antwort: «Uli, um dein Mass an Selbstüberschätzung zu erreichen, muss ich erst hundert Jahre alt werden.»

Hoeness rächt sich doppelt

Um das ganze Ereignis noch skurriler zu machen, sitzt auch noch eine Wahrsagerin im Studio. Sie kanalisiert die kosmischen Energien der diversen Wutausbrüche und prognostiziert am Ende den Meistertitel für Bayern München. 

Zum Abschluss wetten Udo Lattek und Uli Hoeness 10'000 Mark darum, welches Team am Ende die Schale hochstemmen wird. Nachdem die Kameras abgeschaltet sind, stehen alle Beteiligten wortlos auf und verlassen das Studio, ohne sich voneinander zu verabschieden.

Alle Anstrengungen von Christoph Daum waren umsonst. Fünf Tage nach der Verbalschlacht im TV entscheidet Bayern die Meisterschaft im Direktduell mit Köln für sich. Bis zur 80 Minute steht es 1:1. Daum will die Entscheidung und nimmt den Verteidiger Jürgen Kohler vom Feld. Dessen Gegenspieler Roland Wohlfahrt schiesst in der Schlussphase zwei Tore und sichert den Münchnern den Titel. 

Im Jahr 2000 verschnupft Christoph Daum seine Chancen auf den Posten des Bundestrainers.
Im Jahr 2000 verschnupft Christoph Daum seine Chancen auf den Posten des Bundestrainers.Bild: AP

Das reicht Uli Hoeness noch nicht als Genugtuung. Als sein Erzfeind Daum im Jahr 2000 als Bundestrainer gehandelt wird, stösst er die legendäre Kokainaffäre mit einem Interview in der Münchner Abendzeitung an. Daum verliert seinen Job bei Bayer 04 Leverkusen, wird nicht Nationaltrainer und muss ins «Exil» in die Vereinigten Staaten.

Unvergessen
In der Serie «Unvergessen» blicken wir jeweils am Jahrestag auf ein grosses Ereignis der Sportgeschichte zurück: Ob eine hervorragende sportliche Leistung, ein bewegendes Drama oder eine witzige Anekdote – alles ist dabei.
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