Kennen Sie Michael Stahl, Kurt Meyer oder Klemen Lavric? Diesen drei Herrschaften ist es gelungen, das «Fussballtor des Jahres» zu erzielen. Doch für ein «Fussballtor des Jahrzehnts» braucht es eben doch einen grossen Fussballernamen. In der Geschichte der «Torschützen des Jahrzehnts», welche viermal durchgeführt wurde, heissen die Gewinner Klaus Fischer (70er), Klaus Augenthaler (80er), Bernd Schuster (90er) und Mario Götze (10er). In den 2000er-Jahren fand keine Wahl statt.
Bei 53 Auszeichnungen für die «Tor des Jahres»-Wahl haben es nach Recherchen nur zwei Verteidiger in die Liste geschafft. Einer davon: Klaus Augenthaler. Kein Zufall, wenn man seine Karriere verfolgte.
Als 20-Jähriger feiert er sein Debüt als Profi bei Bayern München und schiesst gleich sein erstes Tor in der Bundesliga. Sein Förderer: Der ungarische Trainer Gyula Lóránt, der den jungen Spieler 1977 vom Nachwuchsteam ins Fanionteam holt und in Augenthaler – Lóránt nennt ihn «Gurkenthaler» – das perfekte Puzzleteil für sein Spielsystem sieht.
Der Ungare lässt nämlich als einer der Ersten seines Fachs in Deutschland eine Art «Raumdeckung» praktizieren. So sollen seine Spieler nicht nur stur den Mann «decken», sondern sich auch ohne Orientierung am Gegenspieler in den Spielfeldzonen frei bewegen.
Die Defensive seines Teams soll aber immer noch einen klaren Chef haben. In die Rolle als Libero oder Ausputzer soll Augenthaler schlüpfen, der in die Schuhstapfen des zu New York Cosmos abgewanderten Franz Beckenbauer tritt.
Die Position scheint wie gemacht für den smarten Abwehrspieler. Ausserdem hat der Niederbayer noch eine zusätzliche Waffe: Einen strammen Rechtsschuss, mit dem die Bundesliga noch öfters Bekanntschaft schliessen sollte.
So schiesst der Mann, mit den bereits in jungen Jahren zahlreichen Falten im Gesicht, bis zu seinem Karriereende als Verteidiger 52 Treffer in der Bundesliga. Seinen sicherlich schönsten Treffer schiesst «Auge» in der ersten DFB-Pokal-Runde 1989 gegen Eintracht Frankfurt, als er den Ball von der Mittellinie – ein ARD-Zuschauer berechnet eine Distanz von 49,5 Meter – über Frankfurts Torwart Uli Stein hinweg ins Tor drischt.
Stein wehrt sich laut dem Fussballmagazin 11 Freunde vehement dagegen, zu weit vor dem Tor positioniert gewesen zu sein: «Ich verhindere dadurch immer noch mehr Tore, als ich bekomme.»
Klaus Augenthalers Tor wird von der ARD Sportschau als «Tor des Jahres» (später dann als «Tor des Jahrzehnts») gewählt. Bei der Auszeichnung in der Westfalenhalle fragt Moderator Reinhold Beckmann, ob er sich bereits bei Uli Stein für dessen Mithilfe bedankt hat. «Ich kann ihm ja die Hälfte der Medaille geben», meint «Auge» mit seinem typischen trockenen Humor.
Über 800'000 haben bei der Wahl des deutschen Fernsehsenders teilgenommen. Davon mehr als die Hälfte aus der DDR. «Auge» freut sich über den Support: «Ich grüsse hiermit die Fans in der DDR, die mir das Vertrauen geschenkt und die Plakette haben gewinnen lassen.»
Einige Monate später wird Augenthaler noch eine grössere «Plakette» bekommen und noch mehr Menschenmassen bewegen. Der bärbeissige Verteidiger gewinnt 1990 nämlich mit dem wiedervereinten Deutschland den Weltmeisterpokal. Nach seiner Aktivkarriere wurde Augenthaler Trainer und stand unter anderem bei Nürnberg, Bayer Leverkusen oder Wolfsburg unter Vertrag. Später kehrte er zum FC Bayern zurück, wo er bis 2020 als Nachwuchstrainer fungierte.