1981 betreibt Herbert Müller, von seinen Fans nur «Stumpen-Herbie» genannt, den Rennsport nur noch sporadisch. Den Übernamen hat er wegen der Sechskantstumpen «Indiana Brasil», die er stets raucht. Seine Gegner sagen ihm nach, dass er die Zigarre nur zum Rennen aus dem Mund nimmt. Den rötlichen Vollbart trägt er, um Brandnarben zu verbergen.
Noch ein letztes Mal wagt er sich mit 41 Jahren auf die Rennstrecke. Auf dem Nürburgring ist der Unternehmer aus Reinach AG mit dem Porsche 908/4 im Team des deutschen Zahnarztes und Privatfahrers Siegfried Brunn im 1000-Kilometer-Rennen unterwegs.
Dann, in der 13. Runde, die Katastrophe. Müller will dem schleudernden Porsche 930 von Karl-Josef Römer ausweichen. Dabei rast er in den abgestellten Porsche 930 von Bobby Rahal.
Der Amerikaner hat schon in der ersten Runde seinen defekten Boliden dort stehen lassen müssen. In Rahals Auto sind noch etwa 120 Liter Benzin, in Müllers rund 40 Liter. Das Magnesium in Müllers fast zehnjährigem Wagen fängt augenblicklich Feuer. Möglicherweise hat er jedoch bereits den starken Aufprall nicht überlebt.
Der Rettungswagen ist nach wenigen Minuten an der Unfallstelle. Doch jede Hilfe kommt zu spät. Das Flammeninferno zerstört sogar den Asphalt auf der Rennpiste. Das Auto schmilzt auf einen kleinen Haufen Metall zusammen. Die Schnalle von Müllers Sicherheitsgurt wird später zentimetertief in den Boden eingebrannt aufgefunden.
Das Rennen wird nicht sofort abgebrochen. Die Veranstalter geraten aber trotzdem in die Kritik. Rahals Mechaniker haben die Rennleitung dringend darum gebeten, den Rennwagen aus der gefährlichen Zone zu bergen. Da dies jedoch nicht ohne Rennunterbruch möglich gewesen wäre, sieht die Rennleitung davon ab.
Zahlreiche Freunde raten den Familienmitgliedern, rechtlich gegen die Veranstalter vorzugehen. Sie verzichten darauf. Im Wissen, dass Herbert Müller immer im vollen Wissen um das Risiko gefahren ist und bei jener Tätigkeit gestorben ist, die ihm am meisten Freude bereitete.
Herbert Müller hat einmal gesagt: «Sollte mir im Rennsport einmal etwas zustossen, kann ich wenigstens von mir sagen: ‹Ich habe in meinem Leben getan, was mir Spass machte.›» Er wägt sein Risiko stets sorgfältig ab, soweit das im Rennsport zu jener Zeit überhaupt möglich ist.
Müller entkommt bereits einmal ganz knapp dem Tod. Am 24. September 1972 wird er auf dem Nürburgring in einen schweren Unfall verwickelt. Ein anderer Fahrer gibt beim Start zu viel Gas. Sein Auto stellt sich quer und prallt gegen Herbert Müllers Wagen. Dieser überschlägt sich in der Luft und kracht auf die Leitplanken.
Auf dem Dach liegend kommt das Auto zum Stillstand und fängt explosionsartig Feuer. Erst nach 13 Sekunden kann sich der Schweizer als brennende Fackel aus dem Wrack befreien.
Müller rennt auf die Feuerwehrleute zu, die weitere elf Sekunden brauchen, um ihn zu löschen. Die Folgen: Schwere Verbrennungen an den Händen, im Gesicht und an den Füssen. Trotzdem ist Herbert Müller schon einige Wochen später wieder im Rennauto unterwegs.
«Es ist zwecklos, die Flinte nach einem überstandenen Unfall ins Korn zu werfen. Man muss schon vor dem Start in einer besinnlichen Stunde mit sich selber gesprochen haben und sich bewusst sein, was bei einem Unfall passieren könnte.»
In die Formel 1 schafft es Herbert Müller trotz grossem Talent nie. Obwohl er am 15. April 1963 in einem nicht zur Fahrer-WM zählenden Formel-1-Rennen auf dem Strassenrundkurs von Pau ein sensationelles Debüt in der Königsklasse gibt. Er erhält schliesslich einen Platz im Lotus 21-Climax der Scuderia Filipinetti. Der Neuling rast auf Platz 5. Hätte er nicht zu wenig Benzin im Tank gehabt, wäre die Sensation perfekt gewesen.
Mehrere Runden liegt Müller dicht hinter den Titanen Jim Clark und Trevor Taylor auf Platz drei und kommt sogar bis auf zwei Zehntelsekunden an Clarks Rundenrekord heran. Dass er nach dieser grossartigen Leistung nie mehr in einem Formel-1-Boliden Platz nehmen sollte, will sich damals niemand vorstellen. Aber seine beruflichen Verpflichtungen (er übernimmt nach dem frühen Tod seines Vaters den familieneigenen Metallveredelungsbetrieb) machen es unmöglich, die Rennfahrerkarriere konsequent zu verfolgen.
1971 hat Herbert Müller noch einmal die Chance auf einen Einsatz in der Formel 1. Jo Siffert und der Tabaksponsor Villiger haben zusammengespannt, um den Lotus 27 von Rob Walk für einen Freundschaftspreis von 20'000 Franken zu mieten. Müller will das Angebot annehmen.
Doch sein Mechaniker hat Vorbehalte: Er will die Bremswelle auswechseln, die Jochen Rindt im Vorjahr im September 1970 beim tödlichen Unfall in Monza zum Verhängnis geworden ist. Die Unfallursache war eine gebrochene Bremswelle.
Als dies nicht möglich ist, lehnt «Stumpen-Herbie» ab. Also keine Formel-1-Karriere. Doch in den Sportwagenrennen war er Weltklasse. Ja, Herbert Müller ist vielleicht der beste Schweizer Autorennfahrer, der nie in der Formel 1 Karriere gemacht hat.
Über 80 verschiedene Boliden ganz unterschiedlicher Art fährt Herbert Müller in seiner Karriere. Vom kleinen NSU TTS zu BMW- und Toyota-Celica-Tourenwagen über GTs von Ferrari, De Tomaso und Ford bis zu fast allen Porsche-Typen seit 1960, Sportwagen von Abarth, Ferrari, Lola, Sauber sowie Matra und Einsitzer von den frühen Cooper F3 bis zum Lotus F1 1962, einem kurzen Bergeinsatz auf einem Eagle F1 und schliesslich den March F2.
Müller liebt Strecken, die den Fahrer fordern und wo nicht nur das Auto ausschlaggebend ist. In der sizilianischen Targa Florio, die auf öffentlichen Strassen ausgetragen wird, feiert er 1966 und 1973 seine grössten Siege. Er wird zweimal Zweiter beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans (1971 und 1974) und zweimal Berg-Europameister (1963 und 1965).
Vor Jahren habt ihr ein Interview mit seinem Sohn gepostet, wo er über die Fahrt von AG nach Le Mans sprach. Bitte bringt dieses wieder einmal 🙂
Dort ist Herbert Müller mittlerweile mit einem Platz verewigt – leise Ironie der Geschichte, dass dieser an einer verkehrsberuhigten Einbahn mit stossdämpfermordenden Riesenschwellen liegt.