Wir schreiben den 12. März 1995, als der für Schalke spielende Torhüter Jens Lehmann zum ersten Mal selber ins gegnerische Tor trifft. Bis dahin hatte der gebürtige Essener wie jeder «normale» Torhüter seiner Zunft immer die Bälle aus seinem eigenen Kasten fischen müssen.
Doch nun drehte Jens Lehmann den Spiess um. Es stand schon 5:1 im Bundesligaspiel gegen 1860 München, als Schalke einen Penalty zugesprochen bekommt. Und der Schalker Schlussmann darf ihn reinmachen, was der 1,90 Meter-Hüne auch tut.
Zugegeben, ein Penaltytreffer eines Torhüters ist zwar speziell, doch so aussergewöhnlich auch wieder nicht. Sicherlich einmalig ist hingegen Lehmanns zweiter Treffer. Zweieinhalb Jahre später nämlich steht am 19. Dezember 1997 das Ruhrpott-Derby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 auf dem Programm.
Nachdem der Schalke-Torhüter zweimal einen Freistoss in die Torwartecke passieren lässt, scheint Lehmann die unglückliche Figur des Spieltags zu werden. Doch dann das Unglaubliche: Ein Eckball in der 93. Minute wird von einem Schalker Spieler per Hinterkopf an den zweiten Pfosten verlängert, wo Lehmann goldrichtig steht und nur noch einzuköpfen braucht. Der Ausgleich in der Nachspielzeit durch einen Torhüter im giftigsten Duell Deutschlands ist zugleich das erste Feldtor eines Keepers in der 1. Bundesliga.
Mit zwei Toren ist Jens Lehmann jedoch nicht einmal in der Bundesliga an der Spitze zu finden. Gemeinsam mit einem anderen Ex-Nationaltorhüter, Andreas Köpke, belegt er nämlich «nur» den zweiten Rang. Der erste Platz gehört unangefochten Hans-Jörg Butt, der 26 Treffer in 387 Bundesligapartien erzielte.
Ausserdem ist Butt der einzige Torhüter, der in vier Spielklassen und in der Champions League Tore erzielte, sondern auch bis heute der einzige Torhüter, dem in zwei Bundesligaspielen jeweils zwei Tore gelangen.
Nichtsdestotrotz reiht Hans-Jörg Butt mit 26 Bundesligatoren sich nicht in internationalen Rekordbücher ein, was Treffer eines Schlussmannes anbelangt. Diese führt ein immer noch aktiver Brasilianer an.
Der brasilianische Torhüter Rogério Mücke Ceni (Mücke ist wirklich sein zweiter Vorname) ist eine Legende in seiner Heimat. Seit 1990 (!) steht er für den FC Sao Paulo zwischen den Pfosten. Aber der inzwischen 41-jährige Torhüter verhindert nicht nur einfach Tore, sondern er schiesst auch selber gerne welche. 113 Tore hat Ceni bis jetzt erzielt, davon über die Hälfte per Freistoss.
Der mehrfach vorbestrafte Paraguyaner erzielte in seiner Karriere über 60 Tore für verschiedene Klubs und das Nationalteam. Er lief von 1989 bis 2003 74-mal für die paraguayische Fussballnationalmannschaft auf und erzielte acht Tore, was bis heute Rekord ist für Tore eines Keepers für eine Landesauswahl.
Mit 42 Toren holt der bulgarische Ex-Nationalhüter Dimitar Ivanow Bronze. Der Bulgare hatte vor allem in der Türkei eine erfolgreiche Zeit. 2008 wurde Ivanow mit Kayserispor Pokalsieger, 2010 sogar Meister mit Bursaspor.
Der Mexikaner Jorge Luis Campos war bekannt für seine knalligen Trikots und stürmischen Sololäufe. Im Gegensatz zu seinen Berufskollegen sind nicht etwa hauptsächlich Elfmeter- und Freistosstore in den Annalen zu finden, sondern der 1,75m kleine Torwart spielte bisweilen auch als Stürmer und traf dementsprechend auch öfters aus dem Spiel heraus. Durch seine Doppelrolle und den selbstdesignten Goalie-Trikots stieg er zu einer weltweit bekannten Fussballfigur auf. So schoss er im Laufe seiner Karriere beachtliche 38 Tore.
Der kolumbianische Schillerfalter – in Schlagerkreisen wegen seines Wuschelkopfs und Schnauzer auch als «Wolfgang Petri für Arme» bezeichnet – hat eine Biographie, die selbst diejenige von Querulant Carlos in den Schatten stellt. Daneben hat «El Loco» übrigens auch 38-mal eingenetzt.
In der Kokainhochburg Medellin zur Welt gekommen (und später als Profi positiv auf das weisse Pulver getestet), von 1987 bis 1999 mit Unterbrechungen das Tor Kolumbiens gehütet, agierte als Vermittler in einem Entführungsfall, in dem die Tochter einer befreundeten Familie von Drogenhändlern gekidnappt wurde, sass im Knast und machte nach der Entlassung einen Hungerstreik, nahm in der Reality-Show «La isla de los famosos: Una aventura pirata» teil, in welcher die Teilnehmer skurrile Überlebensaufgaben machen mussten und liess schliesslich in der Sendung «Cambio Extremo» live im TV etliche Schönheitsoperationen über sich ergehen.
Jens Lehmann hat bekanntermassen auch oft für Schlagzeilen gesorgt, nichtsdestotrotz sind diese als absolut «normal» zu bezeichnen, wenn man diese Aussetzer den Eskapaden eines Chilavert oder Higuita gegenüberstellt. Da fällt es selbst den grössten Fussballexperten und Philosophen schwer, der geflügelten Redewendung «Torhüter ticken anders» etwas Vernünftiges entgegenhalten zu können.