Meine Gymi-Zeit fiel in die 90er, eine Zeit, in der die Hip-Hop-Musik zum absoluten Siegeszug durch die ganze Welt ansetzte. Auch in der Schweiz und in meinem Fall in Zürich kam man kaum um die ewigen Rappers und DJs, Homeboys und B-Girls herum. Man rief sich «Yo» anstatt beim Vornamen, lernte lieber komplizierte Ganzkörperchoreografien, statt sich die Hand zu geben, trug Wu-Tang-Pullover und die Hose zu gross und knietief.
Mir war das damals alles viel zu prollig, zu monoton, zu wenig versiert, einen Plattenspieler bedienen konnte schliesslich auch meine Grossmutter. Und dann noch dieses ganze Attitüdengehabe – schrecklich. Ich war mir sicher: Techno und vor allem Hip-Hop sind die Totengräber des guten Geschmacks.
Eines Tages konnte mich jedoch ein Schulfreund vom Besuch eines Konzerts im Palais X-tra überzeugen, es werde eine saugute Band spielen, zwar HipHop, aber dann doch gar nicht so schlimm und es seien noch gute Musiker (krasser Drummer) und überhaupt, ich solle doch endlich mal von meinem Hippie-Trip runterkommen usw.
Es war eines der besten Konzerte, die ich bis heute gesehen habe. Alles war da, Energie, ausufernde Soli, tanzbar bis zum Kreislaufkollaps. Während zweieinhalb Stunden wurde nicht eines meiner vielen Hip-Hop-Klischees bedient. Ich verliess das Lokal bekehrt und als The-R
oots-Fan!Das ist nun alles etwa 15 Jahre her. The Roots haben sich in der Zwischenzeit von einer «Lieber Rap mit musikalischem Anspruch»-Band zu einer wahren Kultur-Institution gemausert. Während das Genre seit Jahren an Hyperkommerzialisierung und Materialismus-Fetisch krankt, steht die Truppe um Schlagzeuger Questlove und Rapper Black Thought für Innovation, lyrische Ernsthaftigkeit und Experimentierfreude wie sonst wahrscheinlich nur wenige Bands überhaupt.
Auch auf ihrem aktuellen und elften Studio-Album «...And Then You Shoot Your Cousin» hält die Band aus Philadelphia diesen Kurs derart konsequent, dass man sich zeitweise eher in einem souligen Indie-Traum wähnt als beim Hören einer HipHop-Platte.
An 4. Stelle findet sich eine gekürzte, aber ansonsten unveränderte Version des Nina Simone-Songs «Theme From ‹The Middle Of The Night›»:
Und somit ist dann auch schon die lyrische Stossrichtung gegeben: Wir bewegen uns im allnächtlichen Albtraum des schwarzen Grossstadt-Amerikas, einem Umfeld geprägt von Diskriminierung und vor allem einer allgegenwärtigen Perspektivlosigkeit. Oft auch von Gewalt.
Das Szenario ist jetzt nicht schaurig neu oder innovativ, aber statt auf die Moralkeule setzen The Roots einmal mehr auf weitestgehend wertfreie Schilderungen von subjektiven Erfahrungen und Eindrücken und zeichnen so ein glaubwürdiges und stimmiges Bild.
Natürlich erfolgt die Interpretation dieser Texte in Form von Raps und die Musik folgt dieser Vorgabe meist erwartungsgemäss mit satten mid tempo Bass- und Schlagzeug-Grooves. Aber damit hat sich's dann auch schon mit Parallelen zu üblichen Verdächtigen.
Neben der bereits erwähnten Rhythmusgruppe spielen auf «…And Then You Shoot Your Cousin» nämlich vor allem Tasteninstrumente die Musik, allen voran das Klavier. Und obwohl unglaublich tragend, sind es dann doch meist einfache, in arpeggio gespielte Akkordabfolgen wie in der Single-Auskopplung «When The People Cheer» oder erdige, auch wieder simpel gehaltene Blues-Riffs wie in «Black Rock». Gerade diesem Stück hört man diesen ungeschliffenen, fast Proberaum-mässigen Sound besonders gut an, ein Sound, der das Album überhaupt sehr prägt und hörbar macht.
Aber aufgepasst: Ungeschliffen, meine Damen und Herren, ist auf dieser Scheibe aber mal bestimmt rein gar nichts! Ein paar Belege dafür:
Sie werden hören, hier wurde gewaltig geschliffen, denn selbst die verquersten Ausbrüche passen sich nahtlos in das Gefüge ein, ein Gefüge, dem man auch nach dem zehnten Durchhören noch neue Facetten entlocken kann. «...And Then You Shoot Your Cousin» ist in der Tat ein extrem gekonntes, gelungenes und langlebiges Album.
Und gleichzeitig ist es im Grunde genommen zu gekonnt. Die ganze Klanggestaltung, dieses akustische, räumliche Gefühl, das im Prinzip nur mithilfe des ganzen Hintergrund-Produktionsgedöns überhaupt stattfindet, dieses wohlplatzierte Freaktum, all das wirkt ein bisschen zu gesucht, gewollt, konstruiert, kurz:
prätentiös.
Und mit prätentiös kennt Ihr euch ja aus, liebe Indie-Hipster, oder?
Eben. Diese Scheibe ist für Euch.