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Indie-Hipster werden diese Scheibe lieben – auch wenn auf dem Etikett «HipHop» steht.

Aha, zwar irgendwie anders, aber dann doch chartern.Bild: okayplayer
The Roots sind wieder da

Indie-Hipster werden diese Scheibe lieben – auch wenn auf dem Etikett «HipHop» steht.

Auch auf ihrem neuesten Album «…And Then You Shoot Your Cousin» bleibt sich die US-Band The Roots treu und erfindet deshalb mal wieder alles neu. 
20.05.2014, 02:3420.06.2014, 15:31
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Meine Gymi-Zeit fiel in die 90er, eine Zeit, in der die Hip-Hop-Musik zum absoluten Siegeszug durch die ganze Welt ansetzte. Auch in der Schweiz und in meinem Fall in Zürich kam man kaum um die ewigen Rappers und DJs, Homeboys und B-Girls herum. Man rief sich «Yo» anstatt beim Vornamen, lernte lieber komplizierte Ganzkörperchoreografien, statt sich die Hand zu geben, trug Wu-Tang-Pullover und die Hose zu gross und knietief. 

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Bild: giphy/4GIFS.TUMBLR.COM

Mir war das damals alles viel zu prollig, zu monoton, zu wenig versiert, einen Plattenspieler bedienen konnte schliesslich auch meine Grossmutter. Und dann noch dieses ganze Attitüdengehabe – schrecklich. Ich war mir sicher: Techno und vor allem Hip-Hop sind die Totengräber des guten Geschmacks.

Eines Tages konnte mich jedoch ein Schulfreund vom Besuch eines Konzerts im Palais X-tra überzeugen, es werde eine saugute Band spielen, zwar HipHop, aber dann doch gar nicht so schlimm und es seien noch gute Musiker (krasser Drummer) und überhaupt, ich solle doch endlich mal von meinem Hippie-Trip runterkommen usw. 

Wir waren dabei!
Im Jahr 1999 veröffentlichen The Roots ein Live-Album. Zu einem nicht unerheblichen Anteil mit Auszügen vom Konzert im Palais X-tra.
Info: wikipedia, Link: youtube/Lorenzo Simeone

Es war eines der besten Konzerte, die ich bis heute gesehen habe. Alles war da, Energie, ausufernde Soli, tanzbar bis zum Kreislaufkollaps. Während zweieinhalb Stunden wurde nicht eines meiner vielen Hip-Hop-Klischees bedient. Ich verliess das Lokal bekehrt und als The-Roots-Fan!

Live schlicht eine Wucht: Captain Kirk mit Axt, Tuba Gooding Jr. mit dem anderen Kriegsgerät und Mark Kelley am Bass.Bild: pitchfork/Frank Ocean

Das ist nun alles etwa 15 Jahre her. The Roots haben sich in der Zwischenzeit von einer «Lieber Rap mit musikalischem Anspruch»-Band zu einer wahren Kultur-Institution gemausert. Während das Genre seit Jahren an Hyperkommerzialisierung und Materialismus-Fetisch krankt, steht die Truppe um Schlagzeuger Questlove und Rapper Black Thought für Innovation, lyrische Ernsthaftigkeit und Experimentierfreude wie sonst wahrscheinlich nur wenige Bands überhaupt.

Bild
Bild: NBCUniversal
The Roots sind wie du und ich – auch Verdingbuben
Seit 2009 verdingen sich The Roots bei NBC als Hausband der US-amerikanischen TV-Show Late Night With Jimmy Fallon. Als Jimmy Fallon dann im Frühjahr 2014 Jay Leno's Nachfolge als Moderator der The Tonight Show antrat, nahm er seine Hausband mit. Ist die Existenz endlich gesichert, darf man offenbar nun auch mal konsequent fortschrittlich musizieren.
Info: wikipedia

Auch auf ihrem aktuellen und elften Studio-Album «...And Then You Shoot Your Cousin» hält die Band aus Philadelphia diesen Kurs derart konsequent, dass man sich zeitweise eher in einem souligen Indie-Traum wähnt als beim Hören einer HipHop-Platte. 

An 4. Stelle findet sich eine gekürzte, aber ansonsten unveränderte Version des Nina Simone-Songs «Theme From ‹The Middle Of The Night›»

«Only the lonely love, only the sad of soul, 
Wake and begin their day in the middle of the night,
To breakfast on their pride, burnt joys and tears just dried
To breakfast with the moon in the middle of the night.»

Und somit ist dann auch schon die lyrische Stossrichtung gegeben: Wir bewegen uns im allnächtlichen Albtraum des schwarzen Grossstadt-Amerikas, einem Umfeld geprägt von Diskriminierung und vor allem einer allgegenwärtigen Perspektivlosigkeit. Oft auch von Gewalt. 
Das Szenario ist jetzt nicht schaurig neu oder innovativ, aber statt auf die Moralkeule setzen The Roots einmal mehr auf weitestgehend wertfreie Schilderungen von subjektiven Erfahrungen und Eindrücken und zeichnen so ein glaubwürdiges und stimmiges Bild.

Natürlich erfolgt die Interpretation dieser Texte in Form von Raps und die Musik folgt dieser Vorgabe meist erwartungsgemäss mit satten mid tempo Bass- und Schlagzeug-Grooves. Aber damit hat sich's dann auch schon mit Parallelen zu üblichen Verdächtigen. 

Neben der bereits erwähnten Rhythmusgruppe spielen auf «…And Then You Shoot Your Cousin» nämlich vor allem Tasteninstrumente die Musik, allen voran das Klavier. Und obwohl unglaublich tragend, sind es dann doch meist einfache, in arpeggio gespielte Akkordabfolgen wie in der Single-Auskopplung «When The People Cheer» oder erdige, auch wieder simpel gehaltene Blues-Riffs wie in «Black Rock». Gerade diesem Stück hört man diesen ungeschliffenen, fast Proberaum-mässigen Sound besonders gut an, ein Sound, der das Album überhaupt sehr prägt und hörbar macht. 

«When The People Cheer»

youtube/okayplayer

«Understand»

Im Geiste des oben erwähnten «Black Rock». Zwar ohne Klavier, dafür mit Hammond. Hell yeah!youtube/okayplayer

Aber aufgepasst: Ungeschliffen, meine Damen und Herren, ist auf dieser Scheibe aber mal bestimmt rein gar nichts! Ein paar Belege dafür:

  • Eigentlich überall wartet hinter dem Offenhörlichen eine Vielzahl von kleinen musikalischen Schnörkeln, die zwar nie aufdringlich, aber unglaublich räumlich wirken und nahezu danach schreien, entdeckt zu werden. 
  • Wenn Sie beim Hören des Albums eine Gesangs- oder Rap-Passage finden, die NICHT mit einem unendlich langen Echo belegt ist, schenken wir Ihnen einen Mercedes-Benz (als GIF).
  • Und dann gibt's auch noch die Stücke, da hiess es wohl: «Komm, wir kippen die zweite Hälfte des Songs und lassen stattdessen irgendeine freakige Kaskade vom Stapel.» 
    So geschehen beim Song «Never».
  • Oder: «Nedu, ich weiss was Besseres. Wir machen nur freakige Kaskaden! Für immer! Den ganzen Song lang.» 
    Alle andern so: «Boah!»
    Nachzuhören auf «Dies Irae».
  • Am liebsten sind mir jedoch die Songs, die zwar allerhöchstens Durchschnitt sind, deren Schluss mich aber derart umhaut, dass ich mir die mediokren dreieinhalb Minuten jedes mal trotzdem antue, nur um später den möglichst authentischen Flash zu haben, wenn dann ebendieser Schluss einsetzt. Hörbeispiel gefällig?
soundcloud/defjam

Sie werden hören, hier wurde gewaltig geschliffen, denn selbst die verquersten Ausbrüche passen sich nahtlos in das Gefüge ein, ein Gefüge, dem man auch nach dem zehnten Durchhören noch neue Facetten entlocken kann. «...And Then You Shoot Your Cousin» ist in der Tat ein extrem gekonntes, gelungenes und langlebiges Album.

Und gleichzeitig ist es im Grunde genommen zu gekonnt. Die ganze Klanggestaltung, dieses akustische, räumliche Gefühl, das im Prinzip nur mithilfe des ganzen Hintergrund-Produktionsgedöns überhaupt stattfindet, dieses wohlplatzierte Freaktum, all das wirkt ein bisschen zu gesucht, gewollt, konstruiert, kurz: 
prätentiös. 

Und mit prätentiös kennt Ihr euch ja aus, liebe Indie-Hipster, oder?

Eben. Diese Scheibe ist für Euch.

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