«Ein schlechter Januar bedeutet ein schlechtes Jahr», lautet eine Börsenregel. Schenkt man dieser Regel Glauben, dann sollten Sie Ihre Aktien besser heute als morgen verkaufen. Der Start ins Börsenjahr 2014 ist desaströs verlaufen. Fallende Kurse rund um den Globus.
Dabei hatten uns noch vor ein paar Wochen die am WEF versammelten Wirtschaftsweisen das Gegenteil versprochen. Die Stimmung in der Davoser Höhenluft war geradezu euphorisch: Die USA hätten ihre Banken saniert, ihre Schulden abgebaut und würden wieder zur Wachstumslokomotive, hiess es. Asien befinde sich weiterhin auf Erfolgskurs und selbst Europa buddle sich langsam aus der Grossen Rezession heraus. Jetzt herrscht wieder Katzenjammer. Die Börsen sind hektisch, die Politiker nervös und die Experten ratlos.
Die Weltwirtschaft ist manisch-depressiv geworden. In den letzten Tagen setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Erwartungen schlicht und einfach übertrieben waren. Still und leise haben Banken und Prognoseinstitute ihre Gewinn- und Wachstumszahlen nach unten revidiert. «Vielleicht», so der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff im «Wall Street Journal», «werden die USA doch nicht ein so tolles Jahr haben, wie alle erhofft haben.» In Davos habe man einfach glauben wollen, dass nichts mehr schief gehen könne.
Gerade der Glaube an einen kräftigen Aufschwung der amerikanischen Wirtschaft ist einer der Auslöser der jüngsten Krisenängste. Das mag paradox klingen, ist es aber nicht. Eine wieder erstarkte Wirtschaft würde es der US-Notenbank, der Fed, erlauben, ihre Geldpolitik wieder zu normalisieren. Das heisst konkret: Sie könnte mit dem Tapering beginnen, einem schrittweisen Ausstieg aus dem quantitativen Easing. So nennt man das Phänomen, wenn die Notenbank Anleihen aufkauft, um die Zinsen tief zu halten.
Bereits im Mai letzten Jahres hatte der damalige Fed-Präsident Ben Bernanke ein solches Tapering angekündigt und damit eine mittlere Panik auf den Finanzmärkten ausgelöst. Die hastig nachgereichte Versicherung, es handele sich um einen Fehlalarm, führte vorübergehend zu einer Beruhigung der Nerven. Die letzten Quartalszahlen der US-Wirtschaft sind jedoch überraschend stark ausgefallen. Daher setzte sich in den letzten Tagen die allgemeine Überzeugung durch, die neue Fed-Präsidentin Janet Yellen werde wohl früher als erwartet und definitiv mit dem Tapering beginnen.
Das Quantitative Easing hat die Zinsen künstlich tief gehalten, mit dem Tapering steigen sie wieder an. Höhere Zinsen in den USA sind Gift für die Schwellenländer. Diese hatten in den letzten Jahren davon profitiert, dass viel Geld aus dem Ausland auf der Suche nach einer höheren Rendite ins Land geflossen ist. Jetzt flüchtet dieses Geld wieder zurück in den sicheren Hafen USA, und zwar im grossen Stil. 2013 sind gemäss Angaben des Institute of International Finance 393 Milliarden Dollar aus den Schwellenländern abgezogen worden, neu zugeflossen sind bloss 84 Milliarden Dollar.
Um diese Kapitalflucht zu verhindern, mussten die Notenbanken der Schwellenländer die Leitzinsen drastisch erhöhen, die Türkei beispielsweise auf 12 Prozent. Ein solches Zinsniveau ist Gift für die Binnenwirtschaft. Die bis vor kurzem als Hoffnungsträger geltenden BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) haben daher einen anderen Namen bekommen, sie werden jetzt die «fragilen Fünf» genannt.
Mit guten Gründen: Das brasilianische Bruttoinlandsprodukt beispielsweise ist 2010 noch 7.5 Prozent gewachsen. 2012 betrug das Wachstum noch 1 Prozent, 2013 noch 2,5 Prozent. Im vergangenen Dezember ist die Industrieproduktion um 3.5 Prozent eingebrochen. Dabei gehört Brasilien noch zu den besser positionierten Schwellenländern.
Übel erwischt hat es Argentinien und die Türkei. Beide weisen ein so genanntes «Zwillingsdefizit» aus, will heissen: ein Staats- und ein Leistungsdefizit. Für die meisten Investoren ist das in unsicheren Zeiten ein klares Fluchtsignal. Zwillingsdefizite standen am Anfang der Südamerika- und der Asienkrise der 1980er und 1990er Jahren. Erschwerend kommt hinzu, dass die politische Lage in beiden Ländern sehr brenzlig geworden ist.
Europa hat noch gar nicht richtig aus der Grossen Rezession herausgefunden. Die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in der Einheitszone liegt weit über 10 Prozent, das Wirtschaftswachstum gerade mal knapp über Null. Die vollmundig angepriesene Bankenunion erweist sich bei näherem Hinsehen als Rohrkrepierer. Zudem droht wegen der Lage der Schwellenländer neue Krisengefahr, beispielsweise so: Die Türkei hat ihre Lira rund einen Drittel abgewertet.
Das bedeutet, dass im kommenden Sommer türkische Badeorte Preise anbieten werden, mit denen Griechenland und Zypern unmöglich werden mithalten können. Das Geschäft mit den Sommertouristen hat diese beiden Länder knapp über Wasser gehalten. Fällt es nun ins Wasser, dann könnte dies heissen: Willkommen zurück, Eurokrise.
Es gibt viele Gründe, sich Sorgen zu machen. Trotzdem besteht noch kein Grund zur Panik. So stellt selbst der als «Crash-Guru» bekannte Ökonom Nouriel Roubini in seinem jüngsten Newsletter fest: «Die Gefahr einer ausgewachsenen Währungskrise, verbunden mit einer Schulden- und einer Bankenkrise, ist klein, selbst in den «fragilen fünf»-Ländern.» Langfristig bleiben die Schwellenländer die Hoffnungsträger der Weltwirtschaft. Nur: Wie pflegte schon John Maynard Keynes zu sagen: «Langfristig sind wir alle tot.»