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Die dunklen Seiten der schönen Strahlefrau Julia Timoschenko

Jung, schön, reich: Julia Timoschenko in den 90er Jahren.Bild: EPA
Retterin der Ukraine?

Die dunklen Seiten der schönen Strahlefrau Julia Timoschenko

Mit Julia Timoschenko kehrt eine umstrittene Figur auf die politische Bühne der Ukraine zurück. Sie kam auf dubiosen Wegen zu Reichtum. Sogar ein Mord wird ihr zur Last gelegt.
24.02.2014, 22:0227.02.2014, 15:39
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Als Julia Timoschenko am Samstagabend auf dem Maidan in Kiew zur Menge sprach, wirkte sie müde und gealtert. Gerade erst war sie nach zweieinhalb Jahren Haft aus dem Spital in Charkiw entlassen worden, in dem sie wegen eines Bandscheibenvorfalls behandelt wurde. Die 53-Jährige sass deshalb im Rollstuhl. Ihr Charisma und ihre Kämpfernatur aber entfalteten noch immer ihre Wirkung.

Doch unter den Beifall mischten sich Pfiffe und Buhrufe. Viele Ukrainer sind ernüchtert, dass die einstige Ikone der Orangen Revolution während ihrer Zeit als Ministerpräsidentin 2005 sowie von 2007 bis 2010 keinen wirklichen Wandel im Land herbeiführte. Nicht zuletzt aber werfen sie Julia Timoschenko dubiose Geschäfte in der Vergangenheit vor.

Von der Tochter einer Telefonistin zur «Gasprinzessin»

Sie wurde 1960 in Dnjepropetrowsk als Julia Hryhjan geboren. Ihre Eltern trennten sich, als sie drei Jahre alt war. Ihre Mutter arbeitete in der damaligen Sowjetunion als Telefonistin. Julia war eine gute Schülerin. Während ihres Wirtschaftsstudiums an der städtischen Universität lernte sie Olexander Timoschenko kennen. Sie heirateten 1979, ein Jahr später kam Tochter Jewgenia zur Welt. Nach dem Studium arbeitete Julia bei der Maschinenfabrik Lenin.

Noch während Michail Gorbatschows Perestroika machte das Ehepaar Timoschenko mit der Gründung eines Videoverleihs erste Schritte in der Privatwirtschaft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stiegen sie mit ihrer Firma Ukrainskji Bensin ins Energiegeschäft ein. 

Zu Reichtum und Einfluss kam Julia Timoschenko ab 1995 als Chefin des Konzerns Vereinigte Energiesysteme (EESU), der mit importiertem russischem Erdgas handelte. Weil damals viele Firmen knapp bei Kasse waren, bezahlten sie Timoschenko das Gas auch mit Waren oder Anteilen – ein Bombengeschäft für die «Gasprinzessin», wie sie genannt wurde.

Nicht ein, sondern vier Privatflugzeuge

Der US-Autor Matthew Brzezinski widmete Julia Timoschenko in seinem 2001 erschienenen Buch «Casino Moscow» über die Wildwest-Privatisierungen nach dem Ende der Sowjetunion ein ganzes Kapitel. Sein Fazit: «Timoschenko erlangte die Kontrolle über fast 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Ukraine, eine beneidenswerte Position, der sich wohl kein anderes Privatunternehmen der Welt rühmen kann.»

«Timoschenko erlangte die Kontrolle über fast 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Ukraine.»
Matthew Brzezinski, Autor des Buches «Casino Moscow»

Das Vermögen der attraktiven Oligarchin wurde auf mehrere Milliarden Dollar geschätzt. Sie sei von einer Einheit ehemaliger sowjetischer Spezialtruppen beschützt worden, schreibt Matthew Brzezinski. Er schildert in seinem Buch eine vielsagende Anekdote: Einmal habe sie ihn zum Mittagessen mit einem Privatflugzeug aus Moskau einfliegen und am gleichen Abend wieder zurückfliegen lassen. Als Brzezinski eingewendet habe, er wolle den Firmenjet nicht blockieren, habe Timoschenko nur gesagt: «Keine Angst, ich habe vier davon.»

Ein zweifelhafter Mentor

Timoschenkos märchenhafter Aufstieg war nur möglich dank der Protektion ihres Freundes und Mentors Pawlo Lasarenko. Er stammt ebenfalls aus Dnjepropetrowsk und war von 1996 bis 1997 ukrainischer Ministerpräsident. Danach fiel er in Ungnade und flüchtete in die USA, wo er 2006 wegen Korruption und Erpressung zu neun Jahren Gefängnis verurteilt wurde. In jenem Verfahren tauchten Dokumente auf, die darauf hindeuten, dass Julia Timoschenko ihrem einstigen Gönner bis zu 100 Millionen Dollar zukommen liess.

Ihr Einstieg in die Politik Ende der 1990er Jahre wurde von ihren Feinden denn auch als Versuch interpretiert, ihr Vermögen zu schützen. Darin ähnelt sie Silvio Berlusconi. Ihre Stunde schlug während der Orangen Revolution 2004, als sie mit Wiktor Juschtschenko auf die Barrikaden stieg und dem neuen Präsidenten Wiktor Janukowitsch Wahlfälschung vorwarf. Äusserlich hatte sie einen Imagewandel vollzogen: Mit blondiertem, geflochtenem Haarkranz und folkloristisch inspirierter Designerkleidung signalisierte die von Natur aus brünette Timoschenko Bodenständigkeit und ihre Abkehr von den Oligarchen.

Sieben Jahre Haft

Doch bald schon zeigte sie auch als Politikerin ihre dunkle Seite: Mit Präsident Juschtschenko lieferte sie sich einen jahrelangen Machtkampf, der sie viele Sympathien kostete. Als Janukowitsch 2010 doch noch zum Präsidenten gewählt wurde, rechnete er mit seiner Erzfeindin ab. Julia Timoschenko wurde vor Gericht gestellt und 2011 wegen Veruntreuung und Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis wurde sie nach eigenen Angaben geschlagen, auch wurde ihr Bandscheibenvorfall anfangs nur ungenügend behandelt.

Ihre Ankläger aber liessen nicht locker, sie beschuldigten Timoschenko zusätzlich des Mordes am Geschäftsmann und Politiker Jewhen Schtscherban. Er und seine Frau waren 1996 nach der Landung auf dem Flughafen der ostukrainischen Kohle- und Stahlmetropole Donezk von einem Killerkommando regelrecht hingerichtet worden. Timoschenko und ihr Mentor Lasarenko hätten einen Rivalen beseitigen wollen, lautete die Anklage.

Ein mysteriöser Mord

Julia Timoschenko und ihr Verteidiger wiesen die Vorwürfe als absurd zurück. Der Mord an Schtscherban sei eine Abrechnung innerhalb der Donezker «Mafia» gewesen. Zu den Profiteuren gehörten der Milliardär Rinat Achmetow, der reichste Mann der Ukraine, sowie Wiktor Janukowitsch. Recherchen ausländischer Medien ergeben kein klares Bild, doch die Indizien stützen eher die Version von Julia Timoschenko.

Timoschenkos emotionaler Auftritt auf dem Maidan.Video: YouTube/euronews

Zu einem Prozess kam es nicht, und mit dem Umsturz in der Ukraine dürfte die Sache vorläufig vom Tisch sein. Nun will Timoschenko Präsidentin werden und damit ihre wechselvolle Karriere krönen. Doch mit ihrem Image als korrupte Oligarchin oder gar als mögliche Mörderin steht sie nicht für den Neuanfang, den das Land braucht. Und den sich viele Ukrainerinnen und Ukrainer wünschen.

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