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Warum das US-Schulden-Debakel auch dich etwas angeht

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Analyse

Warum das US-Schulden-Debakel auch dich etwas angeht

Ein obskures Gesetz aus dem Ersten Weltkrieg droht, die amerikanische Wirtschaft und damit auch die Weltwirtschaft in den Abgrund zu stossen.
17.05.2023, 13:2917.05.2023, 14:09
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Stell dir vor: Du hast eine Festhypothek, deren Frist abläuft. Dann gehst du zu deiner Bank und erklärst ihr: «Ich zahle nur, wenn ihr mindestens 100 Mitarbeiter entlasst und alle Boni kürzt.» Tönt absurd? Ist es auch, aber genau ein Vorgang nach diesem Prinzip spielt sich derzeit im amerikanischen Kongress ab – und das ist alles andere als lustig.

Ermöglicht wird dieses absurde Schauspiel dank eines Gesetzes von 1917. Wegen des Ersten Weltkrieges wurde es damals eingeführt, um eine bessere Kontrolle über die Staatsausgaben zu ermöglichen. Es besagt, dass der Kongress nicht nur das Budget absegnen muss, sondern auch eine Schuldenobergrenze festlegen kann. Will heissen, der Kongress muss auch seine Zustimmung zu bereits getätigten Ausgaben geben.

epa10632561 US Speaker of the House Kevin McCarthy speaks to members of the news media, after a meeting between US President Joe Biden and Congressional leaders on raising the debt limit, outside the  ...
Gibt er nach? Kevin McCarthy, Speaker im Abgeordnetenhaus.Bild: keystone

Die Schuldenobergrenze ist ein Gesetz, das nur die USA kennen und von Nichtamerikanern nicht verstanden wird. Kein Wunder: Die Republikaner benutzen es derzeit als schamlose Erpressung. Weil sie derzeit über eine knappe Mehrheit im Abgeordnetenhaus verfügen, wollen sie die Schuldenobergrenze nur dann anheben, wenn die Biden-Regierung massive Zugeständnisse macht. Nochmals zum Mitschreiben: Es handelt sich hier um bereits getätigte Ausgaben, und ein Grossteil dieser Schulden ist noch in der Amtszeit von Donald Trump angehäuft worden.

Warum die Demokraten eine «saubere» Regel wollen

Die Republikaner und Kevin McCarthy, ihr Anführer im Abgeordnetenhaus, umhüllen ihre nackte Erpressung mit einem Mantel der Tugend. Sie haben kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das drastische Kürzungen bei den Sozialabgaben und den Förderungen von nachhaltigen Energieprojekten vorsieht, wohl wissend, dass die Biden-Regierung dieser Forderung niemals nachkommen wird. Die Demokraten ihrerseits beharren darauf, dass die Schuldenobergrenze «sauber», will heissen ohne Einschränkungen genehmigt wird.

Das Anliegen der Demokraten ist berechtigt, denn ihrerseits haben sie während der Amtszeit von Trump die Schuldenobergrenze zweimal «sauber» angehoben. Das ist auch sinnvoll, denn jeder Buchhalter weiss, dass das Gerangel um die Staatsausgaben bei der Genehmigung des Budgets erfolgen muss, und nicht, wenn die Ausgaben bereits getätigt worden sind.

Wie heuchlerisch die Republikaner handeln, zeigt einmal mehr das Verfahren ihres Leithammels Donald Trump. Dieser hat die Republikaner offen aufgefordert, die Schuldenobergrenze nicht anzuheben. In der desaströsen CNN-Townhall vom letzten Mittwoch wurde er darauf angesprochen, denn als Präsident hatte er seinerzeit erklärt, an der Anhebung der Schuldenobergrenze führe kein Weg vorbei. Weshalb er jetzt seine Meinung geändert habe, wurde er gefragt. Seine Antwort ist an Zynismus nicht zu überbieten. «Damals war ich Präsident», so Trump. «Jetzt bin ich es nicht.»

Der Verdacht, dass es den Republikanern nicht darum geht, den Staatsschuldenberg abzutragen, ist berechtigt. Dank der äusserst knappen Stimmenverhältnisse im Abgeordnetenhaus können die «Durchgeknallten» in den Reihen der Grand Old Party (GOP) – Matt Gaetz, Marjorie Taylor Green, Lauren Boebert etc. – weit über ihrer Gewichtsklasse boxen. Sie haben den Speaker McCarthy in der Hand, denn sie haben dafür gesorgt, dass dieser 15 Abstimmungen überstehen musste, um sein Amt überhaupt antreten zu können. Zudem musste er einer Regel zustimmen, die vorsieht, dass ein einzelner Abgeordneter seine Absetzung verlangen kann.

FILE - Rep. Marjorie Taylor Greene, R-Ga., joined at left by Rep. Matt Gaetz, R-Fla., speaks at a news conference about the treatment of people being held in the District of Columbia jail who are char ...
Boxen weit über ihrer Gewichtsklasse: Matt Gaetz und Marjorie Taylor Greene.Bild: keystone

Die «Durchgeknallten» wollen im Verbund mit Trump ein Chaos herbeiführen. Auf diese Weise hoffen sie, 2024 wieder an die Macht zu kommen. Wird die Schuldenobergrenze bis zum 1. Juni nicht angehoben, dann ist ein Chaos nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich.

Finanzministerin Janet Yellen hat bereits angekündigt, dass zu diesem Zeitpunkt die amerikanischen Staatskassen ohne Anhebung leer sein werden, und sie auch alle Tricks, eine Staatspleite zu vermeiden, ausgeschöpft habe. Das heisst konkret, dass die USA erstmals in ihrer Geschichte ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können.

Die Folgen einer US-Staatspleite sind unabsehbar, aber auf jeden Fall katastrophal. Beamte, Polizisten und Feuerwehrleute erhalten keinen Lohn mehr, Sozialleistungen werden nicht mehr ausbezahlt und Schulden nicht mehr bedient. Die Folgen wären eine schwere Rezession der Wirtschaft und die Vernichtung von Millionen von Arbeitsplätzen. Auch mit einer schweren Krise des Finanzwesens müsste gerechnet werden.

FILE - Treasury Secretary Janet Yellen takes questions from journalists during a press conference, at the G7 meeting of Finance Ministers and Central Bank Governors, at Toki Messe in Niigata, Japan, T ...
Warnt vor einer Staatspleite: Finanzministerin Janet Yellen.Bild: keystone

Die Krise würde zudem nicht auf die USA beschränkt bleiben. Der amerikanische Markt ist für die Weltwirtschaft von grösster Bedeutung und in der Finanzwelt läuft ohne den Dollar gar nichts. Der Greenback ist die Leitwährung der Welt, rund 60 Prozent aller internationalen Transaktionen werden darin abgewickelt. Zentralbanken rund um den Globus halten daher T-Bonds, amerikanische Staatsanleihen, im grossen Stil in ihren Büchern, um so die Importe ihres Landes zu finanzieren.

Bisher konnten sie dies guten Gewissens tun, denn wie erwähnt, sind die USA ihren finanziellen Verpflichtungen immer und verlässlich nachgekommen. Sollten sie es nach dem 1. Juni nicht mehr tun, wäre dies ein gewaltiger Schock für das internationale Finanzsystem – und ein gewaltiger Triumph für China. Peking arbeitet seit längerem daran, die Stellung des Dollars zu unterminieren. Eine amerikanische Staatspleite wäre für China daher, wie wenn Geburtstag, Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen würden. Für den Westen, und damit auch für die Schweiz, hingegen wäre es ein Desaster. Vergessen wir nicht: Die USA sind nach der EU unser wichtigster Handelspartner.

Das Schuldenobergrenzen-Schmierentheater ist bereits 2011 schon einmal aufgeführt worden. Damals zwangen die Vertreter der Tea Party die Regierung von Barack Obama zu Konzessionen. Im letzten Moment konnte man sich einigen und eine Katastrophe verhindern. Darauf hofft man auch diesmal, und es gibt optimistische Anzeichen: Gestern haben sich die Anführer der beiden Parteien im Kongress mit dem Präsidenten zu einer Krisensitzung getroffen und Joe Biden hat einen Teil seiner geplanten Asien-Reise abgesagt.

Nach dem Treffen äusserten sich alle Beteiligten optimistisch. Doch die Differenzen sind nach wie vor gross – und im Vergleich zu den aktuellen Durchgeknallten der GOP waren die Vertreter der Tea Party seinerzeit vernünftige Staatsmänner. Und viel Zeit bleibt nicht mehr, die Uhr tickt.

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112 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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C_est_moi
17.05.2023 14:14registriert Februar 2021
Das amerikanische Zweiparteien-System ist wie eine Verbindung von Gaspedal und Handbremse:
Wird mehr Gas gegeben, wird die Bremse stärker angezogen. Und umgekehrt.
Schlussendlich bleibt man einfach mit Schall und Rauch stehen.
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International anerkannter Experte für ALLES
17.05.2023 13:58registriert Juli 2021
OK, wir können die CS nicht pleite gehen lassen, weil das Finanzsystem weltweit davon Schaden nehmen würde, aber wenn die durchgeknallte Greene ihre Scheiss-Agenda durchboxen will, kann man schon mal einen Staatsbankrott mit angegliederter Weltwirtschaftkrise riskieren?

Man kann gar nicht so viel essen, wie man k***** möchte.
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Peter Vogel
17.05.2023 13:47registriert Juni 2020
Dieses Theater gibt es jedes Jahr, egal wer Präsident ist. Wir erinnern uns, dass es auch unter Trump einen wochenlangen Shutdown gab. Und auch Jahrzehnte davor waren die Schulden bereits astronomisch. In der Schweiz haben wir uns ausserdem durch die Rettung der CS bereits selber eine Schlinge um den Hals gelegt, da brauchen wir die Amis gar nicht dazu. Der Artikel ist voller Lücken und plumpe Polemik.
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