Schwere Vorwürfe gegen Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn stürzen die französisch-japanische Auto-Allianz überraschend in eine tiefe Krise. Wegen mutmasslichen Fehlverhaltens rund um Offenlegungspflichten der Tokioter Börse soll einer der mächtigsten Spitzenmanager der Branche zumindest in Japan abtreten. Ghosn könnte auch den massgeblich von ihm geformten Auto-Riesen insgesamt ins Schlingern bringen.
Japanische Behörden verhafteten den 64-Jährigen am Montag, am Donnerstag will der Nissan-Verwaltungsrat Ghosn feuern. Auch das entsprechende Renault-Gremium will bald tagen.
Die Vorhaltungen sind kein Kavaliersdelikt: Ghosn und ein weiterer Manager sollen ihre Geldbezüge in offiziellen Berichten an die japanische Börse falsch dargestellt und in Ghosns Fall zu niedrig beziffert haben, wie Nissan mitteilte. Monatelang gingen Nissan-Mitarbeiter vertraulichen Hinweisen eines Whistleblowers nach. Wie die japanische Nachrichtenagentur Kyodo meldete, soll Ghosn über fünf Jahre insgesamt 5 Milliarden Yen (rund 40 Mio Euro) Einkommen zu wenig angegeben haben.
Die Ergebnisse der internen Untersuchung hätten neben fehlerhaften Einkommensangaben weiteres Fehlverhalten von Ghosn ans Tageslicht befördert – darunter den persönlichen Gebrauch von Firmeneigentum. Die japanischen Strafverfolgungsbehörden seien von Nissan unterrichtet worden, das Unternehmen kooperiere in vollem Umfang. Von Renault hiess es, der Verwaltungsrat erwarte genauere Informationen von Ghosn und werde sich sehr bald zu dem Thema treffen. Die Franzosen stünden zu der Allianz.
Ghosn ist bei den Japanern derzeit Verwaltungsratschef und bei Renault in Frankreich Vorstandschef. Ausserdem führt er die gemeinsame weitreichende Allianz der beiden Autobauer, die überkreuz aneinander beteiligt sind. Nissan sprach von ernsthaftem Fehlverhalten des in Brasilien geborenen Managers und will ihn wegen Verstössen gegen die Sorgfaltspflicht am Donnerstag feuern, wie Vorstandschef Hiroto Saikawa auf einer Pressekonferenz in Tokio ankündigte.
Er bestätigte die Verhaftung Ghosns und sagte, dass zu viel Machtkonzentration zu dem Fehlverhalten beigetragen habe – und sprach von «dunklen Seiten» der jahrelangen Führungsmacht Ghosns. Dessen «negatives Vermächtnis» müsse Nissan nun beiseite räumen. Die Allianz mit Renault dürfe aber nicht nur von einer Person abhängen. Saikawa entschuldigte sich im Namen von Nissan für die Vorfälle und drückte seine «starke Enttäuschung» aus.
Ghosn hatte 1999 – von Renault kommend – den Chefsessel bei Nissan übernommen, um den verschuldeten Konzern aus der Krise zu führen. 2005 war er dann auch an die Spitze von Renault gelangt. Bei Nissan gab Ghosn den Posten des Vorstandsvorsitzenden zuletzt ab, blieb aber Verwaltungsratschef.
Mit dem Skandal droht ein schillernder Manager zu stürzen, auf den das Konglomerat aus Renault, Nissan und Mitsubishi zugeschnitten ist. Ghosn gilt als Mann des alten Schlags, inszeniert sich gern als Macher. Er ist extrem selbstbewusst. In Fragerunden und Pressekonferenzen dominiert er die Bühne – kann aber auch ungemütlich werden, wenn ihm die Fragen nicht passen.
Zusammen mit dem im Juli gestorbenen Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne galt Ghosn als eine der charismatischsten Figuren der Autoindustrie überhaupt. Nun könnte er über das stolpern, was ihm schon öfter Ärger und Unmut einbrachte: sein Gehalt.
Die Höhe der Bezüge hatte in der Vergangenheit immer wieder für Auseinandersetzungen mit dem französischen Staat gesorgt, der mit 15 Prozent an Renault beteiligt ist. Sein Vertrag als Renault-Chef war erst im Februar um vier Jahre verlängert worden – unter der Massgabe, einen geeigneten Nachfolger zu finden.
Der heutige Staatspräsident Emmanuel Macron hatte den Autobauer im Jahr 2016 in seiner damaligen Funktion als Wirtschaftsminister beim Thema Managergehälter unter Druck gesetzt, woraufhin Ghosn Zugeständnisse machte. Auch bei der neuerlichen Vertragsverlängerung nahm Ghosn laut Regierungsmitgliedern Einbussen in Kauf.
Ob er seinen Posten als Renault-Chef halten kann, dürfte nun scharf diskutiert werden – auch in der französischen Politik. Macron befand in Brüssel, es sei noch zu früh, die Affäre um Ghosn im Einzelnen zu kommentieren. «Der Staat wird hingegen als Aktionär äusserst wachsam sein im Hinblick auf die Stabilität der Allianz und der Gruppe», sagte er auch mit Blick auf die Beschäftigten.
Die Renault-Aktien stürzten am Montag in Paris zeitweise um 15 Prozent auf den tiefsten Stand seit mehr als vier Jahren, zuletzt lagen sie noch knapp 10 Prozent im Minus. In Japan öffnet die Börse erst in der Nacht wieder.
Mit der Allianz aus Renault und Nissan sowie dem japanischen Hersteller Mitsubishi hat Ghosn ein riesiges Firmengeflecht geschaffen. Im vergangenen Jahr verkaufte die Allianz 10,6 Millionen Personenwagen und leichte Nutzfahrzeuge. Der weltgrösste Automobilbauer Volkswagen hat nur dank seiner schweren Lkw und Busse noch mehr Fahrzeuge abgesetzt.
Renault-Nissan arbeitet auch mit dem deutschen Daimler-Konzern in einer Allianz zusammen, in der die Unternehmen Entwicklungskosten bei bestimmten Fahrzeugtypen teilen und im mexikanischen Aguascalientes ein gemeinsames Werk betreiben. Dort werden Kompaktfahrzeuge der Marken Mercedes-Benz sowie der Nissan-Marke Infiniti gebaut. (aeg/awp/sda/dpa)