«Eine Kombination von Schweiz und Dänemark wäre ideal»
Die Saxo-Bank war ein Pionier in Sachen Fintech. Fühlen Sie sich heute bestätigt?
Kim Fournais: Wir witzeln intern gerne, dass wir Fintech waren, bevor der Begriff überhaupt existierte. Aber ernsthaft: Ich habe das Geschäft 1992 gegründet und bereits 1998 konnten wir Internet-Lösungen fürs Banking anbieten.
Mit künstlicher Intelligenz (KI) wird auch das Banking auf ein ganz anderes Niveau katapultiert. Ist Ihnen noch wohl dabei?
Zunächst: Wir leben in sehr interessanten Zeiten.
Das sagen die Chinesen, wenn sie jemanden verwünschen wollen.
Das ändert nichts daran, dass KI ein Trend ist, der alles verändern wird, wie es das Internet oder Cloud-Computing schon getan hat. Vor allem wird KI uns helfen, die Produktivität zu erhöhen. Natürlich macht KI einigen Menschen auch Angst.
Die Idee sowohl hinter Fintech und KI ist, dass sie rationales Denken fördern, dass beispielsweise die Aktienkurse an den Börsen immer das Resultat einer Schwarm-Intelligenz sind. Glauben Sie, dass dies heute der Fall ist?
Wie der Ökonom John Maynard Keynes einst sagte: Die Finanzmärkte können länger irrational bleiben als die Investoren liquide. Das trifft zu. Aktienkurse sind nicht immer rational, sie werden auch von Emotionen, Ängsten und Glaubensvorstellungen getrieben. Gerade Fintech und KI hingegen sind ein wirksames Mittel dagegen.
Trotzdem ist eine Tech-Blase gegenwärtig in aller Munde. Glauben Sie, dass wir uns wieder in einer Phase des «irrationalen Überschwangs» befinden, wie in den Neunzigerjahren?
Das wird die Zukunft zeigen. Derzeit werden grosse Wetten auf die Zukunft abgeschlossen, und diese Wetten müssen zunächst einmal eingelöst werden. Das betrifft vor allem den Ausbau von Computer-Kapazität und die Entwicklung der sogenannten Large Language Models, welche der KI zugrunde liegen. Und dann stellt sich auch noch die Frage, wie wir KI sinnvoll anwenden. Wenn uns das gelingt, dann werden gewaltige Steigerungen der Produktivität möglich.
Wie soll sich der kleine Investor in dieser Situation verhalten?
Indem er in ein möglichst breit gefächertes Portfolio investiert. Denn nicht alle Wetten werden aufgehen.
Das Versprechen von Fintech ist, dass auch der kleine Investor nicht mehr auf die teuren Dienste des traditionellen Bankings angewiesen ist. Ist er jedoch in der KI-Revolution nicht überfordert?
Vorsicht ist tatsächlich angebracht. Es gibt sehr viele betrügerische Angebote, die raschen Reichtum versprechen. In der Regel führen diese Angebote dazu, dass man sehr schnell arm wird. Der Wunsch, schnell reich zu werden, ist daher keine gute Motivation, wenn es ums Investieren geht. Das gilt heute mehr denn je, denn es sind sehr viele Betrüger unterwegs.
Wie kann man sich vor ihnen schützen?
Es tönt banal, aber es ist so: gesunder Menschenverstand.
Und wie können wir den gesunden Menschenverstand unterstützen?
Indem wir die Investoren erziehen. Wir müssen aufzeigen, dass etwas, das viel zu gut erscheint, um realistisch zu sein, auch nicht realistisch ist. Wer sein Geld schützen will, muss breit gestreut in solide Unternehmen investieren.
Wer mehr als zehn Prozent Rendite verspricht, ist ein Betrüger, lautete einst eine goldene Regel. Trifft sie noch zu?
Sicher ist, es widerspricht dem gesunden Menschenverstand, wenn man sein gesamtes Kapital auf eine Wette setzt. Deshalb versuchen wir mit unseren Plattformen, die Investoren zu erziehen und ihnen Alternativen anzubieten, sie auch über Klimawandel, technischen Fortschritt und ähnliche Dinge aufzuklären.
Schön und gut, aber sind Kleininvestoren damit nicht überfordert? Sie haben gar nicht die Zeit, um all diese Informationen zu verarbeiten.
Da muss ich widersprechen. Menschen verbringen sehr viel Zeit auf den sozialen Medien. Und es braucht nicht so viel Zeit, um sich als Anleger schlau zu machen. Zudem gibt es Investition-Vehikel wie die ETFs, die es auch dem kleinen Investor leicht machen, sein Geld vernünftig anzulegen. Betrüger erreichen ihr Ziel nicht, weil ihre Opfer keine Zeit haben, sondern weil sie erfolgreich an die Gier appellieren. Es ist eine Illusion zu glauben, jemand mache Sie in kurzer Zeit reich, ohne dass Sie einen Finger rühren müssen. Ein bisschen Weiterbildung kann daher nie schaden.
Wenn man sich jedoch die Entwicklung der Aktienbörsen in den letzten Jahren vor Augen hält, dann kommt man zum Schluss, dass man auch mit ein bisschen Daytraden ganz gut über die Runden kam. Ist das langfristig gesehen nicht ein gefährlicher Trend?
Wir haben einen aussergewöhnlichen Boom an den Märkten hinter uns. Doch nichts dauert ewig, und das einzig Sichere im Leben sind die Steuern und der Tod. Der Boom kann nur dann weitergehen, wenn die versprochenen Zuwächse der Produktivität auch eintreten. Davon ist bisher noch nicht viel zu verspüren.
Trotzdem geistert der Begriff «rationaler Überschwang» herum. Damit soll ausgedrückt werden, dass – anders als seinerzeit beim Dotcom-Boom – die sehr hohen Kurse der Tech-Aktien gerechtfertigt sind. Andererseits warnen gewichtige Stimmen vor dem Platzen der Tech-Blase. Wie sehen Sie das?
Ich bin eher auf der vorsichtigen Seite. Sollten Sie einseitig auf die wichtigsten Tech-Aktien gesetzt haben, auf die viel zitierten «Magnificent Seven» (Alphabet, Amazon, Apple, Microsoft, Nvidia, Meta und Tesla, Anm. d. Red.) und sollte die Tech-Blase platzen, dann befinden Sie sich in grossen Schwierigkeiten.
Es gibt auch die These, wonach die Tech-Blase gar nicht platzen kann, weil es viel zu viel Geld gibt, das angelegt werden will. Stimmen Sie dem zu?
Das weiss ich nicht. Ich sehe jedoch auch die Gefahren: Es gibt viele finanzielle Gewinne, die nicht dank einer Steigerung der Produktivität erzielt worden sind. Zudem ist die Inflation immer noch nicht besiegt. In den meisten Staaten hat die Verschuldung in den letzten Jahren massiv zugenommen, der amerikanische Präsident hat mit seiner Zollpolitik ein riesiges Experiment mit der Weltwirtschaft gestartet, und die geopolitische Lage ist angespannt. All dies mahnt uns zur Vorsicht. Oder wie es so schön heisst: Irgendwann muss irgendwas nachgeben. Leider wissen wir nicht genau, wann das der Fall sein – und was nachgeben wird.
Für Banken gibt es den Begriff «too big to fail». Inzwischen gibt es jedoch auch Unternehmen, deren Aktien «too big to fail» sind. Ein massiver Kurssturz bei den erwähnten «Magnificent Seven» würde das amerikanische Rentensystem zum Einsturz bringen, und auch der Schweizerischen Nationalbank grosse Verluste bescheren.
Es gibt heute Unternehmen, die grösser als Länder sind. Und es gibt Ungereimtheiten. Mastercard beispielsweise verdient mehr Geld als Nvidia, aber das Unternehmen ist an der Börse bloss einen Bruchteil von Nvidia wert. Es stellt sich auch die Frage: Gibt es langfristig gesehen wirklich nur ein Unternehmen, das hochwertige Chips produzieren kann? Daher kann ich mich nur wiederholen: Stecken Sie niemals alles Geld in ein Unternehmen.
Viele Menschen machen genau das.
Viele Menschen stecken ihr Geld auch in Kryptos. Und wie viel haben diese Menschen in den letzten zwei Monaten verloren? 30 Prozent? Oder noch mehr?
Ich vermute, Sie sind kein Fan der Kryptowährungen.
Ich sage bloss: Ich mag keine angeblichen «Werde-reich-in-kurzer-Zeit»-Versprechen. Und ich mag es auch nicht, dass die Kurse von Kryptos aufgebläht werden, damit ein paar Wenige abzocken können. Der ganze Krypto-Markt wird massiv manipuliert.
Müssen Kryptos daher stärker reguliert oder gar verboten werden?
Ich habe grundsätzlich nichts gegen Kryptos und ich glaube an eine Welt, in der Menschen ihre Entscheide frei wählen können. Ich sage nur, bei Kryptos ist höchste Vorsicht am Platz.
Aber müssen Sie diesen Boom nicht zwangsläufig mitmachen? Nach der Finanzkrise rechtfertigte sich der damalige CEO der Citigroup mit den Worten: «So lange die Musik spielt, müssen wir tanzen.» Heute spielt die Musik wieder. Müssen Sie nicht ebenfalls tanzen?
So arbeiten wir bei Saxo nicht. Natürlich wollen wir unseren Kunden alle Vermögenswerte anbieten, an denen sie interessiert sind. Aber wir klären sie auch über die Risiken auf. Und was Citigroup betrifft: Deren Tanzen hatte ein böses Ende – auch für den betreffenden CEO.
Wollen Sie damit andeuten, dass wir vor einer massiven Korrektur der Märkte stehen?
Das weiss ich nicht. Vielleicht passiert eine solche Korrektur morgen, vielleicht in ein paar Jahren. Niemand kann das voraussagen. Was ich hingegen weiss, dass es sehr gefährlich werden kann, wenn man einfach mit der Masse «tanzt». Man muss sein eigenes Gehirn einschalten. Auch die Banken haben eine grosse Verantwortung. Sie müssen ihre Kunden dabei unterstützen und sie vor den Risiken warnen.
Die Saxo Bank ist nicht nur Technologie-affin, sie hatte einst auch eine sehr liberale, ja libertäre Philosophie. Ist das immer noch der Fall?
Wir glauben an den freien Markt, ja. Aber wir versuchen stets, «Win-win»-Situationen herzustellen, will heissen, wir wollen nicht auf Kosten anderer profitieren.
Sie sind eine dänische Bank. Unterstützen Sie das «nordische Modell», eine Gesellschaft mit einem ausgebauten Sozialstaat?
Für mich wäre eine Kombination der Schweiz mit dem nordischen Modell der Idealzustand. Dänemark und die anderen skandinavischen Staaten machen vieles sehr gut. Deshalb haben wir Dänen auch grosses Vertrauen in unseren Staat. Ich wünschte mir aber auch, wir würden, wie die Schweizer, ein bisschen mehr Wert auf die Eigenverantwortung legen – und so tiefe Steuern haben wie ihr.
Was halten Sie vom amerikanischen Gesellschaftsmodell?
Es kann kein Vorbild für uns sein. In Europa leben die Menschen mit den niedrigsten Einkommen deutlich besser als in den USA. Gleichzeitig weitet sich die amerikanische Einkommens-Schere immer weiter aus. Das hat zu einer Gesellschaft geführt, in der die Menschen einander nicht mehr vertrauen.
Was läuft in Europa schief?
Wir leiden darunter, dass wir das Zuwanderungs-Problem offenbar nicht lösen können. Die Bürokratie ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass sie einer Steuer in der Höhe von 40 Prozent gleichkommt. Zudem sind wir energieabhängig. Ich glaube – und so gesehen bin ich ein Liberaler –, dass wir diese Probleme nur mit guten Unternehmen lösen können.
Kann nur ein geeintes Europa sich gegen die USA und China durchsetzen?
Davon bin ich überzeugt. Und nur so nebenbei: Ich denke, auch das Vereinigte Königreich und die Schweiz sollten dabei mitmachen. Wir sind es uns schuldig, dass wir viel besser zusammenarbeiten. Nur so können wir uns alleine verteidigen, unsere Energieprobleme lösen und mehr Wirtschaftswachstum und Innovation kreieren.
Ist der Abstand zu den USA und China nicht bereits zu gross geworden?
Nein, wir können das problemlos aufholen. Aber wir müssen handeln. Der Report von Mario Draghi, dem ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, zeigt auch auf, was wir tun müssen.
Kann sich Europa auch alleine gegen die russische Aggression zur Wehr setzen?
Natürlich. Die Investitionen in die Sicherheit sind kein herausgeworfenes Geld. Viele Innovationen im zivilen Bereich sind ursprünglich für militärische Zwecke entwickelt worden, beispielsweise das GPS.
Sie besitzen eine eigene Insel vor der dänischen Küste, die Sie nach strikt ökologischen Kriterien verwalten. Ist das ein Hobby, oder mehr?
Ich will damit beweisen, dass es möglich ist, 150 Hektar Land nachhaltig zu bewirtschaften. Heute sind wir vollständig autark. Wir haben Windräder, Solarpanels und leistungsfähige Batterien. Ich will damit zeigen, dass wir nicht mehr auf den Import von russischem Öl und Gas angewiesen sein müssen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit verfügen wir über die dazu notwendige Technologie. Und ich frage mich, weshalb wir nicht viel schneller davon Gebrauch machen.
Stellen Sie auch die Lebensmittel selber her?
Ja, fast alles – ob Gemüse, Obst und Fleisch – stammt von der Insel. Wir haben auch eine grosse Biodiversität. Mir geht es darum, ein Beispiel zu kreieren, um zu zeigen, dass nachhaltige Entwicklung möglich ist.
Sind Sie also ein heimlicher Idealist?
Nein, ich will nicht in diese Schublade gesteckt werden. Ich bin ein rationaler Denker. Mein Ziel ist einzig, dass ich dereinst von meinem Leben sagen kann: Ich war Teil der Lösung, nicht des Problems.
Eugene Meyer, ein legendärer US-Banker, erklärte einst: Man sollte 30 Jahre studieren, 30 Jahre Geld verdienen und 30 Jahre Gutes tun. Teilen Sie diese Philosophie?
Nein. Wir müssen jeden Tag Gutes tun und so lange wie möglich aktiv bleiben.
