Die Lufthansa wird mit einem 9-Milliarden-Euro-Rettungspaket gestützt. Die Aktionäre haben grünes Licht gegeben. Mit 20 Prozent Aktienanteilen wird der Staat künftig im Cockpit mitfliegen. Die Rettung der Airline stärkt auch die Position ihrer Tochter Swiss, glaubt der deutsche Luftfahrt-Experte Cord Schellenberg.
Die Aktionärsversammlung hat dem 9-Milliarden-Euro-Rettungspaket zugestimmt. Ist nun alles paletti?
Cord Schellenberg: Für mich ist das wie eine Tür zur Zukunft, die nun aufgeht. Aber es ist eben auch nur die Tür zur Zukunft. Weiterhin ist nicht klar, wie sich das Luftfahrtgeschäft weltweit entwickeln wird. Die Menschen werden erst wieder Flüge in grösserer Zahl buchen, wenn der Spass an einer Flugreise wieder da ist.
Wird es wieder ein Flugverhalten wie in Vor-Corona-Zeiten geben?
Ich denke, dass die Normalität wieder kommt. Ob die dann dauerhaft mit einer Maskentragpflicht an Bord verbunden sein wird, werden wir sehen. Eine Annäherung an die Normalität wird wohl zuerst in Europa erfolgen. In der zweiten Stufe – das wird länger dauern – kommen die Langstreckenreisen zurück.
Eine Rückkehr zur Normalität ist aus klimapolitischen Überlegungen überhaupt nicht anzustreben.
Das entscheiden die Menschen selber. Natürlich hat man für Reisen innerhalb Europas noch ein bisschen mehr Auswahl für die Mobilität – Auto, Bus, Bahn, aber auch Kreuzfahrtschiffe. Wer unterwegs sein möchte – und ich sehe starke Anzeichen dafür, dass Menschen Mobilität nach dem Shutdown im Frühjahr noch mehr schätzen als zuvor – der wägt sicherlich genau ab, wohin er reisen möchte. Aber das Interesse, sich örtlich zu verändern, ist doch nur stärker geworden. Das spricht dafür, dass Flugreisen wieder zunehmen werden.
Lufthansa-Chef Carsten Spohr kündigte auf der Aktionärsversammlung harte Einschnitte für den Konzern an. Tausende Arbeitsstellen sollen abgebaut werden. Müssen auch die Mitarbeiter der Lufthansa-Tochter Swiss zittern?
Von der Swiss habe ich bezüglich Plänen zum Stellenabbau keine Äusserungen gehört. Entscheiden wird darüber die Nachfrage der Kunden. Die Schweiz ist stark auf den Drehscheiben-Verkehr am Flughafen Zürich ausgerichtet, die Swiss und der Flughafen Zürich sind voneinander abhängig. Der Flughafen Zürich lebt in grossem Masse davon, dass Passagiere wie in einem Staubsaugereffekt aus den umliegenden Ländern Europas angesogen werden und in Zürich von Europastrecken auf Langstrecken verteilt werden. Ein Passagier der via Zürich von Glasgow nach Mumbai fliegt, wird in Zürich viermal gezählt, zweimal beim Hinflug durch Ankunft und Weiterreise, zweimal bei seiner Rückreise. Eine einzige Person, die nicht mehr über Zürich reist, sorgt unter Umständen für einen Rückgang von vier Passagieren an der Drehscheibe Zürich.
Die Lufthansa ist gerettet. Hat sich die Position der Swiss im Konzern verändert? Wird sich die Lufthansa künftig auf sich selbst und weniger auf die Tochtergesellschaften konzentrieren?
Die EU hat am Donnerstag einen interessanten Punkt bekanntgegeben. Nämlich, dass die Rettungsgelder nicht verwendet werden dürfen für integrierte Fluggesellschaften, die sich bereits vor dem 31. Dezember letzten Jahres in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befanden. Bei den Lufthansa-Töchtern in Österreich oder Brüssel muss also geprüft werden, ob Fluggesellschaften zur Jahreswende vor Corona gesund waren. Von aussen betrachtet würde ich folglich behaupten: Diese Vorgabe bedeutet einen Vorteil für Lufthansa und Swiss. Die Swiss war und ist eine starke Airline, und sie wird innerhalb der Lufthansa-Group auch weiterhin eine starke Rolle spielen. Die Swiss hat durch die Vorgaben der EU einen Pluspunkt gesammelt.
Der Grossaktionär Heinz Hermann Thiele hat bemängelt, dass bei der Lufthansa künftig der Staat mitreden will. Verstehen Sie seine Vorbehalte?
Ich glaube, der Staat ist kein guter Unternehmer. Ich sehe aber auch die Seite der Bundesregierung: Wenn man mit einem so grossen Rettungspaket einem Konzern hilft, muss man doch im Aufsichtsrat eine Stimme haben. Ich sehe allerdings die Schranke, dass der Bund jetzt nicht auf die Idee kommt, Luftfahrt-Klimapolitik am lebenden Objekt bei der Lufthansa in Frankfurt anstatt in Berlin zu machen. Das hielte ich für falsch. Bei Grossaktionär Thiele fällt mir wiederum ein Spruch aus der Luftfahrtbranche ein. Wie wird man in der Luftfahrt Millionär? Indem man als Milliardär anfängt. Herr Thiele kann nun das Gegenteil beweisen.
(aargauerzeitung.ch)