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Novartis-Chef: «Wir wehren uns gegen weitere Preissenkungen» 

Joe Jimenez: «Wir hoffen, dass die Schweiz und die EU einen Kompromiss finden, der mit den bilateralen Verträgen vereinbar ist.»
Joe Jimenez: «Wir hoffen, dass die Schweiz und die EU einen Kompromiss finden, der mit den bilateralen Verträgen vereinbar ist.»Bild: ARND WIEGMANN/REUTERS
Joe Jimenez

Novartis-Chef: «Wir wehren uns gegen weitere Preissenkungen» 

Novartis-Chef Joe Jimenez sagt, weshalb die Schweizer Medikamentenpreise für den global tätigen Pharmakonzern so wichtig sind, was das Ja zur Einwanderungsinitiative bedeutet – und wie viel vom Geiste Daniel Vasellas noch durch Novartis weht.
06.10.2014, 06:2906.10.2014, 10:53
Christian Dorer und Philipp Mäder / Aargauer Zeitung
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Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Der Novartis-Chef ist ganz der US-amerikanische Profi, als er vor dem «Business Club Mittelland» im Landgasthof «Hirschen» in Erlinsbach seinen Vortrag hält: smart, ruhig, professionell. Man merkt: Er hält seinen Vortrag über die Strategie von Novartis nicht zum ersten Mal. Das Interview findet anschliessend im Sääli nebenan statt. Dort wirkt der Chef von rund 130'000 Angestellte deutlich lockerer und macht auch mal ein Spässchen. Selbst über seinen Vorgänger Daniel Vasella. 

Herr Jimenez, gibt es in Ihrer Hausapotheke nur Novartis-Medikamente? 
Joe Jimenez: Nein, es gibt darin auch Medikamente von anderen Herstellern. Es ist wichtig, dass man unter verschiedenen Anbietern das Medikament wählen kann, das am besten nützt. 

Sie vertrauen also darauf, dass auch andere Anbieter gute Medikamente herstellen? 
Ja. Aber man muss heute vorsichtig sein. Denn es gibt Nachahmerprodukte, die von schlechter Qualität sind. 

Sie hoffen stark auf ein neu entwickeltes Medikament, mit Namen LCZ696, gegen chronische Herzschwäche. Wird dieses Medikament der neue Blockbuster von Novartis?  
Die bisherigen Studien zeigen, dass dieses Medikament bei Patienten mit chronischer Herzschwäche die Zahl der Todesfälle im Vergleich zur Standardtherapie um zwanzig Prozent senken kann. In Europa und in den USA leiden über 20 Millionen Menschen an dieser Krankheit. Sie könnten von unserem Medikament profitieren. 

Manche Analysten rechnen mit einem Umsatz von zehn Milliarden Dollar pro Jahr. Ist das realistisch? 
Das scheint mir zu hoch gegriffen. Unser Ziel ist es, dieses Medikament all jenen Patienten zugänglich zu machen, die es brauchen. Das wird den Umsatz bestimmen. 

Im Gegensatz zu Krebsmedikamenten sind die Gewinnmargen im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen eher klein. Wie wollen Sie da Geld verdienen? 
Wir haben viel Geld in die Entwicklung dieses Medikaments investiert – was andere Unternehmen nicht getan haben. Deshalb erwarten wir, diese Kosten zu decken. Das Medikament wird auch die Gesundheitssysteme entlasten, weil es vielen Patienten viel besser gehen wird und sie weniger oft ins Spital müssen. Die Gewinnmarge muss nicht unbedingt hoch sein, um damit Geld zu verdienen, weil sehr viele Menschen dieses Medikament nutzen können. 

Zur Person 
Der US-Amerikaner mit spanisch-italienischen Wurzeln hat an der Stanford University Wirtschaft studiert und arbeitete lange Zeit für den Ketchup-Hersteller Heinz. 2007 wechselte er zu Novartis und wurde bereits nach sechs Monaten Chef der wichtigsten Division Pharma. 2010 machte ihn Daniel Vasella überraschend zum CEO. Jimenez wohnt mit seiner Frau in Reinach BL, das Paar hat zwei Söhne und eine Tochter. (az)

Wie können Sie sicher sein, dass nicht einfach ein anderes Unternehmen Ihr neues Medikament illegalerweise kopiert? 
Diese Gefahr besteht in Ländern, die einen schlechten Patentschutz haben. Dann müssten wir dagegen vorgehen. 

«Wir sind nicht gegen ein Freihandelsabkommen. Aber wir wollen eine Garantie, dass geistiges Eigentum von Schweizer Unternehmen auch in Indien geschützt wird.»

Ist das möglich? 
In Indien zum Beispiel ist das sehr schwierig, sogar auf gerichtlichem Weg. Dort ist geistiges Eigentum schwieriger zu schützen als beispielsweise in China. Die Verhandlungen zwischen der Schweiz und Indien über ein Freihandelsabkommen stocken. Haben Sie beim Bundesrat gegen ein solches Abkommen lobbyiert? Wir haben unsere Bedenken geäussert. Wir sind aber nicht grundsätzlich gegen ein Freihandelsabkommen. Aber wir wollen eine Garantie, dass geistiges Eigentum von Schweizer Unternehmen auch in Indien geschützt wird. 

Und das will Indien nicht? 
Bisher nicht. Wir aber müssen hier hart bleiben. Ein Drittel der Schweizer Exporte kommt von der Pharmaindustrie. Es wäre ein schlechtes Signal für Freihandelsabkommen mit anderen Staaten, wenn die Schweiz geistiges Eigentum nicht schützen würde. 

Vielen Schweizern ist nicht bewusst, dass ein Drittel unserer Exporte von der Pharmaindustrie kommt. Wünschten Sie sich mehr Unterstützung durch die Politik? 
Wir erhalten Unterstützung. In der Schweiz gibt es sehr viel Innovation – dank liberaler Gesetze, guter Universitäten und einem Masterplan für die Pharmaindustrie. Und es gibt im Bundesrat Mitglieder, welche die Bedeutung der Pharmaindustrie für die Schweiz verstehen. 

«Es gibt tatsächlich wieder Stimmen, die tiefere Medikamentenpreise fordern. Dagegen würden wir uns sehr wehren.»

Jetzt sind Sie konziliant. Aber wenn es um die Senkung der Medikamentenpreise geht, tönt es jeweils ein wenig anders ... 
Mit dem Kompromiss, den wir vor eineinhalb Jahren mit dem Bundesrat ausgehandelt haben, können wir leben. Aber jetzt gibt es tatsächlich wieder Stimmen, die tiefere Medikamentenpreise fordern. Dagegen würden wir uns sehr wehren. 

Spielt das für Sie überhaupt eine Rolle? Schliesslich verkaufen Sie nur gerade ein Prozent Ihrer Medikamente in der Schweiz. 
Es geht um die Anerkennung von Innovation: Wenn selbst die Schweiz als unser Heimatland das nicht mehr machen würde, wäre das ein negatives Signal für den Rest der Welt. Auch deshalb ist die Schweiz für uns so wichtig. 

Die Schweiz hat Ja gesagt zur Masseneinwanderungsinitiative. Welche Folgen hat das für Sie? 
Die Initiative selbst ist für uns nicht das grösste Problem. Denn sie sieht explizit vor, dass bei der Festsetzung von Kontingenten die Interessen der Wirtschaft zu berücksichtigen sind. Viel risikoreicher ist sie für die Bilateralen Verträge. 

«Wir hoffen, dass die Schweiz und die EU einen Kompromiss finden, der mit den Bilateralen Verträgen vereinbar ist.»

Weshalb? 
Wir hoffen, dass die Schweiz und die EU einen Kompromiss finden, der mit den Bilateralen Verträgen vereinbar ist. Denn wenn diese fallen würden, hätte dies negative Auswirkungen auf den Standort Schweiz. 

Welche Auswirkungen fürchten Sie konkret? 
Wir produzieren viele Medikamente in der Schweiz und exportieren sie dann in die EU. Ein Beispiel: Wenn wir keine Bilateralen Verträge mehr haben, müssten wir die Qualitätskontrollen für jedes Land in der EU doppelt durchführen. Das würde die Kosten in die Höhe treiben, den Standort Schweiz verteuern und weniger konkurrenzfähig machen. 

Würden Sie deshalb die Produktion aus der Schweiz abziehen?
Nein. Es wäre nicht das Ende, wir würden keine Fabriken schliessen. Aber es hätte Auswirkungen in der Zukunft. Wenn wir entscheiden, ob wir unser neues Herzmedikament in Stein im Kanton Aargau, in Barberà del Vallés in Spanien oder in Schanghai in China produzieren, dann wäre die Schweiz weniger konkurrenzfähig. 

Sie investieren zurzeit in Stein eine halbe Milliarde Franken in eine neue Produktionsanlage. Würden Sie diesen Entscheid heute nochmals so fällen? 
Ja. Denn ich bin optimistisch, dass es einen Kompromiss geben wird, der sowohl die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative als auch den Erhalt der Bilateralen Verträge möglich macht. 

«Unsere Mitarbeiter sind hier technisch hervorragend ausgebildet. Das macht die höheren Löhne mehr als wett.»

Die Schweiz hat viel höhere Lohnkosten als Spanien oder China. Weshalb lohnt es sich für Sie trotzdem, in der Schweiz zu produzieren? 
Weil unsere Mitarbeiter hier technisch hervorragend ausgebildet sind. Das macht die höheren Löhne im Moment mehr als wett. Und wenn die Qualität unserer Produktion nicht top ist, wird das für uns viel teurer. Denken Sie nur an den Reputationsverlust, wenn wir ein Medikament wegen Qualitätsmängel zurückziehen müssten. 

Wie sieht das mit dem Hauptsitz aus? Könnte ein Ende der Bilateralen Verträge dazu führen, dass Sie diesen aus Basel abziehen? 
Wir bekennen uns klar zum Hauptsitz Basel – schliesslich haben wir hier auch viel in Mitarbeiter und Infrastruktur investiert. 

Novartis ist ein globales Unternehmen. Roche dagegen ist viel stärker in Basel verwurzelt. 
Wir haben Schweizer Wurzeln, sind heute aber ein globales Unternehmen. Doch die Schweiz ist in der DNA von Novartis drin. Und das ist gut so. Denn die Schweiz steht für Innovation. Und Innovation bringt unser Geschäft voran. Unsere Konsumenten kaufen mit unseren Produkten also Schweizer Innovation und Schweizer Qualität. 

Aber in Kalifornien, wo Sie aufgewachsen sind, scheint häufiger die Sonne. 
(Lacht). Nein, nein. Ich denke, dass wir noch lange ein Schweizer Unternehmen bleiben werden. 

Der Hauptsitz der Novartis in Basel.
Der Hauptsitz der Novartis in Basel.Bild: KEYSTONE

Zurzeit sind Sie daran, Novartis zu restrukturieren. So reduzieren Sie das Unternehmen von fünf auf drei Bereiche. Was ist Ihr Ziel? 
Wir wollen Novartis fokussieren, damit wir in Zukunft weiterhin zu den stärksten Unternehmen gehören. Weil es mehr Menschen gibt und diese älter werden, erwarten wir in den nächsten zehn Jahren eine Verdoppelung der Gesundheitsausgaben. Um in diesem Umfeld erfolgreich zu sein, müssen wir in unseren Bereichen der globale Marktführer sein. Deshalb konzentrieren wir uns auf jene drei Bereiche, in denen wir schon heute die Nummer eins oder zwei sind: Pharma, Augenheilkunde und Generika. 

Etwas hart ausgedrückt: Sie beenden damit die Diversifikationsstrategie Ihres Vorgängers Daniel Vasella und kopieren Ihren Konkurrenten Roche. 
Wir kopieren Roche nicht! Sonst hätten wir keine Generika. Und wir glauben, dass Generika für Novartis sogar noch wichtiger werden. Denn in den nächsten zehn Jahren wird der Kostendruck im Gesundheitswesen nochmals zunehmen. Und die Generika geben uns hier eine Möglichkeit, die Kosten für die Regierungen zu senken. Das hat Roche nicht. 

«Als Novartis entstand, herrschte ein anderes Umfeld als heute. Es war nicht so wichtig, sich zu fokussieren. Das ist heute anders.»

Aber Sie beenden mit Ihrer Fokussierung die Ära Vasella, der auf ein viel breiteres Portfolio setzte. 
Ich glaube, auch Dan Vasella würde dem zustimmen, was ich jetzt sage: Als Novartis entstand, herrschte ein anderes Umfeld als heute. Es war nicht so wichtig, sich zu fokussieren. Das ist heute anders. Es stimmt, dass wir nun anders aufgestellt sind als zu Vasellas Zeiten. Doch die Entwicklung des Aktienkurses zeigt, dass der Markt unseren Entscheid als richtig bewertet. 

Jetzt auf

Sie sind seit vier Jahren CEO. Die «Financial Times» jedoch schreibt, man habe den Eindruck, Sie seien erst seit kurzem Chef von Novartis – seit Vasella weg ist. Was hat sich für Sie verändert? 
In meinen ersten Jahren als CEO habe ich gelernt, wie ich das Unternehmen führen muss. Und wir waren sehr damit beschäftigt, einen Ersatz für unseren Blutdrucksenker Diovan zu finden, dessen Patentschutz auslief. Dabei ging es um einen Umsatz von sechs Milliarden Dollar pro Jahr. Das war eine potenziell sehr gefährliche Situation für Novartis, die wir aber überwinden konnten. Erst dann konnte es darum gehen, das Unternehmen für die nächsten zehn Jahre neu auszurichten. Auch Jörg Reinhardt als neuer Verwaltungsratspräsident spielt hier eine wichtige Rolle. 

Seit Anfang Jahr stieg die Novartis-Aktie um über zwanzig Prozent ... 
... und in den letzten zwei Jahren über fünfzig Prozent. 

Ärgert sich Daniel Vasella eigentlich darüber, dass seine Nachfolger so viel mehr Erfolg haben? Oder freut er sich über den Wertzuwachs seines Aktienpaketes? 
Ich glaube, das müssen Sie ihn selber fragen. (Lacht). Und dann sagen Sie es mir bitte! 

Arbeitet er eigentlich noch für Novartis? 
Er führt noch zwei Mal pro Jahr Mentoring-Programme für junge Talente durch. Aber das ist nicht in Basel, ich sehe ihn nicht sehr oft. 

Aus der Zeit von Daniel Vasella hält Novartis immer noch eine Beteiligung von 33,3 Prozent an den Stimmrechtsaktien von Roche. Was planen Sie mit diesem Paket? 
Wir sind der Ansicht, dass dieses Paket mehr wert ist als nur der aktuelle Aktienkurs. 

Weshalb? 
Mit unserem Anteil haben wir ein Vetorecht. Es gibt Minderheiten-Kontrollrechte, die einen Wert haben, zusätzlich zum gegenwärtigen Aktienpreis. 

Das heisst, Roche ist für Sie mehr als nur ein Finanzinvestment? 
Roche ist für uns ein Finanzinvestment mit einer strategischen Komponente. 

Wollen Sie das Paket verkaufen? 
Wir brauchen das Geld im Moment nicht. Wir stehen also nicht unter Druck, das Paket zu verkaufen. Deshalb haben wir im Moment entschieden, die Aktien zu behalten. 

Es wäre auch nicht einfach, jemanden zu finden, der einen Paketzuschlag bezahlt. 
Wie gesagt: Der Wert des Pakets ist höher als der aktuelle Aktienkurs und sollte auch unsere Stimmrechte berücksichtigen. Diesen Wert könnten wir in Geld erhalten – oder in einer anderen Form. 

Das tönt nach einem Aktientausch. 
Das ist eine mögliche Option. 

«Ich liebe es, in der Schweiz zu leben, ich fühle mich hier zu Hause.»

Sie leben seit 2007 in der Schweiz. Wie stark fühlen Sie sich als Schweizer? 
Ich liebe es, in der Schweiz zu leben, ich fühle mich hier zu Hause. Die Menschen sind sehr nett zu mir, sie erkennen mich im Restaurant und schütteln mir die Hand. 

Wann könnten Sie Schweizer werden? 
In drei Jahren. Ich lerne Deutsch. Aber ich kann kein Schweizerdeutsch. 

Hochdeutsch reicht für eine Einbürgerung. 
Nur, als US-Bürger muss ich weiterhin in den USA Steuern zahlen. Egal, wo ich wohne. 

Sie könnten die US-Staatsbürgerschaft abgeben. 
Stimmt. Aber soweit werde ich wohl auch trotz der hohen US-Steuern nicht gehen. 

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