Straftäter, die grauenhafte Verbrechen begangen haben, üben auf manche Menschen eine eigentümliche Faszination aus – gerade auch auf solche, die ihre Opfer sein könnten.
Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 77 Menschen umbrachte, erhält Heiratsanträge von älteren Frauen und Liebesbriefe von 16-jährigen Mädchen. Der amerikanische Massenmörder Charles Manson bekommt mehr Fanpost als alle anderen Gefängnisinsassen in den USA. Und auch der belgische Kinderschänder Marc Dutroux wird von Verehrerinnen angeschrieben, wie die flämische Zeitung «Het Laatste Nieuws» auf ihrer berichtet. Website
Dutroux, der in den Achtziger- und Neunzigerjahren mehrere Kinder und Jugendliche entführte, missbrauchte und einige von ihnen tötete, ist der Inbegriff des gefühlskalten, grausamen Schwerverbrechers. In einem Verlies im Keller seines Hauses verhungerten zwei achtjährige Mädchen.
Und doch bekommt dieser Mann Post von Mädchen im Teeniealter, die ihm Dinge schreiben wie:
Was die Absenderinnen – ob es sich wirklich um pubertierende Mädchen handelt, ist natürlich nicht sicher – nicht wissen: Ihre Briefe werden Dutroux nicht ausgehändigt. Das Gefängnispersonal hält die Post zurück, wie «Het Laatste Nieuws» weiss.
Das Blatt zitiert einen Psychiater, der sich zufrieden über diese Massnahme zeigt: «Diese jungen Mädchen begreifen nicht, welche Gefahr in der Korrespondenz mit einer solchen Person liegt.»
Psychologen haben für das Phänomen, bei dem Verbrecher zum Objekt sexueller Begierde werden, einen eigenen Fachbegriff geprägt: «Hybristophilie» oder auch «Bonnie-und-Clyde-Syndrom», nach dem berühmten Gangsterduo Bonnie Parker und Clyde Barrow.
Die amerikanische Journalistin Sheila Isenberg hat das seltsame Begehren in ihrem Buch « analysiert. Sie kommt zum Schluss, dass diese Frauen oft eine schwierige Kindheit mit einem dominanten und gewalttätigen Vater hatten und später Beziehungen eingingen, in denen sie von häuslicher Gewalt betroffen waren. Women who love men who kill »
Für diesen Typus Frau sei die Beziehung zu einem unerreichbaren Mann hinter Gittern ideal. Er reproduziert zwar das Bild des gewalttätigen Vaters, ohne aber real Gewalt ausüben zu können. Zudem ist er immer da und hört immer zu.
Übrigens leiden nicht nur Frauen am «Bonnie-und-Clyde-Syndrom»: Auch Männer können sich zu Verbrecherinnen hingezogen fühlen. Dass dies viel seltener vorkommt, liegt wohl nicht zuletzt daran, dass Frauen rund zehnmal weniger Straftaten als Männer begehen. (dhr)