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Links bedeutete Tod in der Gaskammer – wie die Todesfabrik von Auschwitz funktionierte

Vor 70 Jahren befreit

Links bedeutete Tod in der Gaskammer – wie die Todesfabrik von Auschwitz funktionierte

Am 27. Januar 1945 machte die Rote Armee dem Töten im grössten Vernichtungslager der Nazis ein Ende. Mindestens 1,1 Millionen Menschen waren hier fabrikmässig ermordet worden.
27.01.2015, 11:1523.01.2024, 06:56
Daniel Huber
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Vor 70 Jahren erreichten sowjetische Soldaten den Lagerkomplex in Auschwitz, die grösste Todesfabrik der Nazis. Den Befreiern bot sich ein Bild des Grauens: Nur 7500 Häftlinge, die meisten unterernährte Elendsgestalten, waren noch am Leben.

Auschwitz wurde zum Synonym für den Massenmord der Nazis, insbesondere den Holocaust, die systematische Vernichtung der Juden. Aber auch Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene, deutsche Kommunisten, polnische Priester und Homosexuelle fielen der Tötungsmaschinerie zum Opfer.

Das grösste KZ

ARCHIVE --- ZUR BEFREIUNG DES KONZENTRATIONSLAGERS AUSCHWITZ VOR 70 JAHREN, AM 27. JAUNAR 1945, DURCH SOLDATEN DER ROTEN ARMEE DER SOWJETUNION STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILD ZUR VERFÜGUNG --- Pictur ...
Einfahrt ins Lager Birkenau 1945. Bild: AP CAF PAP

Zwischen Mai 1940 und Ende 1942 richteten die deutschen Besatzer nahe bei der südpolnischen Stadt Oswiecim – zu deutsch Auschwitz – schrittweise einen riesigen Lagerkomplex ein, der zuletzt aus drei Lagern bestand.

  • Das Stammlager Auschwitz I entstand aus einer früheren polnischen Kaserne. Es fasste bis zu 18'000 Häftlinge. Hier wohnte auch das SS-Personal.
  • 1941 begann der Aufbau des Vernichtungslagers KZ Auschwitz II-Birkenau. In diesem gigantischen Todeslager, in dem bis zu 100'000 Häftlinge eingepfercht waren, fanden ab 1942 die Massentötungen mit Giftgas statt.
  • 1942 kam das Nebenlager KZ Auschwitz III-Monowitz für die Zwangsarbeiter in den Betrieben des IG-Farben-Konzerns hinzu. Insgesamt gab es rund 45 weitere Nebenlager für Zwangsarbeiter.

In diese Todeszone wurden mindestens 1,2 Millionen Menschen deportiert, über 90 Prozent von ihnen Juden. Mindestens 1,1 Millionen wurden getötet.

«Arbeit macht frei»

OSWIECIM, POLAND - NOVEMBER 15: The infamous German inscription that reads 'Work Makes Free' at the main gate of the Auschwitz I extermination camp on November 15, 2014 in Oswiecim, Poland.  ...
Eingang zum Stammlager. Bild: Getty Images Europe

Die infame Losung, die vermutlich auf einen Roman eines deutschnationalen Schriftstellers zurückgeht, stand schon am Tor des ersten deutschen KZs in Dachau. Auch in Sachsenhausen, Gross-Rosen und Theresienstadt wurden die Häftlinge mit diesem Spruch verhöhnt. In Auschwitz hatte ihn Lagerkommandant Rudolf Höss in schmiedeisernen Lettern über dem Tor des Stammlagers anbringen lassen. Nach dessen Erweiterung befand sich das Tor später im Inneren des Lagers.

Die besondere zynische Qualität des Spruchs liegt darin, dass die Häftlinge trotz unmenschlichster Zwangsarbeit keine Aussicht auf Freiheit hatten – im Gegenteil: Die Arbeit war das Mittel, sie langsam umzubringen.

Selektion an der Rampe

Selektion an der Rampe in Auschwitz.
Vor der Selektion: Frauen und Kinder links, Männer rechts.

Aus verschiedensten Teilen des deutschen Machtbereichs wurden die Menschen in die Lager im Osten deportiert. Während in den reinen Vernichtungslagern wie Treblinka alle Deportierten sofort vergast wurden, fand an der Rampe in Auschwitz-Birkenau eine Selektion durch SS-Ärzte statt. Links bedeutete Tod in der Gaskammer, rechts das vorläufige Überleben als Arbeitssklave. Familien wurden hier erbarmungslos auseinander gerissen.

Auch in den Lagerbaracken oder beim Appell nahm die SS spontane Selektionen vor. Wer als nicht mehr arbeitstauglich eingestuft wurde, starb.

Gaskammern

Ruinen von Krematorium III mit Gaskammer in Auschwitz
Eingang zum zerstörten Krematorium III mit Gaskammer.

Die fabrikmässige Ermordung von Millionen war ein logistisches und technisches Problem. Bald experimentierten die Organisatoren der Vernichtung mit möglichst effizienten Methoden des Massenmords: Motorabgase, Kohlenmonoxid und Zyklon B, ein Mittel zur Schädlingsbekämpfung.

In Auschwitz I und II gab es insgesamt sieben Gaskammern, die aber nie alle zeitgleich in Betrieb waren. In diese als Duschen getarnten Räume trieben die Häftlinge des «Sonderkommandos» die Todgeweihten, die sich zuvor entkleiden mussten. Dann wurde Zyklon-B-Granulat in die Gaskammern eingebracht, aus dem Blausäuregas austrat.

Das Sonderkommando musste danach die Leichen aus den Kammern holen und in die Krematorien schaffen, in denen täglich über 4000 Menschen verbrannt werden konnten. Sie alle fanden, wie es in Celans «Todesfuge» heisst, «ein Grab in den Lüften, da liegt man nicht eng».

Tödliche Experimente

Josef Mengele, KZ-Arzt im Konzentrationslager Auschwitz, beruechtigt als "Todesengel von Auschwitz", undatierte Aufnahme. Der Nazi-Verbrecher fluechtete nach dem Krieg nach Suedamerika. (KEY ...
Lagerarzt Mengele.Bild: KEYSTONE

Die SS-Lagerärzte nutzten die «optimalen Forschungsbedingungen», die sich ihnen in den KZs boten. In Auschwitz führten sie pharmazeutische Experimente und Massensterilisationen durch. Josef Mengele, der berüchtigtste unter ihnen, testete die Schmerzempfindlichkeit von Zwillingen, indem er sie ohne Narkose operierte. Er tötete manche seiner «Versuchsobjekte» – die meisten waren Kinder – zu Forschungszwecken.

Auch Pharmafirmen profitierten: Bayer erhielt 150 weibliche Häftlinge für «170 RM je Stück». Die Firma meldete später: «Die Experimente sind durchgeführt worden, alle Personen sind gestorben. In Kürze werden wir uns mit Ihnen zwecks weiterer Lieferungen in Verbindung setzen.»

Überleben oder sterben

Wer die Selektion an der Rampe überlebt hatte, wurde registriert – die Häftlingsnummer wurde auf den linken Unterarm tätowiert. Die so zur Nummer degradierten Häftlinge erhielten blau-grau gestreifte Drillichkleider, die kaum gegen Kälte schützten, und Holzschuhe. Überlebenschancen hatte nur, wer eine privilegierte Arbeit, zum Beispiel in einer Schreibstube oder Werkstätte, zugewiesen bekam.

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Metallstempel zur Tätowierung der Häftlingsnummer. Bild: EPA/PAP

Für Häftlinge, die zu Schwerstarbeit gezwungen waren, sahen die Richtlinien 2150 Kalorien am Tag vor, für andere 1700 Kalorien. In Wahrheit erreichte der Nährgehalt der Essensrationen diese Vorgaben nicht. Wer sich nicht zusätzlich Essen verschaffen konnte, hatte lediglich eine Lebenserwartung von drei bis sechs Monaten. Daneben war das Leben der Häftlinge stets durch Krankheiten und willkürliche Exekutionen bedroht.

Raub und Ausbeutung

OSWIECIM, POLAND - JANUARY 25: Children's shoes confiscated from Auschwitz prisoners lie in an exhibtion display at the former Auschwitz I concentration camp, which today is a museum, on January  ...
Kinderschuhe.Bild: Getty Images Europe

Die persönliche Habe, die man den Neuankömmlingen abnahm, wurde in Magazinen gesammelt, von Häftlingen sortiert und dann nach Deutschland geschickt. Den Toten mussten Häftlinge des «Sonderkommandos» Schmuck abnehmen und die Goldzähne ausbrechen, den Frauen die langen Haare abschneiden, damit sie zu Filz verarbeitet werden konnten.

Vor allem aber beutete die SS die Arbeitskraft der Häftlinge aus. Das Heer der Zwangsarbeiter in Auschwitz wurde von zahlreichen Betrieben und grossen Konzernen wie Krupp oder IG-Farben genutzt. Die SS vermietete die Sklavenarbeiter zu günstigen Konditionen – zwar war deren Arbeitskraft aufgrund der schrecklichen Behandlung beschränkt, doch sie waren billig und genossen keinerlei Rechte.

Todesmärsche

Heimliche Aufnahme eines Todesmarsches von Häftlingen aus Dachau.
Heimliche Aufnahme eines Todesmarsches von Häftlingen aus Dachau.

Ende 1944 war absehbar, dass die Rote Armee Auschwitz bald erreichen würde. Nun wurden Spuren beseitigt: Die Krematorien und Gaskammern wurden abgerissen, die menschliche Asche in grossen Gruben begraben. Mitte Januar begann die SS dann die letzten knapp 60'000 Häftlinge auf Todesmärschen durch den eisigen polnischen Winter nach Westen zu treiben. Zahllose kamen in diesen letzten Tagen um.

Die 7500 Häftlinge, die in Auschwitz zurückblieben, wurden vermutlich nur deshalb nicht getötet, weil der SS dafür wegen des schnellen Vormarschs der Sowjets keine Zeit mehr blieb.

Widerstand und Aufstand

«Sonderkommando» bei der Verbrennung von Leichen.
«Sonderkommando» bei der Verbrennung von Leichen.

Widerstand gegen die Vernichtungsmaschinerie im Lager war extrem schwierig, auch weil die SS permanenten Terror ausübte und zudem ganze Gruppen für die Taten einzelner bestrafte. Nur selten kam es bei den Deportierten, die sofort in die Gaskammern geschickt wurden, zu Fluchtversuchen oder Widerstand. Solche Aktionen hätte es wohl öfter gegeben, wenn alle gewusst hätten, dass sie auf dem Weg in die Gaskammern waren.

Unter den Häftlingen, die spezielle Funktionen bekleideten und daher mehr Ressourcen zur Verfügung hatten, gab es zum Teil konspirative Verbindungen. Manche sammelten Beweise für die Massenvernichtung im Lager. Im Oktober 1944 kam es zur bekanntesten Widerstandsaktion, als Mitglieder des jüdischen «Sonderkommandos» mehrere SS-Männer töteten und eines der Krematorien sprengte. Keiner von ihnen überlebte.

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10 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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mrgoku
27.01.2015 11:54registriert Januar 2014
und das vor 70 jahren.... 70 jahre und der mensch macht weiterhin die selben fehler...
1158
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Lebovskitofski
27.01.2015 15:50registriert Januar 2015
einfach krass was da abgieng. nur ein paar kilometer weiter wegg und ein paar jahre zurück. schrecklich!
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zombie1969
27.01.2015 15:22registriert Januar 2014
Die Angehörigen der Holocaust-Überlebenden sind auch Opfer!
Und zwar wegen all der Grosseltern, Tanten, Onkel, Cousins etc. mit denen sie nicht aufwachsen durften, weil es eine selbsternannte "Herrenrasse" so beschlossen hatte.
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